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Rolle der Medien bei Impfpflicht-Debatte
„Auch der Politikersprech ist inzwischen oft ja ein Problem"

Haben Politiker eine Impfpflicht frühzeitig ausgeschlossen, weil Medien sie dazu gedrängt haben? Unser Hörer Moritz Ahlers fände das fatal für die Glaubwürdigkeit. Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek weist das zurück. Und zweifelt daran, ob man in Medien jedes politische Thema sinnvoll diskutieren kann.

Von Michael Borgers | 14.01.2022
Markus Söder und Klaus Holetschek von der bayerischen Landesregierung, beide CSU, stehen in einem Krankenhaus vor Kameraleuten
Markus Söder (l.) und Klaus Holetschek von der bayerischen Landesregierung, beide CSU, 2021 nach ihren (Grippe-)Impfungen in einem Krankenhaus vor Kameraleuten (picture alliance/dpa)
„Welche Möglichkeiten und welche Verantwortung hat politischer Journalismus, politische Debatten rechtzeitig offen zu halten oder vielleicht dazu beizutragen, dass sie sich vorschnell verengen?“ Im Kern ist es diese Frage, die Moritz Ahlers umtreibt. Und mit der er sich an den Deutschlandfunk gewendet hat, um darüber im Podcast „Nach Redaktionsschluss“ zu diskutieren.
Seine Frage macht Ahlers an der Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona fest. Hier hat der Dlf-Hörer beobachtet, wie sich ein kategorisches Ausschließen weiter Teile der Politik in der Vergangenheit zu einer Hypothek für die gegenwärtige Debatte entwickelt habe. „Und da frage ich mich rückblickend, ob der politische Journalismus diesen, ich würde sagen, voreiligen Ausschlüssen nicht hätte entgegenwirken können. Oder auch sogar müssen.“.
Wenn Politikerinnen und Politiker „einfache kategorische Aussagen“ machten, „die sich auf die Zukunft beziehen“, müsste es noch viel mehr Aufgabe von Journalismus sein, Aussagen anzuzweifeln oder auch Abwägungsprozesse herauszuarbeiten. Ahlers spricht von einer „Mitverantwortung des Journalismus“. Die erste Verantwortung liege noch immer bei der Politik selbst.

Politiker Holetschek: Politik und Journalismus sind getrieben

Das sieht auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek so. Er habe sich nicht von Medien gedrängt gefühlt, als er sich zunächst noch gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen habe. Das Thema Kommunikation erlebe er in der Pandemie aber als Besonderheit mit seinen „Unwägbarkeiten“, sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk, beispielsweise sich verändernde Aussagen aus der Wissenschaft. Für Politik wie auch Journalismus nehme er ein „Getriebensein“ wahr, so Holetschek. „Das ist eine ganz schwierige Situation.“
Klaus Holetschek (l, CSU), Staatsminister für Gesundheit und Pflege, steht vor dem provisorischen Impfzentrum in der Frauenkirche im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt neben einem Schild mit der Aufschrift "Heute Impfung ohne Termin".
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat seine Meinung bezüglich einer allgemeinen Impfpflicht geändert (picture alliance/dpa | Peter Kneffel)
Allerdings wünsche er sich dann auch die Chance, die eigene Meinung zu ändern. Er selbst habe irgendwann festgestellt, dass es nicht mehr gelinge, Menschen zum Impfen zu überzeugen. Deshalb sei er inzwischen für eine Impfpflicht.
Einen solchen Meinungswechsel müsse man Politik zugestehen, findet Holetschek, „und darf dann nicht als Wendehals interpretiert werden, der sich dann nur dreht und schon gar nicht nach der Meinung der Journalisten“.

Journalistin Hamberger: Aussagen erzeugen zum Selbstzweck?

„Das kann man dann auch respektieren und entsprechend darstellen“, findet auch Katharina Hamberger, wenn sich Meinungen zur Impfpflicht änderten. Grundsätzlich versuchten Journalistinnen und Journalisten in Interviews, „verbindliche Aussagen zu bekommen“, erklärt die Hauptstadtkorrespondentin für den Deutschlandfunk.
Katharina Hamberger, Hauptstadtstudio
Katharina Hamberger, Hauptstadtstudiokorrespondentin für den Deutschlandfunk (Deutschlandradio - Bettina Straub)
„Und dann eignen sich solche Themen natürlich, wo man sagt: Schließen Sie was aus? Oder sind Sie dafür? Und das war bei der Impfpflicht der Fall.“ Entsprechend seien zur Zeit des Wahlkampfs solche Aussagen gefallen, „wo es gut war für Politiker, mit klaren Positionen in die Medien zu kommen“. Hamberger betont: „Ich bin nicht die Babysitterin eines Politikers oder einer Politikerin.“ Denn diese seien für ihre eigenen Aussagen eben selbst verantwortlich.

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Doch auch Medien müssten sich „vielleicht ein bisschen an die eigene Nase fassen“, findet die Journalistin, nämlich bei der Frage: „Erzeugen wir solche Aussagen manchmal vielleicht zum Selbstzweck?“ Wenn es etwa darum gehe, dass wegen der schnellen Nachricht und der exklusiven Zeile versucht werde, solche Sätze zusätzlich zu befeuern.

Hörer Ahlers: Häufiger offene Diskurse

Er beobachte in sozialen Netzwerken, wie schnell sich Themen drehen, so Klaus Holetschek. Und klassische Medien böten nur noch selten Zeit, einen komplexen Sachverhalt darzustellen. Deswegen werde dort oft verkürzt. „Auch der Politikersprech ist inzwischen oft ja ein Problem in unserer Gesellschaft, dass wir manchmal um den Brei herumreden und die Menschen klare Positionen vermissen“, räumt der Politiker ein. Er vermisse aber auch „die Chance, ein Thema in einem größeren Kontext ausführlich darzustellen“.
So habe es sich bei seinen „vorsichtigen Formulierungen“ zu möglichen auch finanziellen Folgen für Ungeimpfte um einen Denkanstoß gehandelt, erklärt Holetschek. Doch es habe sich gezeigt, dass eine wertneutrale und ergebnisoffene Diskussion gar nicht mehr möglich sei.
„Häufiger offene Diskurse für eine demokratische Kultur“ wünscht sich auch Dlf-Hörer Moritz Ahlers. Und der Journalismus könne „dazu beitragen, eine Debatte offen zu halten“.
Zur Verantwortung des Journalismus gehöre es auch, „zu schauen, was hat ein Politiker tatsächlich gesagt? War das eine absolute Aussage oder ein Diskursangebot?“, findet auch Korrespondentin Katharina Hamberger. Medien müssten sich an dieser Stelle „oft hinterfragen“.