Donnerstag, 28. März 2024

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Berichten vom Krieg
"Jeden Tag neuer Horror"

Recherchieren in zerbombten Städten, Interviews zwischen Leichen: Kriegsberichterstattung kann für Reporterinnen und Reportern traumatisch sein. Die Resilienz sei in dieser Berufsgruppe hoch, sagt die Psychologin Friederike Engst.

Text: Annika Schneider / Friederike Engst im Gespräch mit Antje Allroggen | 06.04.2022
AP-Fotograf Evgeniy Maloletka hilft einem Sanitäter, eine Verletzte zu transportieren.
20 Tage lang dokumentierten Evgeniy Maloletka und sein Kollege Mstyslav Chernov für die Nachrichtenagentur AP Gewaltverbrechen in der ukrainischen Stadt Mariupol - als einzige internationale Berichterstatter vor Ort. (picture alliance/Mstyslav Chernov/AP)
Die Bilder aus Butscha, auch andere Fotos und Videos aus der Ukraine, sind für viele kaum zu ertragen. Wie muss es dann sein, diese Fotos zu machen, selbst durch die Kameralinse auf Tote zu schauen, in Live-Schalten aus zerbombten Siedlungen zu berichten?

"Jeden Tag neuer Horror"

„Jeden Tag neuer Horror, jeden Tag neue Belege für das, was die russische Armee getan hat.“ So beschreibt „Bild“-Journalist Paul Ronzheimer seinen Reporteralltag in Kiew auf Twitter. Neben ihm berichten weitere Kollegen aus der ukrainischen Hauptstadt, darunter Frederik Pleitgen für CNN, Thore Schröder für den „Spiegel“ und Georg Restle für die ARD.
Auf ihren Twitter-Accounts posten sie meist nüchterne Schlagzeilen über ihre Recherchen. Wie es ihnen damit geht, über das Leiden und Sterben Hunderter Menschen zu berichten, schreiben sie nicht.

Mehr zur Berichterstattung aus der Ukraine

Dass der Einsatz in Krisengebieten extrem belastend sein kann, zeigt das Beispiel von Jay Tuck, der als Kriegsreporter unter anderem für die „Tagesschau“ viele gefolterte, getötete und vergewaltigte Menschen gesehen und 2018 auf einer Tagung von seinen Erfahrungen berichtet hat. Die Verarbeitung sei auch 30 Jahre später nicht abgeschlossen, sagte er dort.

Hohe Resilienz im Journalismus

Je häufiger und je stärker man traumaauslösenden Reizen ausgesetzt sei, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie Spuren hinterließen, sagte Friederike Engst, die sich als Psychologin auf die Traumabewältigung bei Medienschaffenden spezialisiert hat, im Dlf. Man wisse aber, dass Journalistinnen und Journalisten eine sehr hohe Rate an Resilienz hätten und es in dieser Gruppe nur zu wenigen Traumafolgestörungen komme.
Zu den Schutzfaktoren gehöre zum Beispiel die zusätzliche Distanz durch den Blick durch die Kamera und „dass man natürlich einen Job ausübt, der ein Stück weit die Hilflosigkeit, die mit traumatischen Situationen einhergeht, überwindet.“ Die professionelle Rolle in der Berichterstattung biete ebenfalls Schutz davor, nicht zu stark persönlich involviert zu sein.

Tipps auf Ukrainisch und Russisch

Das Dart Center for Journalism & Trauma, das an der Colombia Journalism School angesiedelt ist, hat schon im Februar Infomaterial für Redaktionen zusammengestellt, auch auf Ukrainisch und Russisch. Dort finden sich nicht nur Hinweise darauf, wie traumatisierte Personen sensibel interviewt werden können, sondern auch Tipps, wie Reporterinnen und Reporter in Krisenregionen sich selbst schützen können.

Mehr zur Traumabewältigung

In einer akuten Belastungssituation könne man oft extrem viel bewältigen, sagte Engst. Symptome könnten aber auch lange später auftreten, wenn Ruhe einkehre. Traumata könnten eine sukzessive Veränderung des Bewusstseins auslösen und das Vertrauen in sich selbst und die Urteilsfähigkeit verändern. Deshalb müsse es Aufklärung und Unterstützung geben.
Soziale Netzwerke und soziale Sicherheit seien wichtig, gerade für Freie ohne festen Arbeitgeber. Als Bewältigungsmechanismus sei erlaubt, was helfe, auch Humor oder gezielt alltägliche Strukturen in Ausnahmesituationen. „Alles sind normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse“, betonte Engst – das sei ihr wichtig.