Freitag, 19. April 2024

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Drogen in der Psychotherapie
Markt der Magischen Pilze

LSD und Magic Mushrooms gelten als halluzinogene Drogen. Jetzt will die Psychotherapie sie nutzen, um Sucht oder Depressionen zu behandeln. Unternehmen warten schon auf die Ergebnisse der ersten großen Studien - und möchten mitverdienen.

Von Arndt Reuning | 09.10.2022
Psilocybe Semilanceata (Spitzkegeliger Kahlkopf), besser bekannt als sogenannter "Magic Mushroom" in einer Makro-Aufnahme.
Die "Bewusstseinsveränderung" durch psychotrope Wirkstoffe könnte - zusammen mit einer Psychotherapie - bei schweren Depressionen helfen. Für Pharma-Unternehmen öffnet sich möglicherweise ein neues, lukratives Geschäftsfeld. (imago / YAY Images )
Sie erinnern sich: "Trainspotting". Dieser Film aus den Neunzigern. Da gibt es diese eine Szene, in der eine der Hauptpersonen sich bei seinem Dealer einen Schuss setzt. Er hockt auf dem Boden, auf einem roten Teppich. Und als das Heroin in seine Adern strömt, kippt er nach hinten um. Die Musik setzt ein: Lou Reed, „Perfect Day“. Und der Teppich sinkt mit diesem Typen zusammen in den Boden, immer tiefer. Immer tiefer. Er driftet weg aus dieser Welt.
Genau so, sagt Felix Schickedanz, habe er sich gefühlt, als er zum ersten Mal auf Ketamin war. „Körperlich sehr angenehm. Eine unglaubliche körperliche Ruhe, Wärme, ganz ausgeprägte Entspannung. Ich will’s jetzt nicht verherrlichen, aber es war körperlich wirklich ein ganz tolles Gefühl. Megaentspannt, ganz toll. Als wenn man im weichsten Bett der Welt liegen würde und sich ganz toll entspannen kann.“

Bloß dass Felix Schickedanz die Partydroge nicht von einem windigen Dealer bekommen hat in einem schäbigen Hinterzimmer, sondern in einer Klinik unter Aufsicht einer Anästhesistin. Und dass er die Substanz als Teil einer Behandlung genommen hat, gegen Depressionen. Drogen gegen seelische Leiden. Das klingt paradox – und ist auch nicht ganz unumstritten. Doch manche Fachleute sehen inzwischen ein riesiges Potential. Und etliche Unternehmen möchten dabei mitverdienen.

Droge als Therapie-Katalysator

Felix Schickedanz lebt in der Nähe von Potsdam, ist ungefähr vierzig Jahre alt. Seit seiner Jugend leidet er immer wieder unter depressiven Phasen: „Also seit ungefähr dem fünfzehnten Lebensjahr immer mal wieder, auch mal über längere Zeiträume nicht. Aber doch mal immer wieder; ist halt schon ein Begleiter geworden. Es überrascht mich nicht mehr großartig, wenn es dazu kommt. Auch wenn’s dann halt nicht schön ist.“

Wenn die Depressionen kommen, fließt die Energie aus ihm heraus. Als hätte man seinen Antrieb ausgeschaltet: „Sachen, die einem sonst als völlig irrelevant und so und auch gar nicht der Notwendigkeit unterliegen, da viel Energie reinzustecken, bis hin zum ganz trivialen Telefonat, sind in harten Depressionsepisoden schier unmöglich.“
Die Gedanken drehen sich um sich selbst, wie im Leerlauf. Alles Positive verblasst, die Negativspirale beginnt. Auch körperlich. „Ausgeprägte Schlaflosigkeit, komplette Appetitlosigkeit, unglaubliche Unruhe und Aufregung bis hin zu Angststörungen, ohne dass sie konkret jetzt sachverhaltsbezogen wären, schwer zu beschreiben, und man eigentlich nur die Zeit zählt, bis man den Bewusstseinszustand verlässt und es nicht mehr ertragen muss.“

