Sonntag, 28. April 2024

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Label für Schweinefleisch
Die Pläne der Ampel-Koalition für mehr Tierwohl

Die Bundesregierung will ein besseres Leben für Masttiere in Deutschland. Den Aufschlag soll ein Gesetz zur Haltungskennzeichnung machen. Doch vorerst gilt die geplante Kennzeichnung nur für Frischfleisch von Schweinen aus Deutschland.

Von Ann-Kathrin Büüsker | 13.12.2022
Ein Schwein schaut in die Kamera
Mehr Tierwohl in deutschen Ställen, verspricht die Bundesregierung (picture alliance / Fotostand / Fotostand / Gelhot)
Über 50 Millionen im Inland gemästete Schweine wurden 2021 in Deutschland geschlachtet. Ihr Leben zu verbessern, mehr sogenanntes Tierwohl in deutsche Ställe zu bringen, mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher zu schaffen – dies kündigte der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bei Amtsantritt als eine seiner Prioritäten an. Im Januar noch unterstrich er dies beim Agrarkongress von Umweltministerium und Landwirtschaftsministerium: „Der Umbau der Nutztierhaltung ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Unser Haus wird die Landwirte dabei nicht alleine lassen, um die Nutztierhaltung artgerecht umzubauen, deshalb will ich noch in diesem Jahr eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung auf den Weg bringen, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher auf einen Blick erkennen können, wie ein Tier gehalten wurde und warum manche Produkte halt etwas mehr kosten.“
Das Bundeskabinett hat im Oktober einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der erstmals ein verpflichtendes Kennzeichen für die Schweinehaltung umfasst. Vorerst allerdings nur bezogen auf frisches, unverarbeitetes Fleisch. Stück für Stück sollen weitere Bereiche und Tierarten dazukommen. In dieser Woche berät erstmals der Bundestag über das Gesetz, das hoch umstritten ist: „Gut gedacht ist aber noch nicht gut gemacht.“ - „Man könnte sagen, das Ganze ist ein Etikettenschwindel, zumindest nimmt es weder den Verbraucher mit, noch bringt es Tierschutz ins System als dynamische Entwicklung hinein.“ - „Mit der Kennzeichnung sind wir im Begriff einen Fehlstart hinzulegen“, sagen unisono der Bundesverband des Lebensmitteleinzelhandels, der Tierschutzbund und der Bauernverband. Auch die Bundesländer forderten Ende November über den Bundesrat erhebliche Nachbesserungen.

Kritik an zusätzlichen Bestimmungen

Die Kritik erfolgt auf zwei Ebenen. Einmal an der Haltungskennzeichnung an sich – und dann an den weiteren, konkreten Schritten, die es darüber hinaus braucht, um mehr Transparenz für Verbraucher und Planungssicherheit für die Landwirtschaft zu sichern, und wirklich mehr Tierwohl zu erreichen. Denn das ist nicht einfach. Blicken wir zunächst auf die Haltungskennzeichnung.
 
„Die Quadratmeter Buchtenfläche, die Breite des Schlitzes, dieser hier, die feste Fläche da vorne, die haben alle eine gesetzliche Bestimmung, die wir einhalten müssen und die ändert sich so schnell, dass wir mit dem Bauen gar nicht mehr hinterherkommen.“ Sauenhalter Thomas Ostendorf steht in seinem Stall im münsterländischen Ochtrup. Nicht nur der Stall ist genormt, hier ist alles eng getaktet; wiederkehrender Zyklus von Geburt und Besamung, strenge Dokumentation des Wurfes, jedes Arzneimittel muss aufgeschrieben werden, in der Tierzucht ist alles reglementiert.
Mit dem Tierhaltungskennzeichen kommen nun weitere Bestimmungen dazu – für die Mastphase eines Schweines. Jeder Mastbetrieb wird seine Haltung künftig einer von insgesamt fünf Formen zuordnen müssen.

Haltungsform Stall: 0,75 qm für ein 50-110 kg schweres Mastschwein

Stall, Stall plus Platz, Frischluftstall, Auslauf bzw Freiland und als fünfte Haltungsform: Bio. Alle Haltungsformen sind streng durchreglementiert, wobei die Haltungsform Stall dem aktuellen gesetzlichen Mindeststandard entspricht. Einem 50 bis 110 Kilogramm schweren Mastschwein müssen demnach 0,75 Quadratmeter Platz zur Verfügung stehen. In der nächsten Haltungsform kommt etwas mehr Platz dazu – in den weiteren Haltungsformen je nach Bezeichnung Frischluftkontakt beziehungsweise mindestens acht Stunden Auslauf.
Schon an dieser Einteilung der Haltungsformen stören sich die entscheidenden Akteure. „Es zeichnet nur den Status quo ab, das heißt das, was in den Ställen passiert. Es bringt aber damit keine Dynamik in den Stall, mehr Tierschutz zu installieren, nur ein Abbild der Realität“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Tierschutzbundes. Denn für Landwirte werde überhaupt kein Anreiz geschaffen, in Ställe mit besserer Haltung zu investieren. Schröder fordert: Die Kennzeichnung muss eine Lenkungswirkung entfalten – die Haltungsform Stall brauche deshalb ein Auslaufdatum:
„Stall bedeutet hier: ein Warmstall. Die Schweine sitzen in einem geschlossenen System ohne natürliche Luft, ohne natürliches Licht, mit Spaltenboden, also so als würde der, der uns jetzt zuhört, den ganzen Tag mit dem Kopf über dem Urinal liegen und das Leben so hinfristen. Das gehört verboten und nicht gekennzeichnet.“

Haltungskennzeichnung betrifft vorerst nur Frischfleisch

Während der Tierschutzbund mangelnde Lenkungswirkung kritisiert, ist dem Handel der Status quo nicht ausreichend abgebildet. Im Rahmen privatwirtschaftlicher Projekte wie die Initiative Tierwohl haben Landwirte teilweise in Bereiche investiert, die durch die geplante Kennzeichnung nicht mehr als Mehrwert qualifiziert werden, etwa Tageslicht oder zusätzliches Raufutter. „Die Initiativen, die bereits privatwirtschaftlich gestartet sind, müssen auf dem Weg mitgenommen werden. Das ist eine der Hauptforderungen, die wir haben“, sagt Franz-Martin Rausch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels, kurz BVLH.
Ein weiterer Kritikpunkt an der verbindlichen Haltungskennzeichnung: Sie betrifft vorerst nur Frischfleisch, also zwischen 20 und 30 Prozent des Schlachtkörpers. Der Rest landet in Wurstwaren, Fertiggerichten oder in der Gastronomie und muss nicht gekennzeichnet werden. Und es geht nur um Fleisch aus Deutschland – ausländische Ware kann freiwillig gekennzeichnet werden. Ein großer Bereich der Schweinehaltung bleibe zudem vorerst von der Haltungskennzeichnung ausgeschlossen, sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes: „Die Sauenhaltung. Also von Geburt des Ferkels bis zum Eintritt in die Mast. Und dort finden natürlich sehr viele Themen statt, die tierschutzmäßig hochgradig relevant sind.“
So zum Beispiel die Haltung von Sauen in Kastenständen. Dabei wird die Sau über mehrere Wochen fixiert, damit sie ihre Ferkel nicht plattdrückt. Diese Haltungsmöglichkeit ist im Bestand in Deutschland noch bis 2029 erlaubt. Ebenfalls tierschutzrelevant: die Kastration der männlichen Ferkel. In Deutschland müssen Ferkel seit Anfang 2021 dabei betäubt sein. „Hier wird er eingespannt und mit der Schnüffelnase quasi dann da rein“, demonstriert Ferkelzüchter Ostendorf seine Maschine zur Betäubung der Ferkel. „Wir machen es mit so einer chirurgischen Zange. Hat den Vorteil, ich kann auch den Samen- und Blutstrang abklemmen, dass auch die Blutung nicht so stark ist.“
Im europäischen Ausland dagegen ist betäubungslose Kastration teilweise weiter möglich – und viele der in Deutschland gemästeten Schweine sind als Ferkel aus dem Ausland importiert worden. So kann es also sein, dass ein Schwein, das im Ausland gezogen und betäubungslos kastriert wurde, auf langen Transportwegen nach Deutschland kommt – und das Fleisch hier aufgrund der Mastphase mit dem Haltungskennzeichen Frischluft gekennzeichnet und damit höheres Tierwohl suggeriert wird.

Mehr Tierwohl ist nicht garantiert

Ohnehin sei das mit dem Tierwohl nicht ganz so einfach, erklärt Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung am Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. Schrader war als Fachmann für Schweine Mitglied im Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, auch Borchert-Kommission genannt:
„Mit jeder Stufe würde der Verbraucher, die Verbraucherin erwarten, dass es den Tieren besser geht. Das ist insofern richtig, als dass die Voraussetzungen für ein hohes Tierwohl von einer Stufe zur nächsten tatsächlich ansteigen, theoretisch. Aber wir wissen aus unzähligen Untersuchungen, dass die Voraussetzungen in der Haltung, das heißt die baulich technischen Gegebenheiten wie Platzangebot, wie Zugang zu Raufutter oder zu Einstreu und Ähnlichem, dass die nicht automatisch gleichzusetzen mit einem guten Tierwohl sind. Wir haben auch in der ökologischen Tierhaltung Probleme mit der Tiergesundheit. Das heißt, wenn ich wirklich für Tierwohl nachvollziehbar und transparent sorgen wollte, dann müsste ich mich wiederum auf die sogenannten tierbezogenen Indikatoren fokussieren, das heißt, ich müsste direkt am Tier messen, ob die Haltung, von der ich ausgehe, dass sie zu mehr Tierwohl führt, auch tatsächlich zu mehr Tierwohl führt.“
Tierbezogene Indikatoren können sein: die Gesundheit des Tieres, die Verhaltensweisen des Tieres, aber auch die Emotionen des Tieres, etwa Stress. Das Schwein, so Schrader, wühle beispielsweise gerne mit der Nase, um Futter zu suchen. Deshalb brauche es Wühlgelegenheiten, sonst könnte es vorkommen, dass Tiere sich gegenseitig anfressen. „Wenn ich kein Substrat habe, in dem ich wühlen kann, dann ist das Nächstliegende an den Ohren und an den Schwänzen der Nachbarn zu beißen.“ Neben der Haltungsform spiele auch eine Rolle, wie gut der jeweilige Halter seine Tiere im Blick behält, so Schrader. „Früher sagte man, das Auge der Herrn mästet das Tier."
Ein entscheidender Eingriff in das Wohl des Tieres wird zudem durch die geplante Kennzeichnung gar nicht erfasst: Die Schlachtung. Die Kennzeichnung an sich ist also nicht geeignet, um mehr Tierwohl herzustellen. Und dennoch sieht Grünen-Agrarpolitikerin Renate Künast darin den wichtigen ersten Schritt, der die Grundlage für alles weitere werde:
„Dieses Gesetz muss einmal durch die Notifizierung in Brüssel, sonst kann es nicht gemacht werden. Und deshalb ist das der große Hieb, den wir hinkriegen müssen, dann auch durch die parlamentarische Beratung. Und dann kommt Verordnung für Verordnung. Dann kommt als nächstes die Ausweitung nicht von Mastfleisch im Handel, sondern eben auch in der Gastronomie und Außer-Haus-Verpflegung. Es kommt diese Verpflichtung auch für verarbeitetes Fleisch, das ist die nächste Stufe. Die Ferkel werden auch kommen, die Rinder werden kommen, also eins nach dem anderen. Ich finde eigentlich viel spannender: Wie schaffen wir jetzt den ersten Schritt umzusetzen und verzögern wir nicht, damit wir wirklich in dieser Legislaturperiode durch alle Bereiche durchkommen und das Ganze implementiert wird."

Mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher

Neben der Haltungskennzeichnung selbst braucht es weitere Schritte, um mehr Tierwohl überhaupt grundsätzlich möglich zu machen. Sei es bei Rahmenbedingungen für den Stallumbau oder auch dessen Finanzierung. Auch die hier geplanten Maßnahmen stoßen auf vielstimmige Kritik.
Damit Tiere mehr Platz bekommen können, müssen Ställe umgebaut werden. Hierfür braucht es zum Beispiel vereinfachte Genehmigungsverfahren für Landwirte, die in Tierwohl investieren wollen. Im Baurecht müssen darüber hinaus etwa Immissionsregelungen geändert werden, unterstreicht Carina Konrad, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion und als solche zuständig für Landwirtschaft. Wenn Ställe etwa offener gebaut würden, „dann ist das auch mit Beeinträchtigungen für die Umwelt verbunden, für die Anwohner verbunden, weil Tiere nun mal stinken. Und dann ist das natürlich ein Konflikt.“
In der Koalition ist umstritten, inwieweit Landwirte im Zuge der Umbaumaßnahmen mit vorhandener Fläche auskommen müssen. Mehr Platz pro Tier bei gleicher Grundfläche hieße: Weniger Tiere.
Neben mehr Tierwohl enthält die geplante Tierhaltungskennzeichnung noch eine weitere politische Zielsetzung: Es geht auch um die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Agrarpolitikerin Renate Künast von den Grünen spricht von Empowerment. „Die Transparenz ist der erste Schritt für eigene, individuelle Entscheidungen. Die Transparenz ist der erste Schritt für die Gastronomie, eine Entscheidung zu treffen.“
Die Hoffnung auch von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist: Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden sich bewusst für Fleisch aus den höheren Haltungsstufen entscheiden und damit durch ihre Konsumentscheidung Märkte entsprechend lenken: „Alle Umfragen zeigen ganz deutlich, die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher, und zwar die erdrückende Mehrheit der Verbraucher, möchte mehr Tierwohl, möchte mehr Tierschutz, möchte, dass Tiere anders gehalten werden“, so Özdemir im Interview der Woche des Deutschlandfunks.
Das würde aber auch bedeuten: Für Fleisch aus höheren Haltungsformen mehr zu bezahlen, die entsprechende Haltung auf diese Art zu finanzieren. Doch genau hier, beim Einkaufsverhalten, macht sich der Wunsch nach mehr Tierwohl nur bedingt bemerkbar, sagt Franz-Martin Rausch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Lebensmittelhandels: „Letztendlich sehen wir aber auch, dass die Verbraucher dann, wenn es darum geht, tatsächlich den Kauf zu tätigen, sehr wohl auf den Preis achten. Gerade auch vor dem Hintergrund natürlich, dass wir derzeit enorme Preissteigerungen bei Lebensmitteln, aber auch Gas und Energie und anderen Rohstoffen haben.“ Und auch Bernhard Krüsken vom Bauernverband hält fest: „Da regiert der Preis und nichts anderes.“
Balkendiagramm: m Jahr 2022 lag der Indexwert von Nahrungsmittelpreisen bei 151,2 Punkten (bis Juni). Das heißt, dass die weltweiten Preise im Jahr 2022 bis Juni um 51,2 Prozent höher ausfielen als im Referenzzeitraum 2014 bis 2016.
Hier offenbart sich eine der größten Schwächen der Ambitionen der Ampel-Regierung für mehr Tierwohl: Es bleibt völlig unklar, wie dies langfristig finanziert werden soll. Für den Umbau von Ställen gibt es zwar Investitionsförderung - eine Milliarde Euro ist für die kommenden drei Jahre im Haushalt des Landwirtschaftsministeriums vorgesehen: „Eine Milliarde, das klingt jetzt auf den ersten Blick erstmal ziemlich viel, aber“, setzt Bernhard Krüsken vom Bauernverband an. Und verweist dann auf die von der Borchert-Kommission errechneten Kosten – das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung schätzt den Förderbedarf des geplanten Umbaus für alle Tierarten 2030 auf 2,4 Milliarden Euro. Jährlich.

Keine Planungssicherheit für Schweinehalter

Aus Sicht von Agrarwissenschaftler Lars Schrader muss dringend nachgebessert werden, um eine nachhaltige Finanzierung über die Legislaturperiode hinaus zu schaffen und nicht nur Investitionen zu fördern, sondern auch gestiegene laufende Kosten durch Maßnahmen für mehr Tierwohl: „Sonst gibt es für die Tierhalter weder Veranlassung noch die Möglichkeit, finanziell diese höheren oder besseren Haltungsstufen überhaupt umzusetzen.“
Das unterstreicht auch Ferkelzüchter Thomas Ostendorf – und mahnt klare Perspektiven an, wo es mit den Haltungsanforderungen hingehen soll: „Wenn wir diese Ställe nach sieben oder acht Jahren bezahlt hätten, so wie die Industrie, dann hätte ich ja kein Problem, ich ruf meinen Bauunternehmer an, brech den Bumms ab und dann bauen wir das so, wie ihr das haben wollt. Aber ich bau ja teilweise Ställe um, die habe ich noch nicht mal abbezahlt. Von Abschreiben in der Buchführung reden wir noch gar nicht. Sondern von Abbezahlen, sodass die Bank sagt, jo ist in Ordnung, kommt, lass uns das Nächste machen. Unsere Ställe werden auf zwanzig bis dreißig Jahre finanziert.“
Um den Tierhaltern die Kosten für bessere Haltungsformen zu finanzieren hatte das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung bereits 2020 vorgeschlagen, nicht nur Investitionsförderung für Baumaßnahmen zu betreiben, sondern ein langfristiges Fördersystem zu etablieren. Hierbei sollten auch die von Schrader aufgebrachten Tierwohlindikatoren berücksichtig werden, um, Zitat „den tatsächlich auf den Betrieben erreichten Status an Tierwohl stärker zu berücksichtigen.“
Als Finanzierungsbasis hatte die Borchert-Kommission verschiedene Wege vorgeschlagen: eine Sonderabgabe Tierwohl, eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte oder eine Anhebung des bislang ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf tierische Produkte von sieben auf 19 Prozent.
Doch hier ergeben sich Schwierigkeiten, unterstreicht die grüne Landwirtschaftspolitikerin Renate Künast. Die Tierwohlabgabe würde durch einen hohen Verwaltungs- und Personalaufwand zu hohen Kosten führen, dies zeigt auch eine Machbarkeitsstudie des Landwirtschaftsministeriums. „Wir haben zum Beispiel bei der Frage Mehrwertsteuer, die durchaus Charme hat, aber den Nachteil, dass natürlich die Hälfte aller eingenommenen Gelder an die Bundesländer gehen. Deshalb darf man da nicht falsch rechnen und sagen wir nehmen hier jedes Jahr drei Milliarden Euro ein und damit können wir was machen. Die Hälfte davon gehört den Bundesländern, also damit können wir schon Mal nichts machen.“

Zahl der Schweinehalter in Deutschland geht zurück

Die Sache ist komplex – und verschiedene Sichtweisen innerhalb der Koalition machen eine Einigung schwierig. Die FDP will zwar auch kurzfristige Investitionsförderungen, langfristig müsse sich das System aber über die Ladentheke rentieren – durch entsprechende Preise, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carina Konrad: „Das ist der ehrlichste Weg. Am Ende muss der Markt dann auch entscheiden, ob er dieses Fleisch tatsächlich auch anerkennt und ich glaube, unsere Gesellschaft will das auch.“
„Es gibt keine Marktlösung in dieser Frage, das ist Schwachsinn. Entschuldigung, wenn ich das so dramatisch ausdrücken muss“, ärgert sich CDU-Agrarpolitiker Albert Stegemann. Wenn die Gesellschaft mehr Tierwohl wolle, müsse man hier auch die Honorierung sichern und nicht nur über das Ordnungsrecht neue Bedingungen schaffen: „Dann verschlechtern wir die Wettbewerbsfähigkeit und es sorgt nur dafür, dass Marktanteile in Deutschland kleiner werden und wir verlagern die Produktion ins Ausland und damit auch die Probleme.“
Derzeit sitzt eine Arbeitsgruppe der Ampel-Parteien zusammen, um auch in Sachen Finanzierung eine tragfähige Lösung zu präsentieren. Fragt man Agrarpolitikerin Renate Künast nach einer zeitlichen Perspektive, ist die Antwort knapp: "Wir gucken mal so Richtung Ostern, ja." Will die Bundesregierung eine Perspektive für Schweinehaltung in Deutschland schaffen, dann drängt die Zeit. Schon jetzt geht die Zahl der Schweinehalter in Deutschland zurück. Das statistische Bundesamt gibt die Zahl der schweinehaltenden Betriebe zum Stichtag 3. Mai 2022 mit rund 17 900 an – fast 1900 Betriebe weniger als noch im Jahr davor. Die Zahl der in Deutschland lebenden Schweine sank auf den tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung: rund 22,3 Millionen Schweine zum Stichtag.
Balkendiagramm. Seit dem Jahr 1950 ist die Anzahl der Betriebe mit Schweinehaltung in Deutschland stetig gesunken. Während im Jahr 2000 noch rund 123.500 Betriebe in der Schweinehaltung aktiv waren, waren es im Jahr 2022 nur noch 17.900.
Eine Reduktion der Tierbestände in Deutschland ist nötig, um die Tierhaltung, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, in Einklang mit Klima-, Gewässer- und Emissionsschutz zu bringen. Darauf hatte sich auch die gesellschaftlich breit aufgestellte Zukunftskommission Landwirtschaft verständigt. Doch durch aufgegebene Betriebe drohen Strukturbrüche in ländlichen Räumen. Auch deshalb ist es das erklärte Ziel der Bundesregierung, der Tierhaltung in Deutschland eine Zukunft zu geben, wie Renate Künast von den Grünen unterstreicht: „Ich will, dass die Bäuerinnen und Bauern eine Perspektive haben, wo ich auch sagen kann, ich muss mich nicht schämen, wenn ich in fünf Jahren jemanden wiedertreffe und die können dann auch sagen, okay, das war eine Ausrichtung, danach konnte ich meinen Betrieb ausrichten.“
Doch dass dies mit dem derzeitigen Paket an Gesetzesvorhaben und Maßnahmen für mehr Tierwohl gelingen wird, scheint aus Sicht der Bauern fraglich. „Und da weiß ich doch noch gar nicht wo die Reise hingeht, was soll ich da jetzt wieder Beton und Stahl in die Hand nehmen und in fünf Jahren kann ich den ganzen Scheiß wieder abreißen und hab‘s noch nicht mal abbezahlt? Ne. Da mach ich lieber gar nichts erstmal und suche mir andere Betätigungsfelder“, meint Ferkelzüchter Ostendorf.
Auch Thomas Schröder, Präsident des Tierschutzbundes, sieht die Bauern als die Angeschmierten, die keine Planungssicherheit bekämen: „Ich sage, lass uns dieses Gesetz erst einmal auf Eis legen und erst beantworten, wie soll die Schweinehaltung und in der Folge auch die Geflügelhaltung und die Rinderhaltung in Deutschland in 10, 20, 30 Jahren aussehen. So wie es die Borchert-Kommission auch beschrieben hat. Und wenn wir da eine gesellschaftliche Klarheit haben, dann bin ich bereit über jedes Kennzeichengesetz nochmal neu zu diskutieren unter dem Aspekt ist das jetzt hinderlich oder förderlich für die Entwicklung. Jetzt zu diesem Zeitpunkt würde ich sagen, lasst uns dieses Gesetz entweder ganz auf links drehen oder lieber auf Eis legen.“