Samstag, 27. April 2024

Ex-Triathlet Sebastian Kienle
"Triathlon macht man nicht als Hobby"

Sebastian Kienle, einer der weltbesten Triathleten, hat jüngst seine Karriere beendet. Im Dlf-Sportgespräch spricht er über den aktuellen Triathlon-Boom und erklärt, warum es für langfristigen Erfolg im Sport ein Umdenken in der Politik geben muss.

Sebastian Kienle im Gespräch mit Christian von Stülpnagel | 04.02.2024
Der ehemalige Triathlet Sebastian Kienle lächelt in die Kamera.
Sebastian Kienle hat im November 2023 seine Triathlon-Karriere beendet. (IMAGO / Beautiful Sports / IMAGO / BEAUTIFUL SPORTS / Hilger)
Schwimmen, Radfahren und Laufen: drei Volkssportarten, die in Kombination eine besondere Faszination auslösen. Die Mitgliederzahlen von Triathlon-Vereinen steigen – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie.
Die Langdistanz über 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und einem Marathon (42,195 km) wurde in den vergangenen Jahren von Deutschen geprägt. Jan Frodeno hat gleich drei Mal die Ironman-WM auf Hawaii gewonnen. Im vergangenen Jahr hat er seine Karriere beendet.
Auch Sebastian Kienle hat dem Triathlon im November des vergangenen Jahres "Auf Wiedersehen" gesagt. 2014 hat der 39-Jährige bei der Ironman-WM auf Hawaii triumphiert, er gilt als einer der besten Triathleten auf der Langdistanz überhaupt.

Kienle über Triathlon: "Der Sport hat sich professionalisiert"

In den vergangenen Jahren habe sich im Triathlon "so ziemlich alles verändert", sagte Kienle im Deutschlandfunk-Sportgespräch. "Der Sport hat sich professionalisiert, mit allen Vor- und Nachteilen. Das Urtümliche ist ein bisschen weg. Das geht natürlich immer weiter verloren, je mehr die Sportart kommerzialisiert wird. Aber ich bin niemand, der sagt, 'früher war alles besser.' Gerade als Profi ist es eine absolute Traumwelt, in der die Athleten heute groß werden. Sie haben so viele Möglichkeiten, die ich damals nicht hatte", sagte er. "Die Preisgelder sind natürlich deutlich gestiegen. Generell sind die Möglichkeiten, im Sport Geld zu verdienen, viel besser."
Mittlerweile gibt es über die Welt verteilt mehr als hundert Langdistanz-Triathlons. Für diesen Boom gebe es einen "romantischen und einen weniger romantischen" Erklärungsansatz, führte Kienle aus. "Ich glaube, dass viele Menschen entdeckt haben, wie gut ihnen das tut und dass sich alles ein klein bisschen besser anfühlt, wenn man sich vorher angestrengt hat. Der Sport gibt einem unheimlich viel. Der weniger romantische Erklärungsansatz ist der - und das zeigt das Beispiel Marathon - dass es einfach zur Normalität geworden ist. Wir brauchen immer weitere Extreme, um noch einmal einen draufsatteln zu können."
Der 39-Jährige unterstrich: "Aber im Großen und Ganzen ist es einfach ein Lifestyle. Triathlon macht man nicht als Hobby. Es ist schnell so, dass es eigentlich mehr als die Hälfte des Lebens einnimmt. Und wenn man es als Profi macht, gibt es eigentlich nur noch den Sport."

Triathlon hat laut Kienle unter Covid-19 extrem gelitten

Gleichzeitig lockt ein wachsender Markt aber auch Menschen an, die damit Geld verdienen wollen. So gab es zuletzt immer wieder Kritik an der wachsenden Kommerzialisierung von Langdistanz-Triathlons. Kienle sieht das anders: "Erstens ist es so, dass der Sport in den vergangenen Jahren extrem gelitten hat und eben die großen Veranstalter auch wegen Covid extrem zu kämpfen hatten. Da geht es jetzt nicht um Profitmaximierung, sondern darum, überhaupt wieder einen Profit zu erwirtschaften." Dazu gebe es im Extremsport-Bereich mittlerweile viel Konkurrenz.
Kritik gab es aber auch an den Sicherheitsvorkehrungen der Events, nachdem beim Ironman in Hamburg ein Mensch bei einem Unfall mit einem Begleit-Motorrad tödlich verunglückt ist. Zudem sind in Irland und Finnland Teilnehmende beim Schwimmen ums Leben gekommen.