Er hat Antidepressiva genommen – immer wieder über fünfundzwanzig Jahre hinweg. An seiner Situation haben sie nichts geändert. Im vergangenen Jahr hat er von einer neuen Behandlung gehört: Sie wird unterstützt von dem Wirkstoff Ketamin. Eigentlich ist es ein Betäubungs- und Schmerzmittel und es hat „Nebenwirkungen“: Es kann Halluzinationen hervorrufen. Eine verzerrte Wahrnehmung. Das Gefühl, von der Umgebung und von der eigenen Persönlichkeit getrennt zu sein. Dieses Erleben ist ausdrücklich erwünscht in der substanzunterstützten Therapie. Die Droge soll wie ein Katalysator wirken für einen psychischen Transformationsprozess.

"Bewusstsein erweiterndes" LSD landet im Giftschrank

Die Idee geht zurück auf die Sechziger Jahre. Damals begannen Psychiater, mit bewusstseinsverändernden Substanzen zu experimentieren. Mit LSD vor allem. Die Substanz sollte für die Psychologie das sein, was das Teleskop für die Astronomie war: Sie sollte vollkommen neue Welten erschließen, bisher ungekannte Einblicke liefern in die Psyche. Und dann erreichte LSD die Massen. Der Stoff wurde zu einem Symbol der Gegenkultur. Er stand für Umbruch, für Revolution. „Turn on, tune in, drop out.“

In den Medien häuften sich dann auch die Berichte von schweren Psychosen, ausgelöst durch LSD, hieß es. Berichte von Selbsttötungen und Gehirnschäden. Schließlich wurde der Gebrauch der Substanz verboten. Und damit kam auch die Forschung an Psychedelika vorerst zum Erliegen.
Bis sich vor etwas über zehn Jahren neues Interesse an sogenannten psychotropen Substanzen in der Therapie regte. Damals hatte ich zum ersten Mal über das Thema berichtet. Das wiedererwachte Interesse an den Wirkstoffen hielt sich noch in Grenzen. Es gab eine kleine Community in der Forschung bei Sucht, Depression und posttraumatischer Belastungsstörung. Und daneben Menschen, die Behandlungen illegal durchgeführt haben; oft vor einem esoterischen Hintergrund, und manchmal mit tödlichen Folgen. Auch Henrik Jungaberle sah in den Psychedelika eher eine Nischentherapie.

„Es ist immer noch ein Randphänomen, und es wird ein Randphänomen bleiben. Aber es gibt einige sehr interessante Behandlungsfelder, zum Beispiel die Therapie am Ende des Lebens.“

Erste psychedelische Klinik Deutschlands

Den Forscher hatte ich damals an der Universität Heidelberg getroffen. Was hat sich seitdem geändert? Jetzt, über zehn Jahre später, leitet Henrik Jungaberle die „MIND Foundation“ in Berlin. Die MIND Foundation versteht sich selbst als eine Weiterbildungs- und Wissenschaftsorganisation auf dem Gebiet der psychedelischen Therapie.

Ovid Health Systems und die Ovid Clinic sind Partnerorganisationen der MIND Foundation. Die Klinik bietet Ketamin-unterstützte Therapien an. Auch Felix Schickedanz wird hier behandelt. Henrik Jungaberle erwartet mich schon. Wie ich ihn in Erinnerung hatte: Ein herzliches Lächeln und strahlende Augen.

