Samstag, 18. Mai 2024

Asylpolitik
Kann das Ruanda-Modell Vorbild für Deutschland sein?

Ruanda hat sich dazu bereit erklärt, Geflüchtete aus Großbritannien aufzunehmen und deren Asylverfahren abzuwickeln. Dieser Ansatz findet auch hierzulande Anklag. Zum Beispiel bei der CDU. Was spricht dafür und was dagegen?

07.05.2024
    Die Hand eines Flüchtlings ist an einem Zaun der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZABH) des Landes Brandenburg zu sehen.
    Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Seit Ruanda sich bereit erklärt hat, Flüchtlinge aus Großbritannien aufzunehmen, wird darüber spekuliert, ob ein ähnliches Modell auch für Deutschland geeignet wäre. Die CDU hat das Konzept sogar in ihr neues Grundsatzprogramm aufgenommen. Die Ampelkoalition will Drittstaaten-Lösungen zumindest prüfen.

    Inhalt

    Was ist das britische Ruanda-Modell?

    Das britische Parlament hat ein Gesetz zur Abschiebung von Migranten nach Ruanda verabschiedet. Es ermächtigt dazu, Asylsuchende künftig ohne Prüfung und ungeachtet ihrer Herkunft in das zentralafrikanische Land auszufliegen. Ihre Asylanträge werden dann von den ruandischen Behörden geprüft. Bei Zustimmung erhalten die Betroffenen dort ein Aufenthaltsrecht - also nicht in Großbritannien. Bis zum Jahresende sollen 5700 Menschen nach Ruanda abgeschoben werden.

    Kommt das Ruanda-Modell rechtlich für Deutschland infrage?

    Grundsätzlich können Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden. Doch müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Diese Bedingungen beinhalten die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Menschenrechtskonvention durch den Drittstaat. Insbesondere darf der Drittstaat Flüchtlinge nicht in Länder zurückschicken, in denen ihnen Verfolgung oder ernsthafte Gefahr droht. Diese Regeln gelten auch für das Nicht-EU-Land Großbritannien.
    Für Deutschland ist die Situation komplizierter, da es Mitglied der EU ist. Das EU-Recht macht es praktisch unmöglich, Asylverfahren in großem Umfang ins Ausland zu verlagern. Die Ampelkoalition hat zudem auf das Verbindungskriterium bestanden. Das heißt, Migranten können nur in Drittstaaten zurückgeschickt werden, zu denen sie einen Bezug haben.
    Grafik, die die Fluchtrouten über das Mittelmeer zeigt
    Es gibt viele Fluchtrouten in die EU, die meisten führen über das Mittelmeer. (dpa / dpa-infografik GmbH)
    Man kann jemanden also nicht in ein sicheres Drittland schicken, wo er sich nicht zuvor länger aufgehalten hat. Umstritten ist, ob ein bloßer Transit, also eine Durchreise von einigen Tagen, ausreichend ist.
    Das heißt: "Jemand, der über Libyen nach Tunesien einreist, den darf man nicht nach Ruanda schicken", erklärt Rechtswissenschaftler Daniel Thym. "Jemand, der über Serbien und Ungarn in die Europäische Union einreist - was viele machen, die nach Deutschland kommen - dürfte man nicht nach Marokko schicken, weil die Person sich davor nicht in Marokko aufgehalten hat."
    Dies bedeutet, dass Deutschland das Modell Ruanda, bei dem Menschen einfach irgendwohin abgeschoben werden, nicht anwenden kann.

    Welche ähnlichen Modelle gibt es bereits in der Migrationspolitik?

    Zum Beispiel den Italien-Albanien-Deal. Dieser sieht vor, dass Italien bis zu 3000 Flüchtlinge und Migranten mit schlechter Bleibeperspektive in Albanien unterbringt. Bei positivem Asylbescheid erfolgt die Überführung nach Italien, sonst die Abschiebung. Italien entsendet aber nur diejenigen nach Albanien, die auf dem Mittelmeer gerettet wurden und noch gar nicht in Italien angekommen sind. So greift das Verbindungskriterium für Italien nicht. Albanien erhofft sich im Gegenzug Unterstützung für seinen EU-Beitritt.
    Bereits 2016 kam es zum EU-Türkei-Abkommen. Die EU sicherte Milliardenhilfen zu, während die Türkei sich verpflichtete, Fluchtrouten zu schließen und zurückgeschickte Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen.

