Samstag, 11. Mai 2024

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Urteil im Prozess zur Staatsfolter in Syrien
"Es ist ein wirklich historisches Urteil"

Ein ehemaliger Offizier des syrischen Regimes ist in Deutschland wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Völkerrechtler Kai Ambos wertet dieses Urteil als historisch. Deutschland habe sich in der Vergangenheit bereits mehrmals beim Völkerstrafrecht verdient gemacht, sagte er im Dlf.

Kai Ambos im Gespräch mit Silvia Engels | 13.01.2022
Der Angeklagte steht vor der Urteilsverkündung im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts. Im nach Angaben der Bundesanwaltschaft weltweit ersten Strafprozess um Staatsfolter in Syrien ist der Angeklagte Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Auf der Anklagebank saà ein ehemaliger Vernehmungschef in einem syrischen Geheimdienst-Gefängnis.
Prozess um Staatsfolter in Syrien - der Angeklagte Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt worden (picture alliance/dpa/dpa Pool)
Der Angeklagte Anwar R. ist im Prozess um Staatsfolter in Syrien am Oberlandesgericht Koblenz zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Die Richter sprachen den 58-Jährigen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27-fachen Mordes, gefährlicher Körperverletzung in 25 Fällen, besonders schwerer Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Freiheitsberaubung, Geiselnahme und sexuellen Missbrauchs von Gefangenen schuldig. Auf der Anklagebank saß ein ehemaliger Vernehmungschef eines syrischen Geheimdienst-Gefängnis. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der Prozess am Oberlandesgericht Koblenz galt schon zum Auftakt vor knapp zwei Jahren international als historisch, weil es weltweit der erste Prozess um Staatsfolter in Syrien ist. Der Prozess hatte im April 2020 begonnen und sorgte international für Aufsehen.

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"Das ist ein historisches Urteil", sagte Kai Ambos, Professor für internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Göttingen, im Dlf. Deutschland sei hier in den letzten Jahren Vorreiter gewesen - auch "dank der großen Aktivität der Generalbundesanwaltschaft, die auch aufgestockt wurde im Völkerstrafrecht". Ohne diese Arbeit hätte es in solchen Fällen Straflosigkeit gegeben. Es sei eine "schreiende Ungerechtigkeit", dass Personen wie Syriens Staatspräsident Baschar al-Assad nicht zur Rechenschaft gezogen würden, so Ambos.
Auch verschiedene Menschenrechtsorganisationen bezeichneten das Verfahren als historisch. Die Entscheidung des Gerichts sei ein bedeutendes Signal im internationalen Kampf gegen die Straflosigkeit, erklärte Amnesty International. Human Rights Watch betonte, das Urteil weise den Weg für andere derartige Prozesse. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat das Urteil des Koblenzer Oberlandesgerichts zu Staatsfolter in Syrien als Vorbild für die Strafverfolgung in anderen Ländern empfohlen.

Das Interview im Wortlaut:

Silvia Engels: Wie ordnen Sie dieses Urteil ein?
Kai Ambos: Das ist ein historisches Urteil, hat ja auch international für sehr viel Interesse gesorgt. Leider Gottes ist die deutsche Sprache international nicht so verbreitet, aber es gab ja auch Prozessbeobachtungen durch Kollegen aus Marburg. Es ist ein wirklich historisches Urteil und man kann das Gericht und auch die Beteiligten nur beglückwünschen, dass sie hier ein solches Urteil ermöglicht haben.
Das Oberlandesgericht in Koblenz.
Das Oberlandesgericht in Koblenz hat das Urteil im Fall Anwar R. gesprochen (dpa/Thomas Frey)
Engels: Was macht das Urteil denn so besonders?
Ambos: Wir haben ja das Problem in Syrien, wie Sie wissen, dass wir letztendlich keine Countability haben, keine Verantwortlichkeit. Der Internationale Strafgerichtshof ist ja per se nicht zuständig, weil Syrien keine Vertragspartei ist, und der UN-Sicherheitsrat, der eine Überweisung an den IStGH machen könnte, ist blockiert durch das Veto der Russen, und die Chinesen, die folgen da auch.
Insofern: die ständigen Mitglieder können ja durch Veto so was verhindern, so dass man eigentlich kein Gericht hat. Da kann nur ein Drittstaat, wie wir das nennen, ein Staat wie Deutschland, in dem die Verbrechen eigentlich gar nicht stattgefunden haben, über das sogenannte Weltrechtsprinzip für Gerechtigkeit sorgen.

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"Die Beweisaufnahme ist ein großes Problem"

Engels: Das haben Sie jetzt schon angesprochen, aber das ist ja auch gleichzeitig etwas, woran mancher Beobachter auch ein Fragezeichen macht. Kann nämlich ein deutsches Oberlandesgericht staatliche Strukturen in Syrien so weit durchleuchten, dass es einschätzen kann, ob der Angeklagte die Taten verübte, ob er sich selbstverantwortlich entschied, oder ob er letztlich doch unter dem Zwang des Regimes stand, so etwas tun zu müssen?
Ambos: Die Frage ist durchaus berechtigt. Das ist eine andere Frage als die Frage der Zuständigkeit: Können Sie auf so eine Ferne – wir machen das ja auch mit Fällen in der Demokratischen Republik Kongo, wo es noch weiter weg ist, wo Sie auch gar nicht hinkönnen im Falle Syriens. Sie haben schon recht: Die Beweisaufnahme ist ein großes Problem. Aber da kann sich das Oberlandesgericht, dessen Urteil wir noch nicht kennen – das müsste man da genauer angucken – stützen auf viele Berichte von Nichtregierungsorganisationen.
Sie haben hier auch viele Opfer, die in Deutschland sind, wie übrigens auch die Täter, syrische Flüchtlinge. Insofern haben wir schon eine Beweisaufnahme. Inwieweit jetzt da die Strukturen des Sicherheitsapparats, vor allem dieses Gefängnisses durchleuchtet werden konnten, das kann man eigentlich erst beurteilen, wenn man das Urteil vor sich hat.

