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Stuttgart 21
Entgleisung eines Bahnprojekts

Noch länger und teurer: Die Bauarbeiten für Stuttgart 21 werden wohl bis Ende 2025 dauern, die Baukosten um 1,5 Milliarden Euro steigen. Wer übernimmt die Mehrkosten? Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart weigern sich. Für Kritiker steht fest: Die Probleme um den Bahnhof waren absehbar.

Von Uschi Götz und Dieter Nürnberger | 04.02.2018
    Die Baustelle S21 am Hauptbahnhof Stuttgart. Traditionell laden die Projektpartner zum Jahresbeginn zu den Tagen der offenen Baustelle. Auch 2018 informierten sich Tausende Bürger über den Baufortschritt.
    Die Baustelle S21 am Hauptbahnhof Stuttgart (imago / Arnulf Hettrich)
    Längst ist der Schlachtruf der Stuttgart-21-Gegner auch in Berlin zu hören. Immer dann, wenn der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn zum umstrittenen Prestigeobjekt des Konzerns zusammenkommt, sind die Gegner nicht weit. So auch Ende Januar - als mal wieder über die Termin- und Kostensituation von Stuttgart 21 beraten und entschieden werden musste.
    Am Ende des Tages stand das fest, was die Gegner längst befürchtet hatten. Eisenhart von Loeper ist Jurist und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Der 76-Jährige engagiert sich seit Jahren gegen das Bahnprojekt, er schaut etwas vorwurfsvoll nach oben, dort wo in der Konzernzentrale am Potsdamer Platz der Aufsichtsrat tagt:
    "Der Finanzrahmen ist jetzt um mehr als 1,5 Milliarden gestiegen. Und die Zeitverzögerung: Bis Ende 2025 - das ist keine Kleinigkeit. Das Projekt läuft in jeder Hinsicht aus dem Ruder."
    7,7 Milliarden Euro Kosten insgesamt
    Konkret: Der bundeseigene Konzern geht nun von 7,7 Milliarden Euro Kosten aus, hinzu kommt ein Finanzpuffer von knapp 500 Millionen für "unvorhergesehene Risiken". Somit könnten die Gesamtkosten auf bis zu 8,2 Milliarden Euro steigen. Davor lag der offizielle Kostenrahmen bei rund 6,5 Milliarden Euro.
    Es ist nicht die erste Anpassung in der Termin- und Kostenplanung. Dabei hatte alles einmal so optimistisch und mit viel Pathos begonnen - damals 1994, als der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel mit Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann und Bahnchef Heinz Dürr ein "Jahrhundertprojekt" verkündete:
    "An der Spitze des Bundesverkehrsministeriums ist ein Baden-Württemberger, an der Spitze der Deutschen Bahn AG ist ein Stuttgarter. Sie haben natürlich auch ein besonderes Herz für die Stadt und die Landschaft, aus der sie stammen. Und das ist die Chance für Baden-Württemberg, die Chance für die Landeshauptstadt, die wir auch nutzen müssen."
    Stuttgart21 Baustelle
    Die Stuttgart-21-Baustelle Anfang Januar (imago / Arnulf Hettrich)
    Stuttgart 21 - die Zahl steht für das 21.Jahrhundert: ein Projekt, welches nicht nur den Umbau eines Kopfbahnhofs zu einem unter der Erde liegenden Durchgangsbahnhof vorsieht. Es geht auch um ein gigantisches Infrastrukturprogramm für die Landeshauptstadt, um bessere Verkehrsanbindungen und damit verbundene Immobilienprojekte. 1994 lagen die geplanten Baukosten noch bei 4,8 Milliarden Mark, also 2,4 Milliarden Euro.
    Zurückweisen, zurückrudern, dann eingestehen
    Die Reaktionsmuster der Konzernspitze auf die Kostensteigerungen blieben stets ähnlich: Erst zurückweisen, dann zurückrudern, um schließlich doch einzugestehen, dass es teurer wird. Verbunden mit dem vollmundigen Hinweis, dass nun aber alle weiteren Kosten berücksichtigt seien. Als im September 2016 feierlich der Grundstein für den Bahnhofsumbau gelegt wurde, hörte sich das bei Rüdiger Grube, dem damaligen Vorstandschef, so an:
    "Ja - dafür, meine Damen und Herren, gibt es aber genügend Vorsorgepositionen im Finanzierungsrahmen. Selbst wenn alle Kostenrisiken eintreten, bliebe Stuttgart 21 innerhalb des Finanzierungsrahmens in Höhe von 6,5 Milliarden Euro."