    Welche Argumente sprechen für eine ähnliche Lösung wie das Ruanda-Modell?

    Die Union argumentiert, dass sie mit dem System der sicheren Drittstaaten die Kontrolle über die Migration nach Europa und Deutschland zurückgewinnen will. Sie betont, dass es kein Recht gibt, das Zielland für Schutzmaßnahmen frei zu wählen, insbesondere wenn bereits sichere Länder durchquert wurden.
    Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Union im Bundestag, fordert einen Paradigmenwechsel, um falsche Anreize zur Migration nach Europa zu reduzieren. Er kritisiert das aktuelle System als inhuman, da es die Starken, Fitte und Jungen bevorzuge und Tausende im Mittelmeer sterben lasse.
    Ähnlich steht es auch im Positionspapier der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Parteienbündnisses von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Wer in der EU Asyl beantragt, soll auch in einen sicheren Drittstaat überstellt werden und sich dort einem Asylverfahren unterziehen. Bei positivem Ausgang solle der sichere Drittstaat dem Antragsteller Schutz gewähren. Durch den Abschluss ähnlicher Abkommen mit Transit- und Herkunftsländern soll die illegale Migration verhindert werden, während eine große Zahl von Migranten von der finanziellen Unterstützung in diesen Ländern profitieren kann.
    Migrationsforscher Gerald Knaus betont daher: Die Idee sicherer Drittstaaten ist nicht neu und bereits seit Langem im internationalen Recht sowie im EU-Recht verankert. "Wichtig dabei ist, dass sichere Drittstaaten sicher sein müssen. Man kann niemanden in irgendeine Diktatur in Afrika schicken. Aber die irreguläre Migration, die so vielen Menschen Angst macht, die im letzten Jahr zu über 3100 Toten geführt hat, sie zu reduzieren durch solche Modelle, das ist richtig, das ist sinnvoll. Ich würde sogar sagen, das ist moralisch."

    Welche Argumente sprechen gegen eine ähnliche Lösung wie das Ruanda-Modell?

    Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl haben seit Jahren die Zustände im Mittelmeer und auf anderen Fluchtrouten angeprangert. Sie argumentieren, dass das sogenannte Ruanda-Modell und ähnliche Ansätze dazu führen, dass Menschen noch gefährlichere Wege wählen, um Europa zu erreichen. Statt zu mehr Schutz führt diese Politik empirisch gesehen oft zu mehr Todesfällen und erheblichen Menschenrechtsverletzungen während der Flucht. In einer Stellungnahme von Pro Asyl heißt es, der UK-Ruanda-Deal sei rechtswidrig, menschenverachtend und dysfunktional.
    Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, sieht durch solche Modelle die Gefahr, dass sich Europa aus dem Flüchtlingsschutz zurückzieht. "Besonders schlimm finde ich es, wenn sich deutsche Politiker ausgerechnet UK als Vorbild nehmen. Das ist letztlich der Einstieg in den Rückzug aus dem europäischen Menschenrechtssystem."
    NGOs in England weisen darauf hin, dass sich seit Beginn der Ruanda-Politik die Zahl der anhängigen Asylverfahren mehr als verdoppelt hat. Es sei ist also geradezu keiner Entlastung des Systems und auch nicht zu weniger Überfahrten bisher gekommen.
    Zudem könne Ruanda aktuell wahrscheinlich 200 bis 300 Personen im Jahr aufnehmen. "Das ist weniger als ein Prozent, der Asylsuchende im letzten Jahr in England angekommen sind", erklärt Judith. Sie weist zudem auf die enormen Kosten von einer halben Milliarde Pfund hin. "Wäre das wirklich das, was jetzt in deutschen Kommunen hilft?"
    Rechtswissenschaftler Daniel Thym erklärt, dass sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch das UNHCR sichere Drittstaat-Modelle anerkennen. Allerdings müssten bestimmte Bedingungen und Details erfüllt werden. Im Fall des britischen Ruanda-Plans könnte man durchaus die Meinung vertreten, dieser sei rechtswidrig - wie das der Oberste Gerichtshof in seinem Urteil bestätigt hat.

    og