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Tschechien und die Slowakei
Zivilgesellschaft hilft Flüchtlingen

Tschechien und die Slowakei lehnen eine Quotenverteilung von Flüchtlingen in Europa ab. Auch große Teile der Bevölkerung stützt diese Haltung der Regierungen. Doch das ist nicht das ganze Bild: Freiwillige und Bürgerrechtler in den Ländern setzen sich für die Geflüchteten ein.

Von Stefan Heinlein |
    Proteste gegen Flüchtlingsquoten für Tschechien in der tschechischen Stadt Moravske.
    Proteste gegen Flüchtlingsquoten in der tschechischen Stadt Moravske: Nicht alle Menschen in Tschechien denken so. (picture-alliance/dpa/CTK Photo/Vaclav Salek)
    Prag Hauptbahnhof. Seit vier Uhr morgens wartet Monika Horakova auf den Eurocity aus Budapest. Jetzt bleiben der 31-jährigen Wissenschaftlerin nur wenige Minuten, um die Flüchtlinge vor ihrer Weiterfahrt nach Berlin mit Wasser und Nahrungsmitteln zu versorgen.
    "Jedes Mal, wenn ich unsere Politiker über Flüchtlinge reden höre, dreht sich mir der Magen um. Wir haben deshalb beschlossen, selber etwas für die Menschen zu machen. Dieser Druck der Öffentlichkeit auf die Politik ist sehr wichtig."
    Einige hundert Helfer haben sich in Prag mittlerweile per Internet organisiert. Ähnliche Initiativen gibt es auch in Brünn und vielen anderen Städten des Landes. "Refugees welcome" steht auf dem Schild von Sandra Vidimova. Fast jeden Tag kommt sie an den Prager Hauptbahnhof. Die Studentin schämt sich für ihre Regierung:
    "Die Hysterie unserer Politiker ist völlig grotesk. Das ist Wasser auf die Mühlen der Extremisten. Ein Nährboden für Hass und Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft."
    Tatsächlich unterstützt eine breite Mehrheit der Bevölkerung die kompromisslose Ablehnung der Brüsseler Pflichtquoten durch die Prager Mitte-Links-Regierung. Neun von zehn Tschechen sind für die sofortige Abschiebung aller Flüchtlinge in ihre Heimatländer. Auch in den Medien gibt es nur verhaltene Kritik am Kurs von Ministerpräsident Bohuslav Sobotka.
    Aufruf zu Toleranz und Menschlichkeit
    Die Slowakei den Slowaken. Protest gegen Flüchtlinge vor wenigen Tagen in Bratislava. "Nein zum Brüsseler Quotendiktat" lautet eine Parole auf den Transparenten. Nur wenige Politiker und Bürgerrechtsgruppen wagen den offenen Widerspruch. Sie haben in den sozialen Netzwerken einem Aufruf für Toleranz und Menschlichkeit gestartet. 12.000 Bürger haben inzwischen unterzeichnet. Auch die Menschenrechtsanwältin Zuzana Stevulova hat genug von der fremdenfeindlichen Rhetorik der Regierung:
    "Die Menschen haben Angst vor dem Unbekannten. Für sie ist jeder Moslem ein Terrorist. Unsere Regierung unternimmt nichts gegen dieses Zerrbild. Im Gegenteil. Dahinter steckt latenter Rassismus. Die Politiker sind ein Spiegelbild der Gesellschaft, die sie gewählt hat."
    Im Parlament von Bratislava herrscht Einigkeit. Regierung und Opposition stärken Ministerpräsident Robert Fico den Rücken im Quotenstreit mit Brüssel. Vor den Wahlen Anfang kommenden Jahres versucht jede Partei politisches Kapital aus der Flüchtlingskrise zu schlagen. Der Bürgerrechtler Jan Orlovsky hofft dennoch langfristig auf ein Umdenken in der slowakischen Gesellschaft:
    "Unser Land hat fünf Millionen Einwohner. Warum können wir nicht einige tausend Flüchtlinge aufnehmen? Es ist einfach feige so zu tun, als ob uns die ganze Sache nichts angeht. Es betrifft uns aber alle."