Als Anfang der 80er-Jahre immer mehr junge Leute ihren Computer mit Hilfe eines Modems ans Telefonnetz anschlossen, verstießen sie dabei nicht selten gegen das gesetzlich verankerte Fernmeldemonopol der Bundespost. Doch das war ihnen egal, denn die Hacker, wie sie sich nannten, stammten aus der links-alternativen Szene, die dem Staat ohnehin kritisch gegenüberstand. Computern allerdings bis dahin auch, denn die galten ihnen als Unterdrückungsinstrument, mit denen die Obrigkeit ihre Bürger überwachte. Doch die dezentralen Mailbox-Systeme, die die Hacker aufbauten, sollten ganz neue Kommunikationswege und soziale Entfaltungsmöglichkeiten eröffnen, erzählt Matthias Röhr von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg.
"Der Begriff, der da im Raum stand, hieß immer: Der Computer ist ein Struktur- oder Machtverstärker. Das heißt, wenn man schon mächtige Strukturen hat wie den Staat, kann der Computer diese Strukturen durchaus noch mächtiger machen. Aber genauso kann man den Computer auch verwenden, um diese Strukturen zu unterlaufen und alternative Strukturen stark zu machen."
"In die Richtung, dass man Hierarchien abbauen könnte. Eine Partizipation durch die Vernetzung der Computer, durch den freien Austausch von Informationen, die eben ungefiltert sind, wo nicht ein Verleger oder Redakteur dahinterstehen muss, da hat man schon dran geglaubt."
An den bestehenden Institutionen vorbei wollten die Hacker Netzwerke bauen, die für alle Bürger frei zugänglich sein sollten, ergänzt Julia Erdogan vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Studien, ZZF. Computer sollten helfen, die Gesellschaft zu demokratisieren.
"Was den Austausch von Informationen anbelangt, die Zugänglichkeit von Informationen, die die in ihren Gruppen gelebt haben. Man hat eben die Software den anderen auch zur Verfügung gestellt und gezeigt, was man da gemacht hat. Das war eine Idee, die sie der Gesamtgesellschaft eigentlich näherbringen wollten."
Computer wurden Teil einer Jugendkultur und vielleicht hatte genau das noch gefehlt, um einer Entwicklung zum Durchbruch zu verhelfen, die heute gern als digitale Revolution bezeichnet wird. Begonnen hatte sie in den 40er-Jahren. Damals nutzten fast ausschließlich Militärs und Luftfahrtingenieure die neuen Rechenmaschinen, die noch in riesigen Schränken untergebracht waren. In den 50er-Jahren investierten dann Unternehmen aller Branchen in diese Technologie, berichtet Frank Bösch, Direktor am ZZF.
Rationalisierung von betrieblichen Abläufen
"Es dauerte sehr, sehr lange, bis diese Computer tatsächlich liefen. Oft standen sie zunächst rum, es dauerte ewig, bis man sie programmierte. Das übernahmen die Lieferanten selbst, die dann auch lange blieben, weil die Computer auch immer wieder ausfielen und es ewig dauerte, bis man spezifische Programme eingerichtet hatte."
Die meisten Rechner waren ohnehin nur gemietet, weil ein Kauf viel zu teuer gewesen wäre. Gleichzeitig wurde ihr Einsatz unerlässlich, weil der Arbeitsmarkt seit Mitte der 50er-Jahre weitgehend leergefegt war. Deshalb befürworteten selbst die Gewerkschaften das Ansinnen, betriebliche Abläufe zu rationalisieren.
"Die Hoffnung war, dass die Computer einfache, körperlich schwere manuelle Arbeiten übernehmen und die Menschen freisetzen für Leitungsaufgaben, für kreative Aufgaben. Gleichzeitig haben die Gewerkschaften stets gefürchtet, dass es zu einem Job-Abbau kam und haben bei der Einführung von Computern immer wieder hart und erfolgreich verhandelt, gerade auch in Deutschland, dass keine Stellen abgebaut wurden."