"Es geht immer um die individuelle Schuld"

Engels: In Strafprozessen geht es ja auch um individuelle Schuldfeststellung, in diesem Fall um den 58jährigen. Jetzt wird es zugleich aber auch symbolisch aufgeladen, dass hier ein Prozess auch gegen die gesamten syrischen Strukturen geführt wird. Kann man das tun?
Ambos: Ich weiß jetzt nicht, wer das symbolisch auflädt. Auch da haben Sie wieder recht, Frau Engels. Es geht zunächst mal – und das macht ein Strafgericht; das stellt ja nur die Verantwortlichkeit dieses betreffenden Anwar R. fest. Wie weit wir jetzt aus diesem Urteil Strukturfolgerungen machen können – wie gesagt, wir müssen das Urteil lesen, ob da zum Beispiel steht, wie der Geheimdienst strukturiert ist, wie da die Hierarchien sind.
Solche Fragen können natürlich im Rahmen der Beurteilung des Verhaltens dieses Angeklagten relevant geworden sein, weil er ja als Leiter der Ermittlungsabteilung der Haftanstalt, dieser Abteilung 251 des syrischen allgemeinen Geheimdienstes, angeklagt wurde. Ein bisschen muss man in die Strukturen gehen, aber es ist zunächst mal eine Verurteilung eines Menschen, der aber an wichtiger Stelle im syrischen Regime gestanden hat. Das ist ja so ähnlich wie das Eichmann-Verfahren damals in Israel 1961 oder irgendwelche Verfahren gegen Nazi-Größen. Es geht immer um die individuelle Schuld, aber es gibt auch immer ein bisschen strukturelle Überlegungen.
Kai Ambos im Portrait. Er ist Professor für internationales Strafrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und Richter am Kosovo-Sondertribunal.
Kai Ambos ist Professor für internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Göttingen (Kai Ambos)
Engels: Herr Professor Ambos, weil Sie gerade noch mal gefragt haben, wer das so auflädt. Das sind viele Beobachter, das sind viele Menschenrechtsaktivisten. Wir hatten zu Beginn Patrick Kroker vom Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte gehört. Er sagt sinngemäß, er sehe in dem Prozess vor allem den Wert, dass festgestellt werde, dass die syrische Regierung Menschheitsverbrechen begehe. Das ist ja ein hehres Ziel. Aber ist das die Aufgabe eines solchen nationalen deutschen Strafprozesses?
Ambos: Wie gesagt, noch mal: Wir müssen das Urteil sehen, ob das, was Patrick Kroker sagt, den ich gut kenne und schätze, vom Urteil getragen wird. Natürlich haben NGOs eine andere Mission als ich hier als Wissenschaftler. Das muss man vom Urteil sehen. Aber wir haben Urteile dieser Art, zum Beispiel beim Jugoslawien-Tribunal. Denken Sie mal an Srebrenica, Karadzic, wo die Aussage, dass ein Genozid begangen wurde, obwohl der bis heute von der serbischen Regierung geleugnet wird, aus dem Urteil entnommen wird. Es gibt jetzt ein Genozid-Urteil gegen Karadzic und andere und da sagen wir heute schon und übrigens auch Historiker, ja, der Genozid ist dadurch bewiesen.
Andererseits haben wir Fälle wie Armenien-Türkei, wo uns die Historiker sagen, da gab es einen Genozid, wo aber kein juristisches Urteil besteht. Insofern: Solche Urteile, aus denen kann man schon was entnehmen, je nachdem wie sie begründet werden.

"Das ist ja immer nur eine Art subsidiäres Eingreifen"

Engels: Werden wir ähnliche Urteile in anderen Fällen von deutschen Gerichten in Zukunft häufiger erleben?
Ambos: Es war jetzt für Syrien nicht der erste Fall. Wir hatten ja schon den Ayad A., diesen Mitarbeiter, der verurteilt wurde wegen Beihilfe, der ein bisschen niederrangiger war als der Anwar, und wir haben weitere Urteile gegen einen General, die noch kommen werden. Wir hatten auch zum Beispiel Urteile in Frankfurt am OLG gegen afrikanische Angeklagte.
Deutschland hat in den letzten Jahren dank der großen Aktivität der Generalbundesanwaltschaft, die auch aufgestockt wurde im Völkerstrafrecht, da einiges gemacht und deswegen wird das in Zukunft auch noch so sein – vor allem vor dem Hintergrund, dass wir sonst in solchen Fällen Straflosigkeit hätten. Wir reißen uns nicht um die Fälle.
Wenn ich „wir“ sage meine ich Deutschland. Das ist ja immer nur eine Art subsidiäres Eingreifen. Es geht einfach nicht, dass wir in solchen Fällen wie Syrien nichts tun. Es ist eigentlich eine schreiende Ungerechtigkeit, dass ein Mensch wie Assad oder Lukaschenko, um den zu nennen – da werden ja auch Ermittlungen angestellt. Wir müssen uns fragen, wie können wir an solche Leute rankommen, und da ist jetzt diese Strafverfolgung oder diese drohende Strafverfolgung schon auch ein wichtiges Instrument.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.