Wachstum der Sportart bringt Unerfahrene zum Triathlon

Kienle sieht die Verantwortung aber nicht bei den Veranstaltern: "Ich glaube, dass da kein Schema dahintersteckt. Mit dem Wachstum kommen zunehmend auch Athleten in den Sport, die sich überschätzen, oder zu schnell zu viel wollen. Das würde ich eher kritisieren, hier muss vielleicht ein bisschen mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden."
Aus Profi-Sicht sei es aber "oft eher so, dass sehr vorsichtig agiert wird. Zum Beispiel, was das Absagen von Schwimmen angeht. Also die Veranstalter agieren sehr vorsichtig, weil sie auch Angst haben". Kienle fuhr fort: "Nicht nur, dass etwas passiert, sondern auch vor schlechter Publicity. Die Fälle in Hamburg und Finnland muss man differenziert betrachten. Das kann man nicht darauf zurückführen, dass jetzt irgendwo Geld gespart wurde."
Sebastian Kienle streckt jubelnd eine Deutschlandfahne in die Luft.
2014 wurde Sebastian Kienle auf Hawaii Ironman-Weltmeister. (imago images / ZUMA Wire / imago sportfotodienst)
Zudem sei es umso gefährlicher, je voller die Strecken sind, sagte Kienle. "Ein Teil der Lösung wird sein, dass es einfach nicht nur die drei riesigen Ironman-Veranstaltungen in Hamburg, Frankfurt und Roth geben kann", sagte er. "Ich denke, das kann sich ein Stück weit entzerren, indem man eben darauf schaut, dass es nicht nur die großen Veranstaltungen gibt, sondern auch kleine, coole Rennen, wo man ein ähnliches Erlebnis haben kann."

Kienle macht sich Sorgen um deutschen Spitzensport

Den deutschen Triathlon-Sport sieht Kienle auch nach seinem und Frodenos Karriereende gut aufgestellt - zumindest mittelfristig: "Es gibt ja noch die Damen und das sieht nach wie vor absolut hervorragend aus. Auch bei den Männern haben wir immer noch den Vize-Weltmeister mit Patrick Lange."
Langfristig gesehen macht sich Kienle jedoch Sorgen, was den Spitzensport angeht. Und das nicht nur im Triathlon. "Die Spitze braucht einen breiten Unterbau. Und wenn man schaut, wo in der Politik und im schulischen Bereich die Prioritäten liegen, schwindet dieser breite Unterbau zunehmend. Schulsport und Kindersport im Verein haben eine verhältnismäßig kleine Lobby. Die können mit ihren Bobby Cars keine Straße blockieren und dann wir da meistens zuerst gekürzt. Und das wird sich mit einer gewissen Zeitverzögerung auch in der Spitze zeigen."
Hier wünscht sich Kienle ein längerfristiges Denken: "Aber das funktioniert halt nicht, weil gewählt wird immer nur für die nächsten vier Jahre. Was ich fordere, ist mehr Geld, das ist ganz klar. Und das Geld wird sich auszahlen, weil wir später massiv sparen an den Gesundheitskosten sparen können werden. Das wird sich aber eben erst in 15 bis 20 Jahren zeigen. Und es sind eben nicht nur Gesundheitskosten, sondern wir werden generell leistungsfähiger. Und die Politik will immer eine resilientere Bevölkerung und Gesellschaft haben. Ich glaube, da gibt es keine zwei Meinungen. Aber gehandelt wird natürlich anders."
Das Geld müsse in die Sportstätten gesteckt werden, fordert Kienle. "Die Sporthallen werden zu Schwimmbädern, weil die Dächer alle undicht sind. Das ist ein absolutes Armutszeugnis. Und dann muss natürlich einfach Geld in die Schulen fließen. Wir brauchen mehr Lehrer, die mehr Zeit haben mit den Kindern Sachen zu machen, auf die sie Lust haben im Sport und nicht einfach irgendwie auf Kante genäht den Sportunterricht machen zu müssen. Und was als Erstes wegfällt, ist natürlich auch immer der Sportunterricht. Dazu müssen Vereine besser unterstützt werden, das Ehrenamt muss stärker gefördert werden."

Kienle sieht Sport in den USA besser geregelt

Im Vergleich gefällt Kienle besonders das College-System in den USA. "Da hat man einfach eine viel breitere Basis, was den Spitzensport angeht. Und die Verzahnung von Ausbildung und Sport funktioniert besser", sagte er. Auch der Zugang zu Sportstätten sei in den USA besser geregelt: "Laufbahnen und so weiter sind öffentlich zugänglich und man sieht tatsächlich Menschen darauf trainieren. Was ja was Schönes ist, weil wir haben es ja alle zusammen bezahlt. Und dann ist es relativ schade, wenn dann für extra viel Steuergeld noch ein hoher Zaun herum gebaut wird, der dann vier Mal in der Woche aufgeschlossen wird."
Im Triathlon erwartet Kienle ich den kommenden Jahren keine großen Veränderungen: "Ich sehe manchmal tolle Dinge, die darauf hindeuten, dass es weiter ein gutes Wachstum gibt. Und dann sehe ich auch immer wieder Dinge, die mich zweifeln lassen. Deswegen würde ich sagen, es wird ungefähr auf diesem Niveau bleiben. Was nichts Schlechtes ist, weil das Niveau schon relativ gut ist."