Martin Zagatta: Sie haben es gehört: Frauke Petry argumentiert, auch sie wolle nicht auf Flüchtlinge schießen lassen. Sie habe vielmehr auf die Rechtslage hinweisen wollen. Und genau das, die Rechtslage wollen wir uns nun erläutern lassen von Professor Christoph Schönberger, Staatsrechtler an der Universität Konstanz. Ihn habe ich am Abend gefragt, ob es gesetzliche Vorgaben gibt für einen möglichen Schusswaffengebrauch zur Grenzsicherung, oder ob das völlig absurd ist, was Frauke Petry da anführt.
Christoph Schönberger: Nein. Es gibt in der Tat eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Schusswaffen durch Polizeibeamte an den Grenzen. Das ist geregelt im Gesetz über den unmittelbaren Zwang, das Polizeibeamte an der Grenze unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt, Schusswaffen einzusetzen.
Zagatta: Was sind denn diese Voraussetzungen? Denn das Bundesinnenministerium, das hat jetzt erklärt, der gezielte Einsatz von Schusswaffen gegen Menschen, um einen Grenzübertritt zu verhindern, der sei eindeutig rechtswidrig. Ist das so eindeutig?
Schönberger: Im Ergebnis ist das richtig, was das Bundesinnenministerium sagt. Wenn man ins Gesetz guckt, stellt man fest, dass es dort darum geht, dass ein Schusswaffeneinsatz dort für möglich erklärt wird in Fällen, in denen eine Person sich der wiederholten Weisung eines Polizeibeamten widersetzt, anzuhalten oder sich einer Überprüfung als Person oder von ihr mitgebrachter Mittel, Gegenstände durch die Polizei widersetzt. Das sind die Voraussetzungen, dass überhaupt ein solcher Schusswaffeneinsatz möglich wäre nach dem Gesetz.
"Wir erleben nicht, dass sie sich einer Kontrolle widersetzen"
Zagatta: Dann wäre nach dem Gesetz ein Schusswaffengebrauch möglich, wenn sich auch Flüchtlinge - um den Fall geht es ja - an solche Anweisungen nicht halten würden, wenn die einfach sich danach nicht richten. Hätte dann Frau Petry doch auch irgendwo wieder recht?
Schönberger: Wir müssen vielleicht zwei Sachen unterscheiden. Zum einen, denke ich, ist diese Norm ganz bezogen auf die Ermöglichung der Kontrolle durch die Bundespolizei. Bei den Flüchtlingen, die jetzt ankommen, erleben wir das ja gar nicht. Wir erleben nicht, dass sie sich einer Kontrolle widersetzen. In der Regel ist ja die Bundespolizei geradezu die Anlaufstelle, um zu erklären, ich habe zum Beispiel ein Asylbegehren, oder ich bin verfolgt, ich möchte in der Bundesrepublik Aufnahme finden. Insofern ist das gar nicht die Konstellation, die wir im Moment haben, die das Gesetz überhaupt vor Augen hat.
Zagatta: Da geht es dann um eine theoretische Lage, wie wir sie aus Fernsehbildern kennen, beispielsweise aus Ungarn, wo Hunderte Menschen wohl über die Grenze gestürmt sind und die Polizei machtlos war.
Schönberger: Genau. Das ist eine allenfalls theoretisch vorstellbare Konstellation. Man muss sich ja vor Augen führen, dass diese gesetzliche Grundlage natürlich strengsten Verhältnismäßigkeitsanforderungen unterliegt im Übrigen, denn es geht um das Recht auf körperliche Unversehrtheit, wenn man auf Personen schießt. Das ist immer nur das letzte äußerste Mittel, zu dem überhaupt gegriffen werden kann.
Zagatta: Wenn Sie das sagen, Verhältnismäßigkeit, könnte man theoretisch überhaupt auf jemand schießen, der nur versucht, auf das Gebiet Deutschlands zu kommen? Das ist ja vielleicht eine Straftat, aber noch nicht ein so schweres Verbrechen, dass es einen Schusswaffengebrauch rechtfertigt.
"Wenn sich eine Person systematisch der Kontrolle entzieht"
Schönberger: Nein. Das, denke ich, ist unverhältnismäßig, wenn eine unbewaffnete, nicht aggressive Person versucht, in die Bundesrepublik hineinzukommen. Wie gesagt, die einzige Norm, die wir in diesem Zusammenhang kennen, hat vor Augen die Konstellation, dass die Person sich systematisch der Kontrolle entzieht. Das ist ja im Moment überhaupt gar nicht der Fall. Man muss auch dazu sehen, dass natürlich diese Norm bezogen ist auf eine Situation, wie wir sie früher hatten, dass wir systematische Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen hatten. Das haben wir im Schengen-Raum ja bekanntlich nicht mehr. Wir haben keine festen Kontrollstationen mehr, wir haben keine strenge Grenzkontrolle mehr und wir haben jetzt gerade erst im letzten Jahr auf Zeit wieder ein gewisses Maß an Kontrollen an den deutschen Außengrenzen zu anderen EU-Staaten eingeführt. Das ist aber keineswegs vergleichbar mit der Situation, dass wir wirklich systematische Grenzkontrollen machen würden, und erst wenn wir das machen würden, würde ja eine Situation entstehen, in der man sagen kann, die Bundesrepublik Deutschland will systematisch die Einreisen in die Bundesrepublik tatsächlich verhindern. Das wäre erst die Situation, wo man das als extremstes Szenario überhaupt noch diskutieren könnte.
Zagatta: Jetzt ergänzt ja die Berliner AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch: Wenn Flüchtlinge, die aus Österreich kommen, das "Halt" an der Grenze nicht akzeptieren, dann sind sie Angreifer. So sagt das Frau von Storch. Sie sagen, dann entzieht man sich vielleicht der Kontrolle. Frau von Storch meint, dann könnte man notfalls auch auf sie schießen, weil sie dann wie Angreifer behandelt werden müssen. Ist das völliger Unsinn?
Es geht um Verbrecher, es geht um Drogenkriminalität
Schönberger: Das ist völliger Unsinn. Es geht nicht, der Flüchtling ist in keinem Fall ein Angreifer. Die Regelung hat tatsächlich nur den äußersten Fall vor Augen, dass Personen sich systematisch der Kontrolle entziehen. Was man sich vorgestellt hat damals ist insbesondere, dass es um Verbrecher geht, dass es um Drogenkriminalität geht. Das heißt, dass der Grenzübertritt eigentlich das Mittel ist, um wiederum weitere kriminelle Handlungen zu begehen. Es gibt auch einzelne Gerichtsentscheidungen - es sind wenige Fälle, in denen das bis jetzt überhaupt in der Bundesrepublik mal zum Thema geworden ist -, die ganz deutlich gesagt haben, natürlich, wenn die Schusswaffen eingesetzt werden, darf das nur geschehen um eines besonders hohen Rechtsguts willen. Und der bloße Schutz der Außengrenze vor der Einreise eines Flüchtlings, das reicht auf keinen Fall, um Schusswaffen einzusetzen.
Zagatta: Professor Christoph Schönberger, Staatsrechtler an der Universität von Konstanz. Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.
Schönberger: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.