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Atomkraft und Gas in der EU-Taxonomie
Energie-Expertin Kemfert: "Ein Rückschlag für den Klimaschutz"

Die EU-Kommission stuft Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig ein. In rückwärtsgewandte Technologien zu investieren, hindere aber beim Umstieg auf erneuerbare Energien, kritisierte die Energieökonomin Claudia Kemfert im Dlf.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Dirk Müller |
Claudia Kemfert ist Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, bei einer Pressekonferenz in Berlin (Imago/Chris Emil Janßen)
Seit Monaten wurde über diesen Schritt diskutiert und gestritten: Die EU-Kommission hat ihre sogenannte Taxonomie vorgelegt. Damit werden Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig eingestuft.
Wie die Behörde in Brüssel mitteilte, sollen Kernkraftwerke als klimafreundlich gelten, wenn eine Baugenehmigung bis 2045 vorliegt und es im Land einen Plan und finanzielle Mittel für die Atommüllentsorgung gibt. Mit Blick auf Gaskraftwerke wurden die Auflagen weiter gelockert. Demnach gelten Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 mit klimafreundlicheren Gasen betrieben werden.
Die Taxonomie-Pläne bedeuten nach Ansicht der Energie-Ökonomin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, einen Rückschlag für den Klimaschutz. Es würden Pflöcke für bestimmte Energiebereiche eingeschlagen, die man in Zukunft nicht mehr benötige.
Atomenergie sei zudem nicht versicherbar. "Sie finden keine Banken, es sei denn, Sie geben umfassende Subventionen, die da wirklich ernsthaft investieren."


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Das Interview im Wortlaut:
Dirk Müller: Frau Kemfert, wie schlecht ist dieser Tag für Sie?
Claudia Kemfert: Schlecht, weil das ist wirklich ein Rückschlag für den Klimaschutz. Dass beide Technologien, sowohl Atom als auch fossiles Erdgas, in der Taxonomie drin sind, ist tatsächlich nicht sehr produktiv, gerade weil es ja darum geht, dass wir jetzt Investitionen benötigen für den Ausbau der erneuerbaren Energien in großem Stil, aber auch Stromnetze, grüner Wasserstoff, darein muss investiert werden, auch die Infrastruktur. All das, da wäre es sinnvoll gewesen, man würde das als grün, echt grün und nachhaltig labeln und die Transparenz dafür schaffen. Dass man jetzt in rückwärtsgewandte Technologien der Vergangenheit investiert, hindert uns bei diesem Umstieg. Es hält uns auch wieder auf. Diese typischen Brückentechnologie-Theater, die kosten uns immer mindestens zehn Jahre Zeit. Das haben wir jetzt hier wieder. Das hatten wir in der Vergangenheit bei Atom auch schon, das hatten wir auch bei Kohle. Immer brauchen wir irgendwas als Brücke und am Ende muss man teuer aussteigen und entschädigen, und das hätte man tatsächlich vermeiden können. Ich finde schon, es ist ein schlechter Tag.
Müller: Heißt das denn, wenn Ursula von der Leyen in Zukunft noch von „Green Deal“ spricht, dann spricht sie von einer Schimäre, die gar nicht stattfinden kann?
Kemfert: Zumindest das „Green“ müsste man ein bisschen anders benennen. „Green Deal“ würde ich das dann nicht mehr nennen, weil tatsächlich Atomenergie nicht nachhaltig ist. Es ist ja auch so, dass durch den Atommüll enorme Kosten entstehen, aber vor allen Dingen auch enorme Risiken, und das als nachhaltig zu labeln, ist tatsächlich aberwitzig.
Müller: Das sehen viele europäische Länder anders. Die Deutschen sind da besonders radikal oder wie auch immer interpretiert, konsequent in der Interpretation. Die Franzosen sehen das anders, viele andere Länder auch. Da werden neue moderne Atomkraft-Technologien diskutiert, in Großbritannien beispielsweise auch. Warum haben wir da diese Sonderrolle inne?
Kemfert: So sonder ist das gar nicht, weil es gibt durchaus auch andere Länder, die klagen. Das würde ich Deutschland auch empfehlen. Das sind Österreich, Spanien, Dänemark und noch ein paar andere. Das ist nicht die Mehrheit, da haben Sie völlig recht, die da notwendig gewesen wäre, um das zu stoppen, aber dennoch wage ich zu bezweifeln, dass diese Neubauten von Atomkraftwerken finanzierbar sind. Die Banken winken ja selber alle ab und sagen, das wollen wir gar nicht, die Risiken sind uns zu groß. Jetzt braucht man da massive Subventionen aus dem EU-Staatshaushalt, aus den Ländern, und jetzt mit deutschem Steuergeld europäische Atomkraftwerke mitzufinanzieren, ist tatsächlich nicht wirklich sinnvoll.

„Wir müssen jetzt schnell werden, um diese Klimaneutralität wirklich zu erreichen“