„Ich habe achtzehn Jahre lang am Uniklinikum in Heidelberg gearbeitet und bin 2014 nach Berlin gezogen, um dann zwei Jahre später die Mind Foundation zu gründen. Und ich habe nach vielen Jahren von Forschung an der Universität, sagen wir’s mal ganz platt, Lust darauf gehabt, diesen Bereich in Europa auch mitzugestalten.“

Er führt mich in einen Raum, der wie ein gewöhnliches Großraumbüro aussieht: Schreibtische mit drei, vier Menschen, die sich schweigsam über ihre Tastatur beugen. Und eine Tür in der Wand. „Wir stehen jetzt an der Tür zur ersten psychedelischen Klinik Deutschlands. Und wenn wir die gleich aufmachen, werden wir merken, dass die Atmosphäre eine ganz andere ist als hier.“ „Dürfen wir das? Da steht: ‚Do not disturb‘.“ „Ja, das dürfen wir, weil die Leiterin der Klinik, meine Frau, gerade neben uns steht und uns das erlaubt.“ „Sehr schön!“ „Bitte sehr!“
Strukturformel von Ketamin
Ketamin ist ein zugelassenes Schmerz- und Narkosemittel, wird aber auch als Party- oder Livestyledroge konsumiert (imago/PantherMedia/Jurgis Mankauskas)

Ketamin wirkt bei jedem Menschen anders

Andrea Jungaberle ist Fachärztin für Anästhesie und Notfallmedizin. Auf dieser Seite der Tür befindet sich ihr Reich. „Ja, willkommen in der Ovid-Praxis. Wir stehen jetzt gerade hier im Wartebereich. In der Regel arbeiten wir momentan hier mit Ketamin-unterstützter Therapie.“
„Sieht aus wie ne ganz normale Praxis erstmal…“ „Naja, es ist ja auch erstmal eine ganz normale Praxis. Wir haben ein Team bestehend aus Ärzt:innen und Anästhesist:innen, ein Team aus Psychotherapeut:innen. Wenn man in die Zimmer rein guckt, in die Behandlungszimmer, wird einem klar, dass hier kein Allgemeinarzt arbeitet.“
„Können wir das vielleicht mal tun?“ „Natürlich, sehr gerne.“

Eine substanzunterstützte Therapie in der Ovid Clinic erstreckt sich über mehrere Wochen. Wer daran teilnimmt, kommt in dieser Zeit fünfmal zu einer Ketamin-Sitzung in die Praxis. Der Wirkstoff wird dabei intravenös verabreicht. „Da steht ein Perfusor in der Ecke, also eine Spritzenpumpe, über die das Ketamin appliziert werden kann, Kopfhörer daneben. Die Patienten bekommen Musik auf die Ohren, während sie das Medikament erhalten. Und wenn Sie sich hier umgucken, merken Sie: Wir haben versucht, eine Stimmung zu schaffen, in der die Patienten sich möglichst wohlfühlen. Was Warmes, Organisches.“

Ein Teppich auf dem Boden, ein Landschaftsbild an der Wand. In der Ecke eine Zimmerpflanze. Hier wird den Patienten nach intensiver Vorbereitung das Ketamin injiziert. Eine Stunde ungefähr dauert das veränderte Bewusstsein an. Was in dieser Zeit passiert, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch.

„Wir haben Patienten hier, die sagen, sie haben zehn Jahre nicht tief fühlen können und sind entweder überglücklich oder tieftraurig, erleben sozusagen das, was vorher gar nicht möglich war. Ich hatte letztens eine Patientin, die hat so schreiend gelacht, dass unsere medizinische Fachangestellte gucken kam, ob bei uns alles in Ordnung ist, weil das bis auf den Flur zu hören war. Oder auch Menschen, die einfach Erkenntnisprozesse durchlaufen, die plötzlich verstehen, was die Mechanismen sind, die ihre Depression aufrechterhalten. Oder warum sie es nicht schaffen, therapeutische Erkenntnisse wirklich in ihr Leben umzusetzen. Das sind alles so Dinge, die hier möglich werden.“

Off-Label-Behandlung mit Ketamin

LSD, die Pilzdroge Psilocybin oder der Ecstasy-Inhaltsstoff MDMA - sie alle sind in Deutschland nicht verkehrsfähig. Sie dürfen auch nicht benutzt werden, um Menschen damit zu behandeln. Außer mit Sondergenehmigung im Rahmen kontrollierter klinischer Studien. Mit Ketamin sieht es anders aus. Denn es ist ein zugelassenes Schmerz- und Narkosemittel.

