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Vor 25 Jahren gestorben
Samuel Fuller – von Hollywood zum "Tatort"-Regisseur

Samuel Fuller galt als innovativer, unkonventioneller und erfolgreicher Hollywood-Regisseur. Als seine Filme zunehmend gesellschaftskritischer wurden, konnte er nicht mehr für die Traumfabrik drehen, und so kam er nach Europa – und zum "Tatort".

Von Christian Berndt | 30.10.2022
Regisseur Samuel Fuller im Jahr 1980 bei den Dreharbeiten zu dem Film "The Big Red One", ein Film, der auf den eigenen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs basierte.
Regisseur Samuel Fuller im Jahr 1980 bei den Dreharbeiten zu dem Film "The Big Red One", ein Film, der auf den eigenen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs basierte. (imago images / Everett Collection / ©United Artists)
Mit voller Wucht schlägt die Frau mit ihrer Handtasche auf den Mann ein. So beginnt Samuel Fullers Film "Der nackte Kuss" von 1964 – eine typische Eingangsszene für den amerikanischen Regisseur, der das Publikum immer von der ersten Sekunde an packen wollte. "Schlagzeilenkino" haben Kritiker seinen Stil genannt. Und tatsächlich hat Fuller seine Karriere als Reporter gestartet.
1912 geboren, begann er mit elf Jahren als Zeitungsjunge in New York, mit 17 war er Kriminalreporter. Er schrieb für verschiedene Zeitungen, bis er als Drehbuchautor in Hollywood landete. 1948 drehte er seinen ersten Film, "Ich erschoss Jesse James". Der Western erzählt von einem Banditen, der seinen besten Freund erschießt, um die Belohnung zu ergattern. Ein gebrochener Held, wie er typisch für Fuller war.

Explosives Actionkino mit subversiver Gesellschaftskritik

Im Kino sind die Figuren immer nur gut oder böse, meinte Fuller, er aber wolle auch die Sicht des Bösewichts verständlich machen. Fuller drehte hauptsächlich Genrefilme, Krimis und Kriegsfilme. Allerdings verstand er es, explosives Actionkino mit subversiver Gesellschaftskritik zu verbinden. 1951 drehte er den ersten kritischen Spielfilm über den Korea-Krieg. Und immer wieder war Gewalt sein Thema
Ich habe nichts gegen die Pfadfinder, aber sie zu zeigen, wie sie ein Lagerfeuer machen, interessiert mich nicht. Außer, sie zünden die ganze Stadt an!“
Gewaltverherrlichend aber, wie Fuller oft vorgeworfen wurde, waren seine Filme nie. Das konnte man vor allem in seinen Kriegsfilmen erleben, in denen er seine eigenen Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg verarbeitete.
Krieg ist schmutzig und gewissenlos, es geht nur ums eigene Überleben, so Fuller. Fällt in seinen Filmen ein Soldat, durchsuchen die Kameraden sofort seinen Rucksack nach Essbarem – Sterben als banaler Alltag. Fuller brach mit filmischen Konventionen: Abrupte Schnitte ließen die Gewalt eruptiv wirken – das sollte den Zuschauer direkt ins Geschehen reißen.

Die Regisseure der Nouvelle Vague verehrten Fuller

Während die Hollywoodstudios Fuller als Regisseur schätzten, der schnell und billig drehte, wurde er von den Regisseuren der französischen Nouvelle Vague verehrt. François Truffaut sah Fullers Filme als „makelloses“ Kino, das die Dinge zeige, wie sie sind. Ab den Sechzigerjahren stießen Fullers Filmthemen in Hollywood allerdings immer mehr auf Ablehnung. In "Schock-Horror" zeigte er eine Nervenheilanstalt als Spiegel der Gesellschaft: Unter der Oberfläche brodelt ein Rassismus, der sich schließlich in Pogromstimmung gegen Schwarze entlädt:
In "Der nackte Kuss" von 1964 führte Fuller eine gesellschaftliche Bigotterie vor, die vor allem auf die Ausbeutung von Frauen zielt. Mit der Prostituierten Kelly, die zu Beginn des Films ihren Zuhälter zusammenschlägt, hatte Fuller einmal mehr eine bemerkenswert progressive Frauenfigur geschaffen, die auch körperlich den Kampf gegen ihre Peiniger aufnimmt.
"Der Nackte Kuss" war der letzte Film, den Fuller für viele Jahre in den USA drehen konnte. Er war nun immer öfter in Europa, 1973 drehte er fürs deutsche Fernsehen einen "Tatort": In "Tote Taube in der Beethovenstraße" zeigte der hochgebildete Fuller, der Schlachtenszenen oft mit Beethoven-Musik unterlegte, ein schillerndes Deutschlandbild: von Gebirgsaufnahmen wie bei Caspar David Friedrich bis zum Kölner Karneval – realistisch und surreal zugleich.
1980 lief in Cannes Fullers Kriegsdrama "The Big Red One", in dem er seine Kriegserlebnisse verarbeitete – unter anderem die Befreiung des KZ Falkenau. Dort hatte Fuller 1945 mit seiner Handkamera gedreht, seitdem – so sagte er – wollte er Filme machen, um gegen Hass und Lüge anzukämpfen. Als Samuel Fuller am 30. Oktober 1997 starb, war er in der Öffentlichkeit weitgehend vergessen. Aber Bewunderung fand er immer schon mehr unter Regisseuren als beim Publikum. Wim Wenders holte ihn ebenso für Gastauftritte wie Jean-Luc Godard, der Fuller in "Pierrot le Fou" sein Credo verkünden ließ:
"Film ist wie ein Schlachtfeld, sagt er eben. Liebe und Hass. Gewalt und Tod – mit einem Wort: Emotionen. Also im Grunde alles, was man empfindet."
Fuller verfolgte den Anspruch, emotionales Kino für ein breites Publikum zu machen und es zugleich mit gesellschaftlichen Abgründen zu konfrontieren. Das tat er mit einer Kompromisslosigkeit, wie sie in Hollywood heute nicht mehr denkbar ist.