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"Teilchen gibt es beim Bäcker"

Ernst Peter Fischer kritisiert den Medienhype um den Teilchenbeschleiniger in Genf. Die Arbeiten am CERN würden der Welt verkauft, als ob da "die Menschheitsrätsel beantwortet würden und das ist alles Kokolores".

Ernst Peter Fischer im Gespräch mit Burkhardt Müller-Ullrich |
    Burkhardt Müller-Ullrich: Gestern war Vollmond, deswegen sind wir heute noch hier. Denn der Large Hadron Collider in Genf ist zwar, wie jeder weiß, gestern hochgefahren worden und hat die ersten Protonen mit sieben Tera-Elektronenvolt geschossen, aber bei Vollmond ist, wie jeder weiß, der Urknall nur halb so laut. Deswegen guten Abend, im Studio ist Burkhardt Müller-Ullrich. Wir werden gleich der Physik philosophisch auf die Materie rücken, und zwar im Gespräch mit dem Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer. Und damit zurück zur Physik und zu den Anfängen: In Genf, gleich neben dem Flughafen, sausen sonderbare Dinger im Boden herum, deren bloßes Vorhandensein uns ganz wuschig im Kopf macht. Die Wuschigkeit kommt allerdings von den vielen Medien, Meldungen, mit denen wir seit gestern überschüttet werden. Seit gestern ist sie nämlich in Betrieb, die Megamaschine der wissenschaftlichen Wahrheitsfindung, der Large Hadron Collider am Europäischen Kernforschungszentrum CERN. Kostenpunkt: Elfundfünfzig Fantastillionen; Forschungsgegenstand: der Urknall, mit dem die Welt begann. Am Telefon ist Ernst Peter Fischer, Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Konstanz. Herr Fischer, haben die, die da nach dem großen Knall suchen, selber einen?

    Ernst Peter Fischer: Also das ist mein Lieblingssatz: Über eine Gesellschaft, die versucht, den Anfang der Welt durch einen Urknall zu erklären, das, die beweist nur, dass sie selber einen hat. Also was da gemacht wird, ist natürlich alles mögliche interessante Physik, sicher für Diplomanden, Doktoranden und viele andere Interessierte an technischen Details, spannende Wissenschaft. Aber uns wird das verkauft, als ob da sozusagen existenzielle Wahrheitsfragen und die Menschheitsrätsel beantwortet würden, und das ist alles Kokolores.

    Müller-Ullrich: Warum ist es Kokolores, immerhin geht es um den Anfang der Existenz der Welt?

    Fischer: Ja, dann müssen wir zunächst mal wissen, was wir damit meinen. Der Urknall ist mit Sicherheit nicht etwas, was man von außen beobachten kann, sondern der Urknall ist mit Sicherheit etwas, was man erstens überhaupt nicht beobachten kann, und wenn man dabei wäre, wäre der sozusagen in der ganzen Welt. Also der Urknall ist ein Modell, mit dem man einige Beobachtungen in der Kosmologie erklären kann, und das ist das Modell, das am besten merkwürdige Beobachtungen wie die Verteilung von Elementen erklären kann. Aber ein Modell brauchten Sie nicht in einem Viermilliardenapparat nachzubauen, sondern da können Sie einfach eine kleine Skizze auf der Rückseite eines Briefumschlags machen.

    Müller-Ullrich: Na ja, aber vielleicht brauchen wir diesen Viermilliardenapparat, um eines zu erkennen, nämlich dass die Physik eigentlich nicht sehr viel anders tickt als Philosophie und Psychologie, will sagen: Das, was wir glauben, ist eigentlich das Eigentliche, und nicht die wirkliche Welt.