„Ketamin ist reguliert wie jede andere verschreibungspflichtige Substanz, also wie zum Beispiel schon Ibuprofen 600 oder ein Antibiotikum.“ In der Berliner Praxis findet mit dem Ketamin jedoch eine Off-Label-Behandlung statt. Also nicht für den Zweck, für den das Medikament zugelassen worden ist – als Schmerz- und Narkosemittel.

„Aber es hat sich eben gezeigt, dass dieses Medikament auch bei Depressivität, gerade bei Suizidalität hilfreich ist. Und da ist es eben im Ermessen eines Facharztes, zu entscheiden, ob in einem individuellen Heilversuch ein Patient davon profitieren kann, eine solche Substanz zu erhalten. Und dann trägt man auch als Arzt eine andere Verantwortung für die Anwendung, darf das dann aber vollkommen legal und ohne Einschränkungen dann tun.“

Psychedelische Wirkung nicht garantiert

Auch Felix Schickedanz hat sich dazu entschlossen, seine immer wiederkehrenden depressiven Phasen hier mit einer Ketamin-unterstützten Therapie behandeln zu lassen: „Da war schon eine gewisse Aufgeregtheit auf jeden Fall. Weil einfach die Situation, etwas intravenös zu bekommen, da hat ja jeder so seine Bilder zu. Und dann die Aufregung, so 'uiuiui', was wird das jetzt werden, wie wird es sich anfühlen? Bin ja mal gespannt.“

Ihm wird der Zugang gelegt, und langsam strömt das Ketamin in seine Adern. Felix Schickedanz macht sich bereit für einen psychedelischen Trip. Doch der – kommt dann nicht. „Ja, erstaunlicherweise habe ich die Ketamine ausschließlich physisch wahrgenommen. Ich hatte keine psychedelische Erfahrung. Ich hatte keinen psychedelischen Effekt.“

Ein Gefühl tiefer Entspannung. Aber keine Halluzinationen, keine veränderte Wahrnehmung. „Und das war natürlich dann im Nachgang zu der ersten Sitzung erstmal für mich persönlich, ohne es mit der Therapeutin ausgewertet zu haben direkt danach, erst einmal relativ enttäuschend.“

Es folgt die zweite Sitzung: Und wieder keine psychedelische Wirkung. Die dritte, die vierte, die fünfte Sitzung. Nichts. Sollte es das für Felix Schickedanz gewesen sein?

Interesse an Therapie mit Psychedelika gewachsen

Vor über zehn Jahren, als ich zum ersten Mal über die Therapie mit psychotropen Substanzen berichtet habe, war das Interesse daran gerade erwacht. Vereinzelte Studien fanden wieder statt, nachdem das Forschungsfeld Jahrzehnte lang brach gelegen hatte. Aber nur mit kleinen Zahlen von Probanden. Es war ein erstes, zaghaftes Herantasten auf Seiten der Wissenschaft. Das hat sich mittlerweile geändert, bestätigt auch Henrik Jungaberle:

„In den letzten fünfzehn Jahren ist wahnsinnig viel passiert im psychedelischen Bereich. An über dreißig Universitäten weltweit findet Forschung statt. Es gibt zahlreiche klinische Studien, oftmals mit kleinen Patientenzahlen. Aber manchmal auch, wie in Deutschland, mit schon ganz ordentlichen Patientenzahlen. Es gibt Grundlagenforschung mit neurowissenschaftlichen Imaging-Methoden, mit PET, mit fMRI. Das alles und psychotherapeutische Forschung an vielen Universitäten, aber auch an privaten Forschungsinstituten wie bei uns.“

Viele kleine Firmen sind aus dem Boden gesprossen, die die Therapie mit den noch verbotenen Stoffen auf den Markt bringen wollen. Startup-Unternehmen, vor allem in Nordamerika. Und was die Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen mit Hilfe der Ecstasy-Komponente MDMA angeht: Gerade bei Kriegsveteranen in den USA wird hier ein großer Bedarf gesehen – und ein gewaltiger Markt. Auch das hatte es vor zehn Jahren nicht gegeben: die Kommerzialisierung dieser Therapieform.

