Dienstag, 30. April 2024

Geheimdienste
Wie Russland in Deutschland spioniert

Wegen mutmaßlicher Sabotagevorbereitungen im Auftrag Russlands wurden zwei Männer verhaftet. Auch weitere Fälle sind bekannt. Welche Ziele haben russische Spione und wie gut ist Deutschland gewappnet?

22.04.2024
    Roter Platz bei Sonnenuntergang in Moskau. Links der Kreml, rechts das Staatliche Historische Museum
    Wie weit reicht der verlängerte Arm des Kremls nach Deutschland? Experten überraschen die neuen Spionagefälle in Deutschland nicht. (picture alliance / pressefoto_korb / Micha Korb)
    Festnahmen in Bayern. Zwei Männer sollen für Russland in Deutschland spioniert haben. Es besteht die Sorge vor Sabotage von Militäreinrichtungen und Infrastruktur.

    Inhalt

    Welche mutmaßlichen russischen Spionagefälle wurden jüngst aufgedeckt?

    Im aktuellen Fall wurden am 17. April zwei Deutschrussen in Bayreuth festgenommen. Gegen sie besteht der Verdacht, sie hätten Militäranlagen ausspioniert und Sabotageanschläge geplant - möglicherweise um die deutsche militärische Unterstützung für die Ukraine zu stören.
    Ein BND-Mitarbeiter wurde beschuldigt, im Herbst 2022 geheime Informationen an den russischen Geheimdienst FSB weitergegeben zu haben. Er soll dafür beträchtliche Geldbeträge erhalten haben.
    Im Mittelpunkt eines anderen vermeintlichen Spionagefalls steht der Österreicher Jan Marsalek. Der ehemalige Wirecard-Vorstand soll nach Medienrecherchen jahrelang für russische Geheimdienste gearbeitet haben. Seit der Insolvenz des Unternehmens 2020 ist er auf der Flucht. Er wird international wegen Wirtschaftskriminalität gesucht. Marsalek hatte als Vorstand eines DAX-Konzerns enge Verbindungen zum Kanzleramt und Bundesfinanzministerium.
    Im März 2024 veröffentlichten russische Medien ein mitgeschnittenes Gespräch von ranghohen Bundeswehroffizieren, darunter auch Luftwaffenchef Ingo Gerhartz. In der Videokonferenz wurden mögliche Einsatzszenarien für den Marschflugkörper TAURUS diskutiert, falls dieser an die Ukraine geliefert werden würde.

    Spioniert Russland mehr in Deutschland?

    Die Fälle zeigen nach Meinung von Experten eine neue Dimension russischer Spionage in Deutschland. ARD-Journalist Michael Götschenberg spricht von einer „neuen Qualität“, falls sich die Vorwürfe gegen die nun in Bayern Festgenommenen bewahrheiten.
    Die potenzielle Bedrohung durch solche Aktivitäten bezeichnet Götschenberg, der sich mit Themen wie Terrorismus und innerer Sicherheit beschäftigt, als „Albtraum für deutsche Sicherheitsbehörden“. Russland könnte versuchen, den Krieg in der Ukraine "nach Deutschland zu tragen".
    Auch der Fall des Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek, der offenbar für den russischen Nachrichtendienst arbeitete, ist alarmierend. "Das kann man als ein Glanzstück bezeichnen, wenn man es schafft, vermutlich nach langjähriger Zusammenarbeit jemand so prominent zu platzieren", sagt Politikwissenschaftlerin Sophia Hoffmann von der Universität Erfurt. Das deute darauf hin, Russland versuche gezielt, Einfluss auf deutsche Unternehmen und Institutionen zu nehmen.
    Spionage und die Tätigkeit von Nachrichtendiensten haben in Deutschland laut der Politologin seit der Besetzung der Krim 2014 und nochmals seit dem Angriff auf die Ukraine 2022 zugenommen. Nach den Ausweisungen russischer Diplomaten hätten die Geheimdienste ihre Aktivitäten neu organisiert.

    Was möchte Russland erfahren und welche Ziele hat es?

    Laut dem ARD-Journalist Michael Götschenberg möchte Russland Informationen über militärische Einrichtungen in Deutschland sammeln, um ein Bild über Standorte, Waffensysteme und Aktivitäten zu erhalten. Diese Informationen könnten zur Vorbereitung von Sabotageaktionen dienen.
    Ziel könnte sein, die deutsche militärische Unterstützung für die Ukraine zu stören oder sogar den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nach Deutschland zu tragen. Als Mittel dafür nennt Götschenberg etwa "verdeckte Operationen", das Einsickern von Spezialkräften oder auch "False-Flag-Anschläge".
    Für Sophia Hoffmann, Professorin für internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität Erfurt, deutet der Fall der im April festgenommenen Verdächtigen darauf hin, dass Russland ein Agentennetz aufbauen könnte, um seine Spionage zu verstärken. Laut Hoffmann handelt es sich bei den zuletzt Festgenommenen eher um „kleine Fische“. Doch sie betont die Notwendigkeit einer effektiven Gegenspionage, um Risiken zu minimieren und die deutschen Interessen zu schützen.

    Wie gut ist die deutsche Spionageabwehr?

    Die schnelle Verhaftung der zwei Verdächtigen bewertet Politologin Hoffmann als Erfolg der deutschen Gegenspionage. "Nach den Informationen, die uns vorliegen, wurden die bereits sechs Monate beziehungsweise drei Monate nach Beginn ihrer Tätigkeit festgenommen." Sie seien schnell erkannt worden "und habe auch ganz offenbar keine nachhaltigen Schäden verursachen können".
    Bundesinnenministerin Nancy Faeser machte in Richtung Russland deutlich, dass Deutschland abwehrbereit ist und sich nicht einschüchtern lässt: "Unsere Sicherheitsbehörden haben mögliche Sprengstoffanschläge verhindert, die unsere militärische Hilfe für die Ukraine betreffen und unterminieren sollten." Auch weiterhin werde man solche Pläne durchkreuzen.
    Spionageabwehr ist in Deutschland ein Fall für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Inlandsnachrichtendienst. Zusätzlich zum BfV gibt es in jedem Bundesland ein Landesamt für Verfassungsschutz. Der Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland, ist hauptsächlich für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Ausland zuständig. Der militärische Abschirmdienst (MAD) ist der Nachrichtendienst der Bundeswehr.
    Das sei eine klassische Aufteilung, nur die föderale Struktur sei besonders, so Politologin Hoffmann. Eine „Qualitätskontrolle“ oder eine Kontrolle der Effektivität gäbe es allerdings nicht, räumt die Expertin ein. Dazu fehle die Transparenz über Erfolge oder Misserfolge, die nicht immer an die Öffentlichkeit kommen.
    Der Ruf nach Ausbau der Spionageabwehr in Sicherheits- und Polizeibehörden wird nicht nur aus der Opposition lauter. Die deutschen Botschaften müssen besser ausgestattet werden, sagte Anna Lührmann, Europaministerin im Auswärtigen Amt, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
    ARD-Journalist Götschenberg betont die Wichtigkeit von Sicherheitsmaßnahmen. Es gehe darum, Mitarbeiter in sicherheitsrelevanten Bereichen über Bedrohungen aufzuklären, und auf verdächtiges Verhalten zu achten, das auf mögliche Spionage hinweisen könnte.

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