    Nun also - nur gut zwei Jahre und einen Vorstandsvorsitzenden später - liegt die neue Kostenobergrenze bei 8,2 Milliarden Euro. Die Bahn hatte eine erneute Untersuchung durch externe Gutachter veranlasst, deren Ergebnisse schon vorab durchsickerten. Richard Lutz, seit März 2017 Vorstandschef, formuliert nun zurückhaltender:
    "Wir haben eine ganze Reihe von Planfeststellungsabschnitten, wo wir eben noch keine finale Planungsgenehmigung haben - wegen Dingen wie Artenschutz und vielen anderen mehr. Und es gibt bestimmte Themen an geologischen Besonderheiten, die bekannt sind: Stichwort Anhydrid. Das muss neu in die Betrachtung miteinbezogen werden. Im Sinne von, wie man dort baut und wie lange das dauert. Und diese Themen liegen derzeit auf dem Tisch."
    "Es ist ein Milliardengrab - wie prognostiziert"
    Generell gestiegene Baupreise, komplizierte Genehmigungsverfahren und Probleme mit dem Baugrund am Stuttgarter Hauptbahnhof - für viele Stuttgart-21-Gegner und deren Gutachter kommen solche Begründungen neun Jahre nach Baubeginn recht spät. Beispielsweise Karl-Peter Naumann, er ist Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn und Vize-Vorsitzender der Allianz pro Schiene. Zwei Interessenvertretungen, die generell stets für einen Ausbau der Bahn-Infrastruktur eintreten:
    "Es ist ein Milliardengrab, wie es schon von vornherein prognostiziert worden ist. Denn verkehrlich ist der Sinn ja relativ gering - die Kapazität des Stuttgarter Hauptbahnhofs wird eher verringert als erhöht. Und der positive Effekt ist ausschließlich städtebaulich. Und deswegen haben wir nie verstanden, warum man dieses Projekt als Verkehrsprojekt finanziert."
    Bauarbeiter gehen in Stuttgart durch den Tunnel Bad Cannstatt, der im Rahmen des Bahnprojekts Stuttgart 21 errichtet wird.
    Bauarbeiter gehen in Stuttgart durch den Tunnel Bad Cannstatt, der im Rahmen des Bahnprojekts Stuttgart 21 errichtet wird (picture alliance / dpa / Marijan Murat/)
    Als der Aufsichtsrat als oberste Kontrollinstanz im Januar den neuen Termin und Kostenrahmen absegnete, stand in der schriftlichen Mitteilung des DB-Konzerns folgender Satz: "Der Vorstand hat - bestätigt durch die Gutachter - glaubhaft dargelegt, dass die Fortführung des Projekts Stuttgart 21 wirtschaftlicher ist als ein Abbruch."
    An das Aufhören denkt in einer der größten Baugruben Deutschlands auch überhaupt keiner. Der Einladung zu einer Baustellenführung mit dem Verein Bahnprojekt Stuttgart Ulm sind an einem Januarmorgen ein Dutzend Journalisten gefolgt.
    Aufwändige Tunnelarbeiten
    David Bösinger, Sprecher des Vereins, bleibt stehen und erklärt etwa einem Dutzend Journalisten, was sich da etwa 50 Meter weiter schemenhaft abzeichnet: "Wenn Sie hier nach links gucken, dann erkennen sie auch schon die Bahnsteige die einzelnen. Und diese Höhe, die wir hier jetzt schon sehen, ist auch die Höhe, wo die Menschen später laufen werden."
    Später ist bei der Bahn im Jahr 2025, ursprünglich war die Eröffnung vier Jahre früher, 2021 geplant. Ob das neue Datum zu halten ist, hängt von vielen Faktoren ab. Bereits an der nächsten Baustation wird deutlich, wie aufwändig vor allem die Tunnelarbeiten sind. Ein Bus bringt die Journalistengruppe von der Baustellenmitte in Richtung Verzweigungsbauwerk Kriegsbergportal.
    Das Kriegsbergportal ist ein riesiger betonierter Schlund, der sich nach etwa 500 Metern in zwei weiteren Tunnelröhren verzweigt, erklärt Ingenieur Claus Peter Meier: "Die beiden Einzelröhren, die hier ankommen, auf der rechten Seite der Cannstatter Tunnel, der bereits durchgebrochen ist, wo im Moment auch die Arbeiten an der Innenschale beziehungswiese Injektionsarbeiten vorlaufen, um den Anhydritbereich abzudichten."