„Es gibt Investoren in dem nordamerikanischen Bereich, die hier viele Millionen schon in Firmen investiert haben. Die klassische Pharmaindustrie hält sich noch zurück, wobei es Kontakte von Otsuka und Novartis gibt. Die beobachten das schon alles genau. Und wenn die ersten Therapien auf den Markt kommen, ich denke, spätestens dann wird auch Big Pharma sich stärker für diese Substanzen interessieren.“

Klinische Studie mit Psilocybin

Bevor das aber geschieht, müssen klinische Studien beweisen, dass die Therapien wirksam und sicher sind. Und diese Studien sind teuer. Sehr teuer. Fünfzig, achtzig, einhundert Millionen Euro für die entscheidende Phase III. Es könnte eine Herausforderung sein, solche Beträge ohne Unterstützung durch die Pharmaindustrie zu mobilisieren. Die Mind Foundation ist beteiligt an einer klinischen Studie der Phase II. Mit an Bord ist die Charité in Berlin. Die Zügel in der Hand hält dabei das „Zentralinstitut für Seelische Gesundheit“ in Mannheim.

Die Episode-Studie soll erproben, ob sich schwere, behandlungsresistente Depressionen mit einer Kombination aus Psychotherapie und dem Wirkstoff Psilocybin therapieren lassen.

Psilocybin ist der Wirkstoff aus „Magischen Pilzen“, also Pilzen der Gattung Kahlköpfe. In seiner Wirkung ähnelt Psilocybin dem LSD, wird aber als sanfter oder wärmer beschrieben. Halluzinationen, aber auch das Gefühl, Einsicht erlangt zu haben in Lebenszusammenhänge. Und religiöse Erfahrungen.

Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, kurz ZI, ist nicht nur Klinikum, sondern auch ein wichtiger Forschungsstandort. Am ZI treffe ich den Psychiater Gerhard Gründer. Braunes Polo-Shirt, beige Hose. Dazu flache, türkisfarbene Chucks. Er leitet die klinische Prüfung der Episode-Studie. Mit ihm bin ich unterwegs zur „early clinical trials unit“. Dort erhalten die Probanden das Psilocybin.
"...Sieht nicht sehr einladend aus hier. Aber das wird sich auch verändern. Wir haben die Verschönerung schon geplant. Denn Sie wollen natürlich, wenn Sie hier aus unserem Substanz-Sitzungs- oder Behandlungszimmer kommen, dann wollen Sie nicht auf einen sterilen, kalten Krankenhausflur kommen. Das ist jedenfalls meine Auffassung. Und deshalb dränge ich darauf, dass der Flur freundlicher gestaltet wird.“ „Ja, sieht ein bisschen kalt aus. Weiß, blau…“ „…künstliches Licht. Das ist einfach nicht das, wie man sich das hier wünscht.“

Latte liegt sehr hoch

„Das ist unser sogenannter Substanz-Sitzungsraum oder Behandlungsraum, in dem die Patienten den ganzen Tag hier mit uns verbringen.“ Die Episode-Studie ist noch nicht abgeschlossen. Insgesamt 144 Patientinnen und Patienten sollen insgesamt an ihr teilnehmen. Also deutlich mehr als noch vor rund zehn Jahren.

„Es handelt sich um die größte Wissenschafts-initiierte Studie mit einem Psychedelikum, die jemals durchgeführt wurde. Und die zweitgrößte überhaupt. Die größte Studie ist tatsächlich eine Studie von einem britischen Pharmaunternehmen, die im letzten Herbst abgeschlossen worden ist.“

In Frage kommen Menschen, die unter therapieresistenten Depressionen leiden. Laut medizinischer Definition heißt das: sie haben auf zwei Standard-Antidepressiva, die sie über mindestens sechs Wochen in ausreichender Dosierung eingenommen haben, nicht zufriedenstellend angesprochen. Die Wirklichkeit, so Gerhard Gründer, sei aber weitaus ernüchternder.

