Mittwoch, 01. Mai 2024

Kampf um die Demokratie in Polen
Der schwierige Start der Regierung Tusk

In Polen versucht die neue Regierung unter Ministerpräsident Tusk, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. Doch die abgewählte rechtsnationale PiS leistet Widerstand gegen den Rückbau ihrer Politik. Beobachter fürchten eine Staatskrise.

12.01.2024
    Polens Präsident Andrzej Duda (links) schüttelt der damaligen Oppositionspolitikerin Barbara Nowacka die Hand, während der damalige Oppositionsführer Donald Tusk (Mitte) am Dienstag, den 24. Oktober 2023, im Präsidentenpalast in Warschau, Polen, zuschaut.
    Polens Präsident Andrzej Duda (links) und der neue Regierungschef Donald Tusk (Mitte): Beobachter sehen Anzeichen einer Verfassungskrise. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Czarek Sokolowski)
    Polen ist acht Jahre lang, von 2015 bis 2023, von Rechtspopulisten und Nationalisten regiert worden. Wer sich für Freiheit, liberale Werte und Demokratie einsetzte, hatte es in dieser Zeit nicht selten schwer. Bei der Wahl am 15. Oktober 2023 wurde die rechtsnationale PiS-Partei zwar erneut stärkste Kraft, fand aber keinen Koalitionspartner. Die Wählerschaft sorgte für einen Machtwechsel, indem es ein Bündnis der Opposition mit einer Mehrheit im Sejm ausstatte.
    Es dauerte dann aber noch einmal zwei Monate, bis der Spitzenkandidat der Opposition, Donald Tusk, auch die Macht übernehmen konnte. Seit Mitte Dezember regiert er nun das Land. Tusk war schon einmal – von 2007 bis 2014 – polnischer Regierungschef und von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates. Die Hoffnungen sind groß, dass Polen unter seiner Führung wieder zu einem europafreundlichen und demokratischen Kurs zurückfindet.

    Inhalt

    Wie lief der Regierungswechsel ab?

    Bei der Wahl im Oktober 2023 holte die bisher regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) rund 35 Prozent der Stimmen und wurde damit stärkste Kraft im neuen Parlament. Für die liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) des früheren Regierungschefs Donald Tusk stimmten knapp 31 Prozent. Der christlich-konservative Dritte Weg kam auf etwa 14 Prozent, das Linksbündnis Lewica auf gut 8 Prozent. Die ultrarechte Konfederacja holte rund 7 Prozent. Das Dreierbündnis aus KO, Dritter Weg und Lewica kam zusammen auf 248 der insgesamt 460 Sitze im Sejm und damit auf eine deutliche Mehrheit der Mandate.
    Obwohl die Machtverhältnisse im Parlament klar und deutlich waren, sträubte sich der Machtapparat der PiS zunächst gegen einen Regierungswechsel. So erteilte Staatspräsident Andrzej Duda (bis zur Ernennung als Präsident PiS-Mitglied) zunächst dem bisherigen Premierminister Mateusz Morawiecki (PiS) den Auftrag zur Regierungsbildung - mit der Begründung, die PiS sei als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen. Doch im November scheiterte Morawiecki erwartungsgemäß - er fand keine Mehrheiten im Parlament. Im Dezember konnte sich dann die neue proeuropäische Regierung unter Führung von Donald Tusk formieren. Sie wurde von der Mehrheit im Parlament bestätigt.

    Wie viel Einfluss hat die PiS-Partei noch?

    Der zähe Wechsel von der alten zur neuen Regierung verdeutlicht, wie viel Einfluss die PiS-Partei immer noch hat. Sie war bei der Parlamentswahl nicht nur stärkste Kraft geworden, sondern stellt mit Präsident Duda weiterhin das Staatsoberhaupt - und der Präsident hat in Polen weitreichende Befugnisse.
    Die PiS-Regierung hatte in den vergangenen Jahren den Rechtsstaat untergraben und politischen Druck auf Richterinnen und Richter ausgeübt. Die EU-Kommission hatte deswegen mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet und einen milliardenschweren Corona-Hilfsfonds blockiert.
    Nun liefert sich die PiS einen Machtkampf mit der neuen Regierung. Am 9. Januar 2024 eskalierte der Konflikt: Ex-Innenminister Mariusz Kaminski und sein früherer Staatssekretär Maciej Wasik wurden verhaftet und ins Gefängnis gebracht, nachdem sie zunächst Schutz im Präsidentenpalast bei Staatsoberhaupt Duda gesucht hatten.
    Die PiS bezeichnet die beiden als „politische Gefangene“. Duda, der aus den Reihen der PiS stammt, kündigte an, dass er für ihre Freilassung kämpfen will. Kaminski trat am ersten Tag seiner Haft in den Hungerstreik.

