Ob es der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die jüngste Eskalation im Nahostkonflikt oder einer der zahlreiche weitere Kriege und gewaltsamen Konflikte weltweit ist, die Vereinten Nationen (United Nations Organisation, UNO) scheinen derzeit machtlos, auch nur einen zu beenden. Dabei wurden die Vereinten Nationen 1945 mit dem Ziel gegründet, den Frieden in der Welt zu sichern. Doch wo gibt es noch wirksame Interventionen in den aktuellen Krisen, fragen sich viele. Müssen die Vereinten Nationen reformiert werden? Und wenn ja, wie?
Inhaltsübersicht:
Welche Ziele haben die Vereinten Nationen?
Die Organisation der Vereinten Nationen wurde am 24. Oktober 1945 von 51 Staaten gegründet. Es war eine Reaktion auf den Ersten und den Zweiten Weltkrieg mit ihren Millionen von Toten weltweit. Heute hat die UNO mit Hauptsitz in New York 193 Mitgliedsstaaten. Die Sicherung des Weltfriedens, die Einhaltung des Völkerrechts und der Schutz der Menschenrechte gehören zu den zentralen Zielen, sie stehen deshalb auch im ersten Kapitel der UN-Charta.
Welche Mittel haben die Vereinten Nationen zur Verfügung?
Um gegen Konflikte anzugehen, haben die Vereinten Nationen verschiedene Instrumente, die sich zum Teil erst im Laufe der Zeit entwickelten. Noch vor einer Gewalteskalation seien das Maßnahmen der präventiven Diplomatie wie Fact-Finding-Missions, eine Art Erkundungsmissionen, erklärt der Politologe Steve Biedermann. Das Zweite: die Friedensschaffung, das Peacemaking, also „einen Konflikt einzudämmen, wenn er bereits ausgebrochen ist“.
Dann die Friedenssicherung, das Peacekeeping – zur Unterstützung etwa bei der Umsetzung eines Friedensabkommens. Für dieses Konzept bekamen die Vereinten Nationen 2001 den Friedensnobelpreis.
Zentrales Beratungsgremium der Vereinten Nationen ist die UN-Vollversammlung. Ihre Aufgaben sind darüber hinaus die Genehmigung des UNO-Haushalts, die Ernennung des UN-Generalsekretärs und Besetzung zentraler Ämter. Noch wichtiger aber, wenn es um die Beilegung von Konflikten geht, ist der UN-Sicherheitsrat. Er wurde als einziges UNO-Organ mit rechtlich verbindlichen Sanktionsmechanismen ausgestattet, die es ihm im Falle eines Bruchs oder der Bedrohung des Weltfriedens erlauben, in die Souveränität von Staaten einzugreifen. Das können friedliche Mittel wie Wirtschaftssanktionen sein, aber auch militärische Mittel.
Voraussetzung für ein Eingreifen ist aber, dass kein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats sein Veto einlegt. Das sind: China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA.
Was hat die UNO für Frieden in der Ukraine und Nahost unternommen?
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen nach dem Massaker der Terrororganisation in Israel rufen vielfach Forderungen an die Vereinten Nationen hervor, Wege in Richtung Frieden zu eröffnen. Doch bislang erwiesen sich die UNO machtlos gegenüber der Gewalt und Zerstörung.
In Bezug auf den Krieg in der Ukraine kann Russland als Vetomacht alle entscheidenden Beschlüsse im Sicherheitsrat blockieren. Und so erlangte auch eine noch am 24. Februar 2022, dem Tag des Angriffs, von den USA im Sicherheitsrat eingebrachte Resolution, in der die russische Invasion „bedauert“ wurde, bei elf Ja-Stimmen, drei Enthaltungen (die Volksrepublik China, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate) durch das Veto Russlands keine Gültigkeit. Allerdings wurde der russische Einmarsch in die Ukraine von der UNO-Generalversammlung am 2. März 2022 dann mit der großen Stimmenmehrheit von 77,9 % auf das Schärfste missbilligt.
Im Nahen Osten bemühen sich die Vereinten Nationen schon seit 1948 um Frieden. Die United Nations Truce Supervision Organization (UNTSO) bemüht sich seit dem israelischen Unabhängigkeitskrieg oder auch Palästinakrieg bis heute um die Wahrung des damals vereinbarten Waffenstillstands zwischen Israel und den arabischen Kriegsparteien. Die Mission erstreckt sich mittlerweile über Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon und Syrien. Zudem gibt es weitere UN-Missionen in der Region, etwa Unifil im Libanon und die Undof-Mission auf den Golan-Höhen zwischen Syrien und Israel.