Müller: Warum akzeptiert die Bundesregierung das?
Kemfert: Deutschland hat sich das ein bisschen selber eingebrockt, weil da wieder Interessen drin sind. Fossiles Erdgas auf der anderen Seite, damit sind wir ja zurecht auch auf dem Holzweg. Beides wird sich nicht rentieren. Aus fossilem Erdgas müssen wir aussteigen, der Anteil muss sinken. Sonst schaffen wir die Pariser Klimaziele nicht. Atomenergie ist wahnsinnig teuer und risikobehaftet und da braucht man, allein um ein Kraftwerk zu bauen, über ein Jahrzehnt, und die Zeit haben wir gar nicht. Wir müssen jetzt schnell werden, um diese Klimaneutralität wirklich zu erreichen.
Müller: Warum macht die Bundesregierung das dann mit unter Beteiligung der Grünen? Haben Sie da eine Erklärung?
Kemfert: Na ja, das ist genau diese Rolle, die die Bundesregierung auch schon in der Vergangenheit hatte, durch diese starke Verquickung zum fossilen Erdgas, die Russland-Krise, die wir im Moment haben. Nord Stream 1 war schon ein Fehler, Nord Stream 2 noch viel mehr. Wir haben aber diese Verquickung. Insofern können wir da nicht gegenvotieren, wenn die anderen sagen, wir sind gegen euer Erdgas. Da gibt es ja auch einige europäische Länder, die dagegen sind. Dann ist Deutschland da verhaftet in dieser Erpressungsrolle. Deswegen ist man am Ende tatsächlich bei so einem Kompromiss gelandet. Der ist aber wirklich schlecht.
Müller: Das heißt, es gibt keine konsequente Klimapolitik, auch nicht der neuen Ampel-Koalition?
Kemfert: Doch, es gibt eine konsequente Klimapolitik auch der Ampel-Koalition. Wir reden hier auf europäischer Ebene über einen Rahmen für die Finanzbedingungen. Das ist das eine, aber das andere ist in der Tat, der Anteil von fossilem Erdgas muss zurückgehen.
Müller: Sie sagen, jetzt ist das gar nicht so entscheidend. Sie sagen, das ist doch konsequent, wenn man jetzt einen fossilen Brennstoff fördert und Milliarden darin investiert?
Kemfert: Der Anteil von fossilem Erdgas muss tatsächlich sinken. Sie haben da völlig recht. Das haben wir auch kritisiert. Wir haben uns den Koalitionsvertrag sehr intensiv angeschaut. Da würde ich schon sagen, da ist eine konsistente Klimapolitik da, aber sie muss deutlich besser sein, gerade was den Ausbau der erneuerbaren Energien angeht. Da ist man sehr ambitioniert. Das ist gut. Auf der anderen Seite ist dieser Wermutstropfen immer noch das stetige Festhalten am fossilen Erdgas. Das behindert er in der Tat. Auch bei der Verkehrswende fehlt so einiges. Gebäude-Energie ist unser nächstes Thema, was wir haben, wo auch noch einiges fehlt, wo nachgebessert werden muss. Da ist schon einiges, was man da vorhat. Das ist schon eine konsistente Politik. Aber es fehlt einiges und das ist das fossile Erdgas, wo man wirklich auf dem Holzweg ist.

"Atomenergie ist nicht versicherbar"

Müller: Sie haben eben, Frau Kemfert, noch ein Stichwort gebracht mit Blick auf die Unternehmen. Es geht jetzt darum: Es soll ja sehr stark jedenfalls mit privaten Anteilen finanziert werden. Deswegen auch dieses Label. Deswegen können Unternehmen künftig damit werben, wir haben nachhaltig investiert in Atomkraft oder vergleichsweise auch in Erdgas. Jetzt sagen Sie, viele Unternehmen und Banken winken da ab, die haben gar kein Interesse daran, weil sie das ähnlich so bewerten, wie Sie das tun. Ist das wirklich so in der Welt der Unternehmen, der Wirtschaft, dass es nicht attraktiv ist, was Brüssel jetzt entschieden hat?
Kemfert: Was Atomenergie angeht ganz sicher. Atomenergie ist nicht versicherbar und Sie finden keine Bank, es sei denn, Sie geben umfassende Subventionen, die da wirklich ernsthaft investieren. Die Europäische Investitionsbank hat ja auch schon abgewunken und gesagt, das ist für uns überhaupt nicht von Interesse, wir müssen da auch nicht reininvestieren.
Beim fossilen Erdgas ist es etwas anders. Da geht es auch in Richtung grünem Wasserstoff. Da findet man sicherlich Investoren. Aber man erhofft sich auch hier, weil man weiß, fossiles Erdgas ist endlich, dass es dort Unterstützung gibt seitens dieser europäischen Finanzpuffer, die dann damit einherkommen. Das ist genau das Problem daran, dass wir wieder in Technologien investieren, die uns aufhalten hin zu einer vollständigen Energiewende. Das ist das Drama jetzt an dieser Taxonomie, dass da jetzt Pflöcke eingeschlagen werden für Bereiche, die wir so in der Zukunft nicht mehr brauchen, und auch die Finanziers, die Unternehmen, die Finanzinstitutionen jetzt in eine falsche Richtung gelockt werden und am Ende mit stranded Investments hantieren muss, in Sand gesetzten Investitionen, die dann abgeschrieben werden müssen, und das hätte man vermeiden müssen.

Französische Kraftwerke müssen mit Subventionen unterstützt werden

Müller: Aber Emmanuel Macron wird sich jetzt freuen? Der kann was in den Wahlkampf einbringen und sagen, wir haben weiter unsere Atomkraft, wir haben weiter preiswerten Strom, wie auch immer. Zumindest bezahlen die Franzosen viel, viel, viel weniger für ihre Energiekosten als die Deutschen.
Kemfert: Ja, weil sie das massiv subventionieren. Wenn Sie mal auf die europäische Landkarte gucken und sich die Börsenstrompreise angucken, dann ist Frankreich ganz weit vorne. Die französischen Atommeiler sind ja auch in der Bredouille. Sie sind finanziell angeschlagen. Das muss mit Subventionen unterstützt werden. Das ist tatsächlich ein Trugschluss oder eine Scheinlösung.
Müller: Aber wir bezahlen jetzt mit, dass die Franzosen billigen Strom haben?
Kemfert: Das ist ja das Drama. Deswegen ist das ein schlechter Tag heute, weil wir da in der Tat dann das mitbezahlen müssen, indirekt mitbezahlen müssen, und das hätte man aus meiner Sicht vermeiden sollen – ja.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.