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Religion auf YouTube
Auf der Suche nach einer neutralen Stimme

Auf YouTube wimmelt es von Religion. Aber zwischen Lebenshilfe auf der einen und Hassrede auf der anderen Seite fehlen neutrale Stimmen, findet der US-Religionswissenschaftler Andrew Mark Henry. Deshalb startete er den Kanal "Religion for Breakfast" - mit inzwischen mehr als 110.000 Abonnenten.

Von Christian Röther | 17.02.2020
Ein Screenshot zeigt das Kanallogo von Religion For Breakfast
Sachliche religionswissenschaftliche Betrachtungen sind auf YouTube selten zu finden (YouTube / Religion For Breakfast)
"Welcome to ‚Religion for Breakfast‘, a channel dedicated to the academic study of religion."
So begrüßt Andrew Mark Henry die Besucher seines YouTube-Kanals "Religion for Breakfast" - "Religion zum Frühstück". Und er stellt direkt klar: Er will weder jemanden konvertieren, noch will er Religion schlecht machen.
"You might be thinking that I am trying to convert you. Or maybe you are thinking that I am trying to bash religion as the worst thing ever."
Es geht Andrew Henry nicht um letzte Wahrheiten, sagt er, sondern er will die "religiöse Alphabetisierung" verbessern. Er will, dass die Menschen durch seine Videos mehr über Religion lernen.
"We here at ‘Religion for Breakfast’ are committed to improving your religious literacy."
"Mehr als nur die Fakten und Zahlen"
Was genau er damit meint, erklärt der YouTuber im Interview. Ich erreiche ihn in Jerusalem, wo er gerade seine Doktorarbeit abschließt:
"Religiöse Bildung ist mehr als nur die Fakten und Zahlen. Klar kann man die fünf Säulen des Islams auswendig lernen, oder die Unterschiede zwischen Protestantismus und Katholizismus. Aber viel wichtiger ist es, zu verstehen, dass Religionen sich immer weiter verändern. Und dass Religionen sehr vielschichtig sind. In ein und derselben Kirche können Menschen an sehr unterschiedliche Dinge glauben. Und Religionen sind nicht eigenständig, sondern sie sind eng verbunden mit dem Rest der Gesellschaft. Wo du auch hinschaust, du findest immer Einfluss von Religion."
Um diesen Einfluss zu zeigen und erklären, beschäftigt sich Andrew Henry in seinem YouTube-Kanal mit ganz unterschiedlichen Themen. Henry ist US-Amerikaner und promoviert an der Boston University. Er ist Religionswissenschaftler, sein Spezialgebiet ist das frühe Christentum. Das merkt man auch in den Videos.
"If you know anything about ancient Christianity, you might have heard of Gnosticism. / The gospel of Thomas is probably the most famous non canonical gospel. / Jesus was Jewish, Paul was Jewish, Peter was Jewish. / Mary Magdalene is both: very famous, and very misunderstood."
"Diese Lücke wollte ich schließen"
Es geht um Maria Magdalena oder die Gnosis oder das Thomas-Evangelium. Oder darum, wie sich Judentum und Christentum getrennt haben. Es gibt aber auch viele andere Themen in dem Kanal, die nichts mit dem frühen Christentum zu tun haben: von Einführungen in Islam oder Buddhismus, bis hin zu Religion im Videospiel Pokemon.
"How Japanese religion has influenced Pokemon, the video game. To more introductory topics, like an introduction to Islam or Buddhism or Hinduism."
Screenshot: Andrew Mark Henry in einem seiner Videos
Andrew Mark Henry schließt mit seinem YouTube-Kanal eine Lücke (YouTube / Religion For Breakfast)
Mit den Videos angefangen hat Andrew Henry vor rund fünf Jahren. Damals schaute er selbst gerne wissenschaftliche Kanäle bei YouTube, aber er fand keinen, der sich religionswissenschaftlich mit Religion befasste. Also machte er es selbst:
"Ich habe den Kanal ins Leben gerufen, weil mir aufgefallen ist, dass es da eine Lücke gibt. Es gibt zwar viele YouTuber, die über Religion reden. Das sind entweder religiöse Menschen, die über Glaubensfragen sprechen oder erklären, wie man sein Leben richtig leben sollte. Und dann gibt es noch viele anti-religiöse und atheistische YouTuber. Aber es gab einfach nichts in der Mitte, wo man versucht, Religion wissenschaftlich zu verstehen. Und diese Lücke wollte ich schließen."