Sicherheitsrat erlässt erstmals Resolution zu Gaza
In Bezug auf den Gazakrieg hat die UNO-Vollversammlung zwar mit großer Mehrheit Resolutionen zugestimmt – die aber nicht bindend sind. Im Sicherheitsrat scheiterte eine von den USA vorgeschlagene Resolution am Veto Russlands und Chinas. Darin wurde unter anderem eine sofortige Waffenruhe, bedingungslose Freilassung der israelischen Geiseln gefordert und die Taten der Hamas verurteilt.
Am 25. März 2024 hat der UNO-Sicherheitsrat aber dann eine Resolution für eine „sofortige Waffenruhe“ bis zum 9. April im Gazastreifen angenommen, in der Hoffnung, in dieser Zeit einen dauerhaften Waffenstillstand auszuhandeln. Der Sicherheitsrat fordert zudem die bedingungslose Freilassung aller Geiseln und mehr humanitäre Hilfe für Gaza. Die USA haben sich enthalten und den Beschluss damit möglich gemacht. Die USA stimmten nicht dafür, weil die Hamas in der Resolution nicht verurteilt wird.
Die USA, die sich als Schutzmacht Israels verstehen, bezeichneten die Resolution allerdings auch als „nicht bindend“. Dass es zu Sanktionen gegen Israel kommen könnte, ist daher unwahrscheinlich, denn diese folgen keinem Automatismus, sondern müssten im Sicherheitsrat beschlossen werden. Dass die USA kein Veto gegen die Resolution eingelegt haben, sei aber dennoch ein „deutliches politisches Signal“ an Israel, dass die USA mit der Gaza-Strategie Israels nicht einverstanden sei, sagte der Politikwissenschaftler Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Wo war die UNO erfolgreich?
Die Vereinten Nationen haben in vielen Kriegen erfolgreich vermittelt und Konflikte entschärft. Der Politologe Steve Biedermann nennt als Beispiel Namibia und die dortige Unterstützungseinheit der Vereinten Nationen für die Übergangszeit (United Nations Transition Assistance Group, UNTAG). Sie sollte den Unabhängigkeitsprozess Namibias von Südafrika in den 80er-Jahren begleiten. Es gelang, die dort herrschenden Kämpfe zu beenden und damit die Grundlage für einen demokratischen Weg und die Unabhängigkeit des Landes zu schaffen.
Als Erfolg gilt auch die Friedenssicherung in Osttimor. Zwischen 1999 und 2013 gab es insgesamt fünf UNO-Einsätze in dem früher von Indonesien annektierten Land. Die erste Mission sicherte dabei die Volksabstimmung zur Unabhängigkeit von Osttimor. Die letzten Blauhelme verließen 2013 das Land.
Auch die UN-Einsätze in Liberia, wo die UNO-Friedensmission UNMIL ab 2003 ein von Bürgerkriegen erschüttertes Land bis 2016 stabilisierte, oder die Mission UNAMSIL in Sierra Leone von 1999 bis 2005 gelten als Erfolge. Zudem war die UNO maßgeblich daran beteiligt, dass Konflikte wie etwa die Kubakrise nicht zum Krieg wurden.
Wo sind die Vereinten Nationen gescheitert?
Es gibt aber auch einige UNO-Missionen, die teils dramatisch gescheitert sind. Ein drastisches Beispiel ist der Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994 – bis heute ein Trauma der UNO. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen (United Nations Assistance Mission for Rwanda, UNAMIR) sollte nach dem Abschluss eines Friedensvertrags zwischen Hutu und Tutsi 1993 bei der Stabilisierung des Landes helfen. Doch die Gewalt breitete sich aus und die UN-Friedenssoldaten konnten sich aufgrund ihres Mandats selbst nur schwer schützen. Innerhalb kurzer Zeit starben in dem Völkermord an der Tutsi-Minderheit 800.000 Menschen.
Ein Jahr später, 1995, wurden beim Massaker von Srebrenica mindestens 7.000 muslimische Jungen und Männer getötet. Auch dort gab es eine UN-Friedenstruppe – die Schutztruppe der Vereinten Nationen (United Nations Protection Force, UNPROFOR) für Bosnien und Herzegowina. Sie war 1992 vom UNO-Sicherheitsrat angesichts der bewaffneten Konflikte in Kroatien und Bosnien-Herzegowina beschlossen worden. Sie konnte jedoch das Massaker, das als das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs gilt, nicht verhindern. Auch hier erlaubten Mandat und Ausrüstung nicht die erforderliche Gegenwehr.
Wie könnte die UNO wieder handlungsfähiger werden?
Die Arbeit der Vereinten Nationen wird häufig kritisiert. In Krisenzeiten steht dabei vor allem der Sicherheitsrat im Blickpunkt, weil dort völkerechtsverbindliche Beschlüsse am Veto einzelner Staaten scheitern. Deshalb gibt es inzwischen zahlreiche Vorschläge, wie der Sicherheitsrat reformiert werden könnte.
Ein Kritikpunkt ist dabei vor allem, dass der Sicherheitsrat die verschiedenen Weