Die USA gelten als bedeutende globale Ordnungsmacht. Doch das war nicht immer so. Lange setzten die Vereinigten Staaten auf das Prinzip der Nichteinmischung. Erst im 20. Jahrhundert prägte sie die Weltpolitik. Immer wieder pendelte US-Außen- und Sicherheitspolitik dabei zwischen Internationalismus und Isolationismus.
Wie kam es, dass Amerika zum Weltpolizisten wurde?
Ursprünglich sehen sich die USA keinesfalls als globale Ordnungsmacht. In der Monroe-Doktrin von 1823 setzt der fünfte US-Präsident stattdessen auf Isolationismus. Präsident James Monroe betont: Die Europäer sollen sich aus dem amerikanischen Kontinent raushalten. Die Amerikaner werden sich im Gegenzug nicht um die Angelegenheiten in Europa kümmern.
Die Doktrin formuliert Monroe, als sich Lateinamerikas Länder aus der kolonialen Umklammerung Spaniens und Portugals lösen. Für Monroe geht es vor allem darum, Südamerika als eigenen ökonomischen Expansionsraum zu reklamieren. Die Präsenz der europäischen Kolonialmächte wird als Bedrohung der amerikanischen Demokratie wahrgenommen.
Das Ende der Monroe-Doktrin
Das Prinzip der Nichteinmischung bleibt lange eine Leitlinie der amerikanischen Außenpolitik. Bis die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintreten. Der damalige Präsident Woodrow Wilson bricht damit nicht nur mit der Monroe-Doktrin, sondern auch mit seinem eigenen Wahlversprechen: nämlich die USA aus dem großen europäischen Krieg herauszuhalten.
Es gelte, die Demokratie weltweit zu verteidigen, argumentiert der US-Präsident damals. Schließlich besteht die Gefahr, dass Deutschland siegen und dann eine deutsche Militärmonarchie den europäischen Kontinent beherrschen könnte.
Aber es gibt auch ökonomische Gründe, sagt Politikwissenschaftler Herfried Münkler: Der von deutscher Seite uneingeschränkte U-Boot-Krieg bedroht auch US-amerikanische Schiffe auf dem Atlantik. Das bringt den Welthandel in Gefahr – und stellt damit die „amerikanische Position in der Welt“ infrage. Außerdem haben die USA, Großbritannien und Frankreich Kredite gewährt, die die beiden Länder bei einer Niederlage nur schwer zurückzahlen könnten.
Die Gründung des Völkerbundes
Der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg bringt den Sieg der Entente. Anschließend versucht Wilson, eine Friedensordnung zu schaffen. Er verfolgt dabei „idealistische Vorstellungen über eine Pazifizierung der Welt, bei der gerade die Frage des Ökonomischen eine zentrale Rolle spielt“, sagt Münkler. Die Idee dabei: Demokratien führen keinen Krieg gegeneinander. Eine Demokratisierung führe also zu einer Pazifizierung und damit zu mehr Sicherheit für die USA. Wilson will die Welt sicher machen für die Demokratie.
Auf seinen Vorschlag hin wird der Völkerbund gegründet, der dauerhaft für Frieden und Stabilität sorgen soll. Doch danach ziehen sich die USA schnell wieder aus Europa zurück, treten dem Völkerbund auch nicht bei. Wieder folgen sie dem Prinzip der Nichteinmischung.
Zweiter Weltkrieg – und Pearl Harbor
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wollen sich US-Amerikaner nicht noch einmal in einen Krieg hineinziehen lassen – bis der japanische Angriff auf Pearl Harbor die Wende bringt. Zunächst kämpfen die USA nur im ostasiatischen Raum, dann aber erklärt Hitler dem Land den Krieg.
Der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt sieht im Eingreifen der USA auch die Chance, langfristig eine neue Weltordnung zu schaffen. Nach dem Sieg der Alliierten bleiben die US-Truppen deswegen in Europa und Ostasien und Roosevelt treibt die Gründung der Vereinten Nationen voran.
Die Truman-Doktrin und der Kalte Krieg
Außerdem geht es vor allem darum, Westeuropa vor dem Zugriff der Sowjetunion zu bewahren. Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman formuliert 1947 eine neue außenpolitische Doktrin. Sie ist darauf ausgerichtet, die Expansion der Sowjetunion einzudämmen und verspricht, allen Völkern Beistand zu leisten, die drohen, in die Hände Moskaus zu fallen – überall, unbedingt, notfalls mit Waffengewalt. Diese Grenzenlosigkeit führt die USA in den Vietnamkrieg. Es folgen Jahrzehnte des Kalten Kriegs mit zwei großen Machtblöcken in der Welt. Die USA werden zur Eingreiftruppe im Namen liberaler Demokratien und im ureigenen Interesse.
Die Politologin und Zukunftsforscherin Florence Gaub bewertet die Rolle der USA als Ordnungsmacht trotzdem positiv. „Geopolitisch sind die USA – geschichtlich gesehen – der erste Hegemon, der es geschafft hat, frühere Feinde zu seinen Freunden zu machen“, sagt sie mit Blick auf Vietnam und Deutschland.