"Die Leute haben darauf gewartet"
Mit dem Namen "Religion zum Frühstück" wollte Henry klarmachen: Hier soll es nicht so verbissen zugehen wie sonst oft beim Thema Religion. Sondern wissenschaftlich und informativ, aber auch locker und ein bisschen lustig.
"Oh, religion, that’s awkward. I’m sorry I even asked."
Henry hat offenbar einen Nerv getroffen, denn inzwischen hat sein Kanal über 110.000 Abonnenten. Sein beliebtestes Video wurde 1,3 Millionen mal angeklickt. Zahlen, von denen die wissenschaftliche Community meist nicht mal träumen kann. Henry sieht seinen Kanal deshalb auch als Werbung für die Religionswissenschaft. Denn viele Menschen wüssten gar nicht, dass es diese Art von Religionsforschung gibt – bis sie beim googeln zufällig auf seinem Kanal landen.
"Ich glaube, ich habe so viele Zuschauer, weil ich keine Konkurrenz habe. Es gibt einfach keine anderen YouTube-Kanäle, die sich so wie ich mit Religion befassen. Ich hoffe aber, dass es bald noch mehr gibt. Denn die Leute haben darauf gewartet."
"Religion ruft starke Emotionen hervor"
Andere YouTuber mit so vielen Klicks machen ihre Kanäle oft zu Geld. Sie werben in ihren Videos oder verkaufen eigene Produkte. Oder sie finden Sponsoren. Bei Andrew Herny klappt das allerdings kaum, sagt er, und er vermutet, dass das an seinem Thema liegt:
"Religion ruft sehr starke und manchmal negative Emotionen hervor. Ich glaube, deshalb lassen Werbeagenturen die Finger davon, obwohl ich mich ja neutral mit Religion befasse. Aber der Kanal wird durch ein paar hundert Nutzer finanziell unterstützt, durch regelmäßige Spenden, ein paar Dollar. Denn das Geld, das ich von YouTube aus deren Werbeeinnahmen bekomme, würde niemals ausreichen, um die Ausgaben des Kanals zu decken."
Und Andrew Henry hat einige Ausgaben, denn für die Videos recherchiert er nicht nur viel und braucht die technische Ausrüstung, sondern er reist auch: um Experten zu interviewen oder sich die religiösen Orte selbst anzuschauen, über die er dann ein Video macht.
"Man bekommt viel Hass ab"
Dass Religion ein kontroverses Thema ist, zeigt sich auch an den Kommentaren, die den YouTuber erreichen. Es sind viele positive darunter, sagt Henry, aber eben auch viele negative.
"Man bekommt einfach viel Hass ab. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, checke ich die YouTube-Kommentare, und viele sind sehr hasserfüllt – aus ganz verschiedenen Richtungen. Manche behaupten, ich sei ein Apologet und würde die Religion verteidigen. Andere glauben, ich sei Atheist und würde die Religion zerstören wollen. Die Leute packen mich in eine Schublade, und dann greifen sie mich an. Aber das haut mich nicht um, denn das ist nur eine Minderheit. Ich versuche, mich von dem Hass nicht beeinflussen zu lassen. Es gibt aber leider auch viele antisemitische oder islamfeindliche Kommentare. Solche Hate Speech lösche ich, denn ich möchte dazu beitragen, dass auf YouTube angemessen über Religion diskutiert wird."
Über 100 Videos hat Andrew Mark Henry schon produziert, und er hat noch jede Menge Ideen. Wenn er mit seiner Doktorarbeit fertig ist, will der Religionswissenschaftler gerne vollzeit youtuben.