„Wir hatten jetzt letzte Woche eine Patientin, die hat vierzig verschiedene Substanzen eingenommen. Also, die Ausnahme sind eher die, die erst tatsächlich wenige Antidepressiva versucht haben. Die meisten haben über viele Jahre ganz viele verschiedene Substanzen genommen, haben über viele Jahre Psychotherapie gemacht und sagen zum Teil, dass sie seit Jahren und im Einzelfall sogar seit Jahrzehnten keine gute Woche mehr gehabt haben und zum Teil keinen guten Tag. Also, es handelt sich um eine Patientengruppe, die schwer chronisch krank ist. Also, die Latte liegt hier sehr hoch.“

In jeglicher Hinsicht. Teilnehmen darf nur, wer selbst nicht unter einer Psychose leidet oder gelitten hat. Dasselbe gilt wegen einer möglichen Veranlagung auch für Angehörige ersten Grades. Außerdem war eine Genehmigung notwendig durch eine Ethikkommission und durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Psilocybin-Zulassung könnte sich noch Jahre hinziehen

„Die ganzen Prozesse haben uns letztendlich anderthalb Jahre gekostet. Die größte Hürde war die Beschaffung der Substanz. Das hat sehr viel Zeit gekostet. Zeit und Nerven.“ Das Psilocybin muss gewissen Standards genügen, damit die Substanz keine Verunreinigungen enthält. Nur wenige Firmen können die Droge unter diesen Bedingungen liefern.

„Wenn man das auf sich nimmt, dann muss man es wirklich wollen. Das hier ist so aufwändig. Also, ich habe tatsächlich mit einer Mitarbeiterin von mir, einer Doktorandin, wir haben das mal überschlagen, wir haben sicherlich in die Studienvorbereitung, allein in die Studienvorbereitung, mehr als tausend Stunden Arbeit investiert.“

Eine ähnliche klinische Studie der Phase II ist bereits von dem britischen Unternehmen Compass Pathways durchgeführt worden – mit rund 230 Probanden. Mit durchaus positiven Ergebnissen: Eine einzige Psilocybin-Dosis konnte die behandlungsresistenten Depressionen merklich lindern. Knapp vierzig Prozent der Menschen, die die höchste Dosis der Droge erhalten hatten, fühlten bis zu drei Wochen lang eine signifikante Besserung ihres Zustandes. Bei denen, die die niedrigste Dosis erhalten hatten, sozusagen das Placebo, waren es bloß halb so viele. Ein deutliches Signal. Eine Phase-III-Studie soll nun Ende 2022 starten. Erst deren Resultate könnten den Weg zur Zulassung ebnen. Doch bis dahin dürften noch ein paar Jahre vergehen.

„Optimisten sagen, in drei bis vier Jahren. Ich bin eher, die regulatorischen Prozesse und die Studiendauern kennend, ein bisschen pessimistischer. Ich würde sagen, fünf bis sieben Jahre ist realistisch.“

Psychotroper Wirkstoff plus Psychotherapie

Eine Herausforderung besteht darin, dass hier nicht nur einfach ein Wirkstoff zugelassen werden soll, so wie bei den herkömmlichen Antidepressiva. Sondern Psychotherapie plus psychedelischer Wirkstoff. Für die Zulassung solch einer Behandlungsform hat sich noch kein Verfahren etabliert. Gerhard Gründer: „Die Substanz ist ein Katalysator und nicht die Pille, die Sie morgen als anderen Menschen aufwachen lässt. Das ist immer noch Arbeit.“

Es ist immer noch Arbeit. Das hat auch Felix Schickedanz an der Ovid Clinic in Berlin erfahren, wo er an der Ketamin-unterstützten Therapie teilgenommen hatte. Weil die Droge ihn nicht wie erhofft auf einen psychedelischen Trip geschickt hat, einigt er sich mit dem Team der Klinik darauf, die Dosis für einen sechsten Versuch zu erhöhen – und diesmal setzt die gewünschte Wirkung ein. Zu beschreiben, was er dabei erlebt hat, fällt ihm nicht leicht.

„Wie erklärt man einem einen Orgasmus, der noch keinen hatte? Also, ich hatte keine Halluzinationen, ich hatte auch keine Visuals als solche, dass ich jetzt Farbspektren oder Muster wahrgenommen hätte, das war alles nicht der Fall. Mir war’s dann in dieser Sitzung nicht möglich, meine Gedanken aktiv zu steuern. Ich konnte im Prinzip nur zusehen, also dabei sein, also ich war so ein Stück außerhalb meiner selbst. Ich war ein Stück außerhalb meiner selbst und war ein bisschen Passagier meines eigenen Bewusstseins. Also, ich vergleiche es immer so damit, als wenn mir jemand das Gehirn rausgenommen hätte und das ganz, ganz, ganz doll durchgeschüttelt hätte und es mir dann wieder eingesetzt hätte.“

Was er auf seinem Trip erlebt, bespricht er hinterher mit seiner Therapeutin. Diese sogenannte Integrationssitzung ist ein fundamentaler Baustein der Behandlung. Felix Schickedanz: „Also spielt eine riesengroße Rolle und am Ende aus meiner Sicht, aus meiner Erfahrung auch, die deutlich bedeutendere Rolle die therapeutische Komponente, als die Wirkstoffkomponente.“
Patient und Therapeut (Illustration)
Der Wirkstoff ist nur eine Komponente der Behandlung - für die "substanzunterstützte Psychotherapie" gibt es bislang allerdings noch keine Zulassung (imago images/fStop Images)

Unternehmensgründung "aus sehr persönlichen Gründen"

Aber ohne Wirkstoff geht es nun mal auch nicht. Eine spezielle Form von Ketamin ist seit drei Jahren zur Behandlung schwerer depressiver Phasen zugelassen. Verabreicht wird es in Form eines Nasensprays in Kliniken und Arztpraxen. Mindestens über vier Wochen hinweg, zweimal pro Woche. Immer in Kombination mit einem klassischen Antidepressivum. Für die substanzunterstützte Psychotherapie, bei der das Ketamin wie ein Katalysator wirken soll durch ein- oder zweimalige Gabe, existiert noch keine Zulassung.
Und auch die anderen psychotropen Substanzen wie LSD oder Psilocybin gegen Sucht oder posttraumatische Belastungsstörungen werden bisher nur im Rahmen von klinischen Studien erprobt. Trotzdem hat sich schon eine ganze Industrie entwickelt, die diese Wirkstoffe vermarkten will. Zu ihr gehört auch das Unternehmen „atai Life Sciences“ aus Berlin.

„Wir haben atai gegründet im Jahr 2018 aus sehr persönlichen Gründen, weil wir aus erster Hand erlebt haben im privaten Familienumkreis und im Freundeskreis erlebt haben, wie Familienmitglieder und Freunde Depressionen entwickelt haben und in den jetzigen Behandlungsmöglichkeiten, die verfügbar sind, keine Verbesserung ihrer Symptomatik erfahren haben.“

Florian Brand ist Geschäftsführer des Unternehmens. Ein anderer Mit-Gründer war selbst an Depressionen erkrankt und war so auf die ersten Psilocybin-Studien aufmerksam geworden. Damit hatte alles begonnen.

„Wir haben gesehen, dass einige Non-Profit-Unternehmen in dem Feld aktiv waren, aber eben noch kein großes Pharmaunternehmen diese Substanzen sehr rigoros nach dem heutigen, modernen Forschungsstand erforscht haben in klinischen Studien.“

Goldgräberstimmung in der Pharma-Branche

Aus atai ging schließlich die Tochterfirma Compass Pathways hervor, also jenes Unternehmen, das die bisher größte klinische Studie zu Psilocybin durchgeführt hat. Im Moment dürfte im Portfolio von atai ein spezielles Ketamin am weitesten entwickelt sein, nämlich in Phase II. Es soll sich besonders gut für Anwendungen zu Hause eignen. Sorge bereitet Florian Brand ein voreiliger Ruf nach der Legalisierung solcher psychedelischer Substanzen.