Der Historiker Bernd Greiner zeichnet in seinem Buch „Made in Washington“ dagegen ein finsteres Bild vom globalen Wirken der USA. „Die USA sind ein rabiater Hegemon, der zur Durchsetzung seiner Interessen auf nichts und auf niemanden außer sich selbst Rücksicht nimmt und dabei über Berge von Leichen geht“, schreibt er – und verweist unter anderem auf den Abu-Ghuraib-Folterskandal oder Obamas Drohnenkrieg.
Können die USA die Rolle als Weltmacht noch ausfüllen?
Der Rückzug aus Syrien und Afghanistan lässt Zweifel aufkommen, ob die USA die Rolle als Weltmacht noch ausfüllen können. Herfried Münkler sieht die USA nicht mehr in der Lage, die Weltordnung zu hüten. Es habe ein „Imperial Overstretch“ – also eine Überdehnung des zu beherrschenden Raumes – stattgefunden. Als Erster habe dies US-Präsident Barack Obama gesehen. Danach habe dann sein Nachfolger Donald Trump mit der Formel „America first“ die Hüterrolle einer Weltordnung „krachend hingeworfen“.
Das amerikanische Zeitalter sei nun vorbei, so Münkler. Stattdessen prognostiziert er eine Welt der globalen Einflusszonen mit fünf großen Mächten: den USA, China, Russland, Europa und Indien. Dabei werde es „keine gemeinsame Wertestruktur geben“.
Florence Gaub widerspricht: „Es gibt eigentlich seit 100 Jahren immer wieder dieses Narrativ, dass der Westen oder die USA am Ende sind“, sagt sie. Sie sieht darin vor allem unsere eigenen Sorgen gespiegelt, „am Ende zu sein“. Das US-Militär sei nach wie vor „das beste Militär der Welt“.
Welche Auswirkungen hätte der Ausfall der USA als Schutzgarant für Europa und Deutschland?
Lange hat Europa auf die USA als Schutzmacht gesetzt. Denn mit der Gründung des Verteidigungsbündnisses NATO 1949 war klar: Wenn ein Mitgliedstaat angegriffen wird, wird dies als Angriff auf alle NATO-Mitglieder gewertet.
Damit könnte es aber bald vorbei sein, wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahlen am 5. November 2024 gewinnt. Denn Trump drohte immer wieder damit, die NATO-Bündnistreue aufzukündigen, wenn sich andere NATO-Länder nicht an das vereinbarte Ziel halten, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben. Wer nicht zahlt, der soll auch nicht verteidigt werden, so Trump. Verständlich, findet die Politologin Florence Gaub. Nicht nur Trump, auch schon Obama hätte deutlich gemacht: Eure Sicherheit auf unsere Kosten, das finden wir blöd.
Dass sich die USA als Schutzmacht gänzlich aus Europa zurückziehen werden, glaubt die Politologin aber nicht. Letztendlich wolle Trump nur, dass „wir unsere eigene Sicherheit garantieren können“, so Gaub. „Er will amerikanische Truppen aus Europa abziehen können, damit er sie im Kriegsfall woanders einsetzen kann.“
Krieg in der Ukraine und Zeitenwende
Egal, wie die Außenpolitik der USA in den kommenden Jahren aussehen wird, über eins sind sich etliche Politikwissenschaftler einig: Europa muss stärker in die eigene Sicherheit investieren – und zwar möglichst schnell. Die Hauptaufgabe sei dabei, „den Schutz der politischen Souveränität und territorialen Integrität aller Mitglieder der EU und der NATO umfassend gegen ein aggressiv-revisionistisches Russland zu sichern“, schreiben die Politikwissenschaftler Markus Kaim und Ronja Kempin in einer Analyse für die Stiftung Wissenschaft und Politik. Also sich stärker auf die Verteidigung des eigenen Landes konzentrieren, statt an internationalen Einsätzen mitzuwirken. Eine Neuausrichtung der Sicherheitspolitik, die in Deutschland unter dem Begriff „Zeitenwende“ firmiert.
Sowohl Gaub als auch Kaim und Kempin fordern engere europäische Kooperationen: Die EU-Länder müssten die Zusammenarbeit in der Rüstungsproduktion verbessern und schnellere, vereinfachte Entscheidungsstrukturen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik schaffen. Vor allem „werden sich die EU-Staaten darauf vorbereiten müssen, den Kampf der Ukraine gegen Russland weitgehend allein zu unterstützen“, schreiben Kaim und Kempin.
Nukleare Abschreckung
Ein weiterer zentraler Punkt: Zögen sich die USA als Schutzmacht aus Europa zurück, müsse die nukleare Abschreckung künftig europäisch organisiert werden, so Kaim und Kempin. Dabei wäre eine „Europäisierung“ des französischen Kernwaffenarsenals denkbar. Die französische Regierung lehnt diese Idee bisher aber ab. Eine andere Variante: eine genuin europäische Nuklearstreitkraft.
Doch die bräuchte wegen großer politischer und rechtlicher Hürden Zeit, so Markus Kaim und Ronja Kempin. „Die Option einer europäischen nuklearen Abschreckung ist also nicht realistisch, auch wenn Stimmen aus der deutschen Außenpolitik das Gegenteil behaupten.“
Jörg Biesler, lkn