    Kommt das Mineral Anhydrit mit Wasser in Berührung, quillt es auf. Ein komplexes Wassermanagement sorgt in Stuttgart dafür, dass der Grundwasserspiegel stabil bleibt. In tieferen Schichten wiederum trifft man auf Mineralwasser, Stuttgart zählt bundesweit zu den Städten mit dem höchsten Mineralwasservorkommen. Projektgegner halten deshalb das Bauen im Anhydrit für ein nicht kalkulierbares Risiko. Claus Peter Meier nennt es eine Herausforderung:
    "Und es ist die Aufgabe, den Anhydrit vor dem Wasser zu schützen. Und dazu werden Injektionen ausgeführt, in einem sehr umfangreichen Programm, muss ich mal so sagen, um eben feinste Risse, die durch den Vortrieb bedingt sind, dass das Wasser nicht in den Anhydrit eindringen kann und zu Quellerscheinungen führt."
    Zweieinhalb Jahre Verzögerung durch Artenschutz
    Dem Ingenieur hört Georg Brunnhuber schweigend zu. Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete steht an der Spitze des Vereins Bahnprojekt Stuttgart Ulm. Einst war er selbst Bahn-Aufsichtsrat und später Cheflobbyist bei der Deutschen Bahn. Heute muss Brunnhuber vor Ort erklären, weshalb das Projekt später fertig wird und die Kosten erneut in die Höhe gehen: "In unserem Projekt kann man sagen, das ist mit Sicherheit allein durch die Brandschutzänderungen eher schon ein Jahr an Verzögerungen gebracht hat als weniger. Vielleicht eher sogar mehr, länger."
    Zweieinhalb Jahre Verzögerung habe mindestens auch der Artenschutz gekostet, rechnet er vor. Gemeint ist damit etwa die Umsiedelung von geschützten Eidechsen.
    Eine Zauneidechse sitzt in Oberboihingen in einem Terrarium. Die Bahn siedelt aus Artenschutzgründen im Rahmen des Bauprojektes Stuttgart 21 250 Eidechsen in einen neuen Lebensraum um.
    Umsiedlung von Zauneidechsen für Stuttgart 21 (dpa / picture alliance / Lino Mirgeler)
    "10.000 Eidechsen umzusiedeln, ist nicht eine Frage der Kosten, das hat die Bahn drin, das sind so rund 30, 40 Millionen, pro Eidechse müssen sie halt mit drei- bis viertausend Euro rechnen."
    Naturschützer bezweifeln dabei die Summe von bis zu 4.000 Euro pro Eidechse. Doch Zeit kostet in jedem Fall Geld, was sich auch am Beispiel von vier Bäumen zeigt, die am Neckarufer längst weg sein sollten, um die Bahnstrecke weiter bauen zu können:
    "Es war niemand bereit, uns die Genehmigung zu geben, weil es da den Juchtenkäfer gibt."
    "Ihr Deutschen seid doch nicht ganz echt"
    Der Antrag landete in Brüssel, und dort liegt er seit eineinhalb Jahren unbearbeitet auf irgendeinem Schreibtisch: "Und Brüssel sagt: Ihr Deutschen seid doch nicht ganz echt! Kein Land in Europa bringt vier Bäume zur Genehmigung nach Brüssel. Die wissen gar nicht, was sie damit anfangen sollen. Und jetzt liegt das und liegt, und wenn wir bis Ende Februar die Genehmigung nicht haben, müssen wir wieder ein halbes Jahr warten, bis die Fällzeit, nämlich Ende Oktober wieder möglich ist."
    Brunnhuber habe keine Ahnung von dem Bahnprojekt, sagt indes Gerhard Pfeifer vom BUND Regionalverband Stuttgart. Es sei eine Strategie der Bahn, den Artenschutz zeitlich oder finanziell für die Probleme beim Bau mitverantwortlich zu machen.
    "Dahinter steckt aber eindeutig die Unfähigkeit der Bahn, mit diesen technischen Problemen umzugehen."
    So sei der Baufortschritt im Bereich der vier Bäume noch gar nicht so weit, dass diese demnächst gefällt werden müssten.
    "Weil die Brücke erst zur Hälfte fertig ist, weil der anschließende Tunnel von der Ehmannstraße her auch erst zur Hälfte gebaut ist."
    Angesichts der neuerlichen Kostensteigerung auf bis zu 8,2 Milliarden Euro verlangt der BUND Baden-Württemberg ein Krisengespräch, an dem sich auch die Bundesregierung beteiligen müsse. Ebenso der Bundesrechnungshof: "Der immer so im Hintergrund kritisch sich äußert, aber nie in Erscheinung tritt. Und wir halten auch für dringend notwendig, dass unabhängige Experten, die mit dem Projekt bisher nicht so sehr involviert waren, die Mal draufschauen: Was geht hier überhaupt ab?"