    Zwei Jahre Gefängnis wegen Amtsmissbrauchs

    Die beiden Männer waren im Dezember von einem Berufungsgericht wegen Amtsmissbrauch im Jahr 2007 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sie wurden von der Polizei gesucht.
    Die Verurteilten beteuern ihre Unschuld und berufen sich auf eine umstrittene Begnadigung durch Duda im Jahr 2015, die später jedoch vom Obersten Gerichtshof infrage gestellt worden war. Ihre Mandate als Abgeordnete des Parlaments waren zuletzt für ungültig erklärt worden, was Kaminski und Wasik jedoch nicht anerkennen wollen.

    Warum warnen Beobachter vor einer Staats- und Verfassungskrise?

    „Vieles deutet darauf hin, dass sich die Eskalationsspirale weiterdreht“, sagt Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Konkret könne sich der Konflikt am Haushaltsgesetz weiter verschärfen. Bis Ende Januar 2024 müsse das Regierungslager dem Staatspräsidenten das Gesetz vorlegen. „Der Präsident könnte dann argumentieren: Er hat Zweifel, ob das verfassungskonform zustande gekommen ist, weil ja zwei Abgeordnete nicht im Sejm vertreten sind“, sagt Lang.
    Deswegen könnte Duda das Gesetz dem Verfassungsgericht vorlegen, das der PiS nahestehe. Wenn das Gericht das Gesetz für ungültig erklären sollte, könnte der Präsident sogar Neuwahlen ansetzen. Auf der anderen Seite, so Lang, könnte die Regierung Tusk den Standpunkt vertreten, dass das Verfassungsgericht in der jetzigen Zusammensetzung selbst nicht verfassungskonform agiere und dessen Entscheidung nicht akzeptieren. Dann würde es eine Staatskrise und einen Verfassungskonflikt geben.

    Wie will die Tusk die Demokratie und die Beziehungen zur EU stärken?

    In seiner Regierungserklärung im Dezember kündigte Tusk ein umfangreiches Reformprogramm an, das auf eine Rückabwicklung der nationalkonservativen Politik der PiS-Partei hinausläuft. Wer Polens Platz in der EU infrage stelle, schädige die Interessen des Landes, sagte Tusk. Auch ein Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit legte der neue Premier ab.
    Kurz vor Weihnachten brachte das neu gewählte Parlament erste Schritte zur Rücknahme der umstrittenen Justizreform auf den Weg. Die Abgeordneten votierten für eine Resolution, die mehrere Maßnahmen der abgelösten PiS-Regierung für verfassungswidrig erklärt. Dabei geht es im Kern um die Zusammensetzung des einflussreichen Landesjustizrates.

    Scharfe Kritik an der Justizreform der PiS

    Unter der national-konservativen Regierung war Polen in den vergangenen Jahren auf mehreren Themenfeldern auf Konfrontationskurs zur EU gegangen. Wegen Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit stieß die Justizreform der PiS in Brüssel auf besonders scharfe Kritik. Milliarden von EU-Geldern für Polen wurden deshalb eingefroren. Polens neue proeuropäische Regierung unter Ministerpräsident Tusk will auch deshalb die Justizreform rasch rückgängig machen.
    Als eine der ersten Maßnahmen überhaupt schasste die neue Regierung die gesamte Führung der öffentlich-rechtlichen Medien. Betroffen waren der Fernsehsender TVP, das polnische Radio sowie die Nachrichtenagentur PAP. Ihnen war in den letzten Jahren Propaganda im Sinne der PiS-Regierung vorgeworfen worden. Künftig sollen die öffentlich-rechtlichen Medien wieder fair und ausgewogen berichten. PiS-Vertreter protestierten gegen die Maßnahme.
    Der Neustart der Regierung Tusk in der EU werde durch die Entwicklungen in Polen erschwert, sagt der Politologe Kai-Olaf Lang. Denn die Regierung sei vor allem damit beschäftigt, die innenpolitische Krise zu managen. Hinzu komme der Druck der PiS beim Thema Migration auf das neue Kabinett. In den großen Fragen der Sicherheitspolitik und der Unterstützung der Ukraine sei Polen hingegen weiter auf Kurs.

    tei