Die Elektronische Datenverarbeitung verursachte in der jungen Bundesrepublik keine sozialen Probleme, sondern half, welche zu lösen. Ohne sie wäre Konrad Adenauers populärste Sozialreform gar nicht denkbar gewesen, meint Thomas Kasper, Historiker am ZZF.
Einzug der Computer in deutsche Amtsstuben
"Die Rentenreform von 1957, als ein dynamisiertes Umlageverfahren eingeführt wurde. Damit wurde die Rentenberechnung derartig komplex, dass das die Sachbearbeiter der Rentenversicherung einfach nicht mehr ohne technische Hilfe lösen konnten. Dazukam, dass sich auch die Rentenarten vervielfältigten. Es gab nicht nur eine Altersrente, sondern eine Witwenrente, eine Waisenrente, die alle unterschiedlichen Regelungen unterlagen. Und diese Berechnungsarten konnten eben nur mit einem programmgesteuerten Computer durchgeführt werden."
Als Rentenberechnungsmaschine feierten die Beamten ehrfurchtsvoll ihren IBM 605 Universal, der einer der ersten Computer in einer deutschen Amtsstube war. Die staatliche Verwaltung brauchte lange, um das Potenzial des Computers zu entdecken. Bis das Bundeskriminalamt unter Horst Herold auf die Idee der Rasterfahndung kam, sollten noch zwanzig Jahre vergehen. Geheimdienste wie Militärs fürchteten anfangs, sich von dieser scheinbar undurchschaubaren Technik abhängig zu machen. Das galt in West wie Ost. Dabei hatte auch die DDR schon früh versucht, eigene Großrechner zu entwickeln – was ohne Zugang zu westlicher Technologie aber nur mühsam gelang. Anfang der 70er-Jahre strich Erich Honecker die Investitionen in die EDV zusammen, während sie in der westdeutschen Wirtschaft noch mal hochgefahren wurden, bilanziert Frank Bösch.
"Da ist besonders interessant, dass VW 1968, als die Abgasbestimmungen in den USA verschärft wurden, Computertechnik in das Auto überführt. Um die Abgaswerte zu senken, führt man eine computergestützte Einspritztechnik ein, die auch groß beworben wird: Das erste Auto mit einem Computer drin, lautet die Werbung für VW in den in USA."
Euphorie bekam in den 80er-Jahren einen Dämpfer
Und diese Werbung verfing sogar, denn damals stimmten die Abgaswerte noch. Computertechnologie schien plötzlich nicht nur die Lösung für soziale, sondern auch für Umweltprobleme. Die allgemeine Euphorie erhielt erst in den 80er-Jahren einen Dämpfer. 1983 untersagte das Bundesverfassungsgericht eine geplante Volkszählung und führte ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Trotzdem boykottierten Millionen Bürger auch den für 1987 angesetzten Zensus, weil sie kein Vertrauen in den Datenschutz setzten.
"Diese Angst nimmt ab in dem Moment, wo die Computer in die Kinderzimmer kommen. In den 80er-Jahren, mit dem C64 etwa, werden Computer schrittweise von unten privat angeeignet und gelten nun nicht mehr als Teufelswerk. In der alternativen Bewegung bleibt diese Angst länger bestehen. Die Grünen etwa führen 1987 bewusst keine Computer im Bundestag ein, weil sie immer noch Angst haben, dass der Innenminister sie direkt ausspähen könnte darüber."
Heute durchdringt der Computer alle Lebensbereiche. Kaum eine Institution wäre ohne ihn noch arbeitsfähig. Ins Netz einzuwählen braucht sich heute kaum noch jemand, weil fast alle Nutzer ständig online sind, oft mit mobilen Geräten. Wie diese permanente digitale Revolution den sozialen Wandel vorantreibt, beginnt die zeitgeschichtliche Forschung erst langsam zu ergründen.