Es gibt gerade kaum ein Vorbeikommen. Was Friedrich Merz im Fernsehsender „Welt“ gesagt hat, findet sich in Kommentaren auf Facebook, X und Co. genau wie bei klassischen Nachrichtenmedien und ihren Online-Artikeln, Radio-Interviews oder TV-Beiträgen.
Thema der Diskussion am Mittwochabend ist die Asylpolitik. Merz kritisiert dabei die sogenannten Pull-Faktoren, also Möglichkeiten und Leistungen, die aus seiner Sicht den deutschen Sozialstaat attraktiv machen für Menschen aus anderen Ländern; eine Theorie, die bereits grundsätzlich umstritten ist und immer wieder von Migrationsexperten bezweifelt wird.
Und dann erklärt Merz davon mit Bezug auf Asybewerber: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“
Und müssen Medien das jetzt melden?
Das Problem an diesem Beispiel des CDU-Chefs: Es ist nicht ganz falsch, aber es übertreibt. Merz behauptet pauschal etwas, das in dieser Einfachheit so einfach nicht die Wirklichkeit beschreibt. Sogar seine eigene Fraktion schneidet die von Vielen kritisierte Stelle in einem Videoclip des Auftritts heraus, den sie auf Social Media verbreitet.
Bleibt die Frage: Müssen Medien wiedergeben, was der Chef der größten deutschen Oppositionspartei sagt? Und wenn, reicht es, das dann entsprechend zu kommentieren? Mit kurzen Einordnungen und längeren Faktenchecks? Oder Analysen, wie der von t-online, die aufzeigen, von wie weit rechts Merz‘ Erzählung stammt?
Nein, müssen sie nicht, findet Nadia Zaboura - zumindest nicht so wie das ZDF, das die Kommunikationswissenschaftlerin beispielhaft auf X kritisiert. Die "heute"-Redaktion des Senders mache „Polit-PR im Öffentlich-Rechtlichen, 1:1 übernommen als Stenographie“.
Einen besseren Lautsprecher könne sich Merz nicht wünschen, schreibt Zaboura weiter.
Wissenschaftler: Es geht hier um Gefühle, nicht Fakten
Die Eichstätter Journalistik-Professorin Friederike Herrmann spricht grundsätzlich von einer "Berichtspflicht" in diesem Fall. Das sei hier etwas anderes als bei der AfD, die regelmäßig versuche Medien zu instrumentalisieren.
„Da müssen die Bürger informiert sein und wissen, wie der tickt“, sagte Herrmann dem Deutschlandfunk und betont, es gebe in dieser großen christlichen Volkspartei auch "viele Leute, denen so etwas nie über die Lippen käme". Eine andere Frage sei aber die, wie Medien darüber berichten würden.
Merz‘ „fremdenfeindliches Narrativ“ mit Argumenten zu entkräften, gehe aber am Kern seiner Aussage vorbei, analysiert die Kommunikationswissenschaftlerin. Der CDU-Vorsitzende greife mit Engpässen in der medizinischen Versorgung ja ein tatsächliches Problem auf.
Indem Merz dann in Asylbewerbern einen Schuldigen für diese Lage finde, bediene er ein „klassisches Sündenbock-Prinzip“, so Herrmann. Hier gehe es um Neid und damit um „sehr primitive Gefühle“, die in der Migrationsdebatte und der Berichterstattung darüber eine große Rolle spielten.
„Leider bleiben diese Bilder sehr viel besser hängen als die richtigen rationalen Argumente“, stellt die Wissenschaftlerin fest. „Das ist extrem billig, aber es funktioniert leider.“ Journalisten müssten sich deshalb stets bewusstmachen, dass hier Neid geschürt werde.
Umdenken im Journalismus gefordert
Es gehe hier um das Gefühl von Menschen, dass Migrantinnen und Migranten mehr vom Staat erhalten als sie selbst, ergänzt der Jenaer Professor für Medien- und Kommunikationspsychologie Tobias Rothmund. Und dieses Gefühl basiere nicht auf Fakten, sondern auf vielen verschiedenen wahren und falschen Eindrücken, so Rothmund gegenüber dem Deutschlandfunk.
Deshalb brauche es eine „Metadiskussion“ über „psychologische Fragen“ und die „Tiefendynamik des Themas“. Und der Journalismus müsse herausfinden aus der Rolle, nur bestimmte Einzelpositionen abzubilden, in diesem Fall eine, die bei den einen Empörung über Merz und bei anderen Empörung über Migranten auslöse.
So würden letztlich nur Zugehörigkeiten verfestigt und Unterschiede verstärkt, betont der Wissenschaftler. Und ergänzt: Das nenne man dann Identitätspolitik.