„Es gibt einige, die sehr begeistert sind von dieser psychedelischen Renaissance. Und wir sind da sehr darauf bedacht, dass wir diese Substanzen wie jede andere Moleküle auch, sehr rigoros erforschen müssen, dass wir da keine zu großen Erwartungen schüren.“

Eine anfängliche Skepsis gerade auf Seiten der etablierten Psychopharmaka-Hersteller sei schließlich einer Goldgräberstimmung gewichen.

„Also diese Goldgräberstimmung war nicht unbedingt nur im unternehmerischen Feld. Die konnte man auch im akademischen Feld sehen. Es gab einen extremen Schub an akademischen Studien, die diese Substanzen untersucht haben. Und das hat dann relativ schnell zu einem Stimmungswandel geführt in der sogenannten neuropsychiatrischen Community in Europa und in den USA. Und das alles zusammen hat viele Unternehmer auf den Plan gerufen.“

Therapie muss vorerst selbst bezahlt werden

Im Jahr 2018 war Cannabis in Kanada legalisiert worden. Daraufhin haben sich viele nicht immer seriöse Firmen einen schnellen Dollar versprochen: Züchter, Händler und so weiter. In den USA wird nun auch über die Legalisierung von Psychedelika diskutiert. Und auch hier setzte kurzfristig ein Boom ein. Florian Brand: „Und dann gab es eben viele, die das schnelle Geld gewittert haben, wo wir eben starke Risiken sehen und das ebbt jetzt so langsam wieder ab und ich bin froh zu sehen, dass Biopharma-Unternehmen die Oberhand in dem Feld gewinnen.“

Felix Schickedanz hat eine Therapie durchlaufen, die durch die Droge Ketamin unterstützt wurde. Als er sich in Behandlung begab, litt er nicht akut unter Depressionen. Daher kann er noch nicht sagen, wie erfolgreich die Sitzungen wirklich waren. Die Nagelprobe steht noch aus, aber er fühlt sich besser gewappnet.

„Ich habe eine noch größere Achtsamkeit zu mir selber entwickelt im Kontext von Alltag. Also, Stressbelastung, die man ganz normal im Alltag hat, also sprich Arbeit. Oder generell auch die eigene Wahrnehmung zu sich selber: Geht es einem gut? Was ist überhaupt Gutgehen? Schleicht sich vielleicht eine Depression an oder ist es einfach nur mal ein schlechter Tag?“

Die substanzunterstützte Therapie musste er aus eigener Tasche bezahlen. Mehrere tausend Euro. Er sagt, die Behandlung habe sich für ihn gelohnt. „Das hat sich auf jeden Fall gelohnt, weil ich jetzt in einem Modus bin, wo ich zum Beispiel keine Antidepressiva mehr nehme. Von daher: Ja, das hat sich eindeutig gelohnt. Und jeder Euro davon war es wert, einfach weil ich so viel gelernt habe.“

Nicht nur Felix Schickedanz hat viel gelernt. Das Wissen darum, was mit dieser Behandlung möglich ist und was nicht, ist in den vergangenen zehn Jahren unglaublich gewachsen. Aber solange groß angelegte Studien der Phase III noch kein Ergebnis geliefert haben, bleibt ein gewisses Risiko für die Betroffenen. Nur diese Untersuchungen garantieren die Sicherheit, die im Umgang mit den psychotropen Substanzen unabdingbar ist. Können sie Menschen mit Depression, Sucht oder anderen Leiden wirklich und dauerhaft helfen? Schauen wir mal in zehn Jahren, wie es dann aussieht.