    "Zehn Milliarden werden sicher noch gerissen"
    Das Projekt sei nicht mehr zu stoppen, sind die Naturschützer überzeugt. Allerdings fordert der BUND, am Stuttgarter Flughafen auf einen weiteren unterirdischen Bahnhof am Flughafen zu verzichten. Ein oberirdischer Haltepunkt binde die Neubaustrecke genauso gut an. Damit ließen sich etwa eine Milliarde Euro sparen, glaubt Pfeifer. Bei der jetzigen Kostensteigerung bleibe es sowieso nicht:
    "Das Projekt startete ja mit 2,5 Milliarden in den 90er-Jahren, ging dann kontinuierlich nach oben: 3,8, 4,5, 6,5, jetzt 8,2… Also von daher: Der Trend wird fortgeschrieben. Wir gehen auch davon aus, dass wahrscheinlich die Bundesrechnungshofzahl von zehn Milliarden sicherlich noch gerissen wird."
    Journalisten stehen in Stuttgart während einer Begehung der Baustelle des Bahn-Projekts Stuttgart 21 in einem Nebentunnel des sogenannten Stadtschachts
    Begehung der Baustelle am Bahn-Projekt Stuttgart 21 (dpa / picture alliance / Lino Mirgeler)
    Der Druck im Stuttgarter Talkessel nimmt inzwischen wieder zu. Zur 400. Montagsdemo der Projektgegner kommen Mitte Januar über tausend Demonstranten. Die Stuttgarter Gynäkologin Angelika Linckh moderiert die Veranstaltung unter dem Motto: "Projekt entgleist - Umstieg jetzt!"
    "Die 400. Montagsdemo, was für ein Jubiläum. Streng genommen ist das ja wirklich überhaupt kein Grund zum Jubeln, denn die Stuttgart-21-Betreiber planen, bauen, täuschen und murksen seit 1994 realitätsblind weiter."
    Stoppen - Appell an die Bundeskanzlerin
    In einem Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel fordern die Projektgegner erneut einen Stopp des Bauprojektes. Vor der Veranstaltung sagte Angelika Linckh, sie empfinde die Stimmung in der Stadt, anders als in einigen Medien dargestellt, aufgeschlossen gegenüber der Protestbewegung:
    "Wenn Politik nicht mehr die Kraft zur Selbstkorrektur hat, dann ist sie einfach am Ende und braucht den Druck von unten."
    Vor allem von den Grünen in Baden-Württemberg sind die Projektgegner enttäuscht. Diese seien angetreten, den unterirdischen Bahnhof zu verhindern. Allen voran der heutige Verkehrsminister Winfried Hermann habe die Bahn noch in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter vor nicht kalkulierbaren Kosten des Projekts gewarnt, erinnert Projektgegnerin Linckh:
    "Also ich war wirklich begeistert, dass er unser Verkehrsminister wurde, damals. Also jetzt kann ich eigentlich nur die Schultern zucken."
    Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen
    Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen (dpa)
    Das Dilemma der Grünen in Baden-Württemberg wird immer größer. Sie wollten das Bahnprojekt nicht, jetzt sind sie gezwungen mitzumachen. Kretschmann löste nach seiner Wahl zum ersten grünen Ministerpräsidenten sein Versprechen ein und ließ in einer Volksabstimmung über Stuttgart 21 abstimmen.
    Ministerium fühlt sich hinters Licht geführt
    Im November 2011 stimmten knapp 60 Prozent der Baden-Württemberger gegen den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung und somit für den Bau des unterirdischen Bahnhofs. Mit Blick auf die jüngst bekannt gewordene Kostensteigerung sagt Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen, sein Ministerium fühle sich als Projektpartner von der Bahn hinters Licht geführt:
    "Die Bürgerinnen und Bürger, die bei der Volksabstimmung eher der Bahn geglaubt haben, die fühlen sich auch hinter das Licht geführt. Weil viele haben gesagt, wenn wir gewusst hätten, dass es so viel teurer ist, hätten sich viele anders entschieden", ist Hermann sicher. Nun sei es zu spät, das Projekt müsse fertig gebaut werden. Mit Blick auch auf andere Großprojekte warnt er allerdings Politik und Unternehmen vor unrealistischen Ansagen über Kosten- und Zeitrahmen.
    "Das gefährdet auch die Demokratie, weil sozusagen das politische System und die Parteien Schaden nehmen, weil alle in einen Topf geworfen werden und alle sind unglaubwürdig, alle sind Schönredner und so weiter. Da muss ich ziemlich deutlich einen Unterschied herausstellen."
    8,2 Milliarden Euro. Dieser neue Kostenrahmen für Stuttgart 21 wirft natürlich Fragen auf. Vor allem: Wer zahlt dafür? Der Finanzierungsvertrag für das Großprojekt stammt aus dem Jahr 2009. Damals - wenige Monate vor Baubeginn - lagen die prognostizierten Kosten noch bei maximal 4,5 Milliarden Euro. Die Vereinbarung wurde von der Deutschen Bahn, dem Land Baden-Württemberg, der Region Stuttgart und dem dortigen Flughafen unterzeichnet. Hierin sind die zu zahlenden Anteile aufgeschlüsselt, wobei die Bahn als Bauherr den größten Anteil übernimmt.
    Sprechklausel wird unterschiedlich interpretiert
    Doch schnell wurde klar, dass der Finanzrahmen von 2009 nicht zu halten war. Für einen solchen Fall ist im Finanzierungsvertrag eine sogenannte Sprechklausel vorgesehen - soll heißen: Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die Beteiligten Gespräche auf. Eine Formulierung, die auf den ersten Blick überrascht, denn sie ist relativ unverbindlich formuliert. Aber als die Kosten für Stuttgart 21 dann in den Folgejahren auf 6,5 Milliarden stiegen, war der Gesprächsbedarf offensichtlich.
    Kaum verwunderlich: Die Sprechklausel wird unterschiedlich interpretiert. Die Deutsche Bahn liest daraus eine Art Mitzahlungspflicht heraus, die Projektpartner sollen sich an den Mehrkosten beteiligen müssen. Diese Marschrichtung gilt bis heute - exemplarisch dafür sind die Äußerungen von Rüdiger Grube nach dem Volksentscheid in Baden-Württemberg 2011, der im Sinne der Bahn positiv ausgegangen war:
    "Es darf sich keiner in die Ecke setzen und sagen: Ich nicht. Sondern sie sind verpflichtet - das steht ausdrücklich im Finanzierungsvertrag und auch in der gemeinsamen Erklärung, die alle Partner unterzeichnet haben, drin. Deshalb brauchen wir auch keine zusätzlichen Vereinbarungen."
    Der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann im Stuttgarter Landtag vor der Wiederwahl zum Ministerpräsidenten 2016.
    Der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann im Stuttgarter Landtag vor der Wiederwahl zum Ministerpräsidenten am 12.05.2016. (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Weshalb die Deutsche Bahn Ende 2016 gegen die Projektpartner Klage eingereicht hat. Es gehe formal darum, die Frist für eine Verjährung des Anspruchs der Mitfinanzierung an Mehrkosten zu verlängern, wie die Bahn schriftlich mitteilt. Vor dem Mikrofon dazu äußern möchte sich derzeit allerdings kein Mitglied der Konzernspitze, auch nicht nach den jüngsten Kostenexplosionen. Das Land Baden-Württemberg hat in dieser Woche fristgerecht eine entsprechende Erwiderung auf die Klage der Bahn eingereicht.
    Somit werden die Gerichte entscheiden müssen, wie die inzwischen berüchtigte Sprechklausel aus dem Finanzierungsvertrag genau zu verstehen ist, ob auch die anderen Projektpartner der Deutschen Bahn mehr zu zahlen haben als ursprünglich gedacht. Das wird wohl Jahre dauern, weil ein Verfahren über mehrere Instanzen erwartet wird.
    Finanzierung des Bundes ins Spiel gebracht
    Ende 2016 ging es noch um rund zwei Milliarden Euro nicht finanzierter Mehrkosten. Nach der letzten Aufsichtsratssitzung sind es nun schon über 3,5 Milliarden. Weshalb der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel, er sitzt für die Grünen im Verkehrsausschuss des Parlaments, auch eine Finanzierung des Bundes ins Spiel bringt. Das dürfe kein Tabu mehr sein.
    "Ich erinnere daran: Es ist die Bundeskanzlerin gewesen, die Stuttgart 21 zu einer der zentralen Zukunftsfragen für Deutschland erklärt hat."
    Doch hat der Bund solche Ansinnen bislang stets zurückgewiesen: Stuttgart 21 sei ein eigenständiges Projekt der Bahn.
    Somit ist derzeit finanziell - fast ein Vierteljahrhundert nach der offiziellen Verkündigung des Projekts - weiterhin vieles ungeklärt.