    Fischer: Ja, das könnte man so ausdrücken. Ich drücke das immer so aus, dass ich sage, dass die Physik ja eigentlich nicht tut, was man denkt, nämlich dass sie eine geheimnisvolle Natur in eine lösbare Antwort oder in eine verständliche Antwort überführt, sondern sie verwandelt ja nur eine geheimnisvolle Natur in eine noch geheimnisvollere Erklärung. Denn sonst würden sie ja die Apparate nicht bauen. Die Idee ist ja, das sagt Ihnen jeder Wissenschaftler, dass er nach jeder Antwort weitere, mehr Fragen hat als vorher, und das wird beim CERN genau so sein. Also das ist insgesamt interessant an der Wissenschaft, aber das sollte man sagen. Man sollten nicht sagen, dass man den Urknall simuliert, man sollte nicht sagen, dass man dann bald weiß, warum es mehr Materie als Antimaterie gibt, das wird man nicht wissen. Man wird eine Antwort vorlegen können, die so geheimnisvoll ist wie die Frage, mit der man gestartet ist.

    Müller-Ullrich: Jetzt ist es natürlich ein bisschen billig, sich mit verschränkten Armen hinzustellen und zu sagen, so wie es ja viele Leute tun, wenn sie diese Meldungen hören, verstehen tun wir es eh nicht, die Leute können uns viel vom CERN erzählen, vor allem kostet es zu viel. Das gilt eigentlich auch für die Oper, die wird auch, weil sie sehr teuer ist und nur von wenigen verstanden wird, kritisiert. Ist das CERN eigentlich eine große Oper?

    Fischer: Also ich hätte gar nichts dagegen, wenn es eine große Oper ist, dann sollen sie es nur sagen, dass sie das sind. Und ich denke mir schon, es wäre mal interessant, diese ganzen Fragen zu erklären, wie eigentlich man über Dinge spricht, mit Worten, die eigentlich gar keine Anwendung finden können. Also wenn wir davon reden, dass da Teilchen gesucht werden – das ist doch Unfug! Teilchen sind das sicher nicht, Teilchen gibt es beim Bäcker. Aber dann müsste man mal eine andere Sprache erfinden, was wird da eigentlich gesucht? Und was ist da eigentlich? Da ist ja keine Realität mehr, die man anschaut, weil man weiß, dass Atome keine Realität im Sinne einer Sache sind, wo man die Sache, die Res noch spürt. Da ist ja etwas anderes, da sind ganz andere Beschreibungsbedingungen, ganz andere Denkmöglichkeiten, und das subtiler mal zu analysieren fänd ich gar nicht so uninteressant und das finde ich, sagen wir mal, eine verpasste Gelegenheit.

    Müller-Ullrich: Aber vielleicht ist es genau das schon wert, nämlich Denkmöglichkeiten, wie Sie sagen, zu erzeugen oder auch ein Gefühl von Irrealität zu erwecken?

    Fischer: Ja, also wenn man das will, ist in Ordnung, dann sollte man das sagen. Das kann man aber wahrscheinlich billiger machen, das kann man im Varieté machen oder das kann die Poesie günstiger machen. Also ich denke schon, dass CERN insgesamt ein lohnendes Unterfangen ist und dass man da natürlich versuchen muss herauszukriegen, ob das Standardmodell, wie das so schön heißt, der Physik, das man seit Jahren entwickelt, ob das zutrifft oder ob da noch was anderes dahintersteckt. Aber ich bin halt also verwirrt, wenn mir sozusagen dieselben Marketingstrategien angeboten werden und wenn schon gejubelt wird, wenn das Ding nur läuft.

    Müller-Ullrich: Und noch läuft es ja bloß im Testbetrieb. Bei sieben Tera-Elektronenvolt tut sich noch nicht viel, außer in den Medien, versteht sich. Aber warten wir mal ab, wenn der Apparat in Genf erst in Volllast fährt, ob dann der Wissenschaftshistoriker Professor Ernst Peter Fischer nicht in ein spontan imitiertes Paralleluniversum katapultiert wird, in dem wir uns dann hoffentlich auch befinden, damit wir noch mal über alles reden können. Danke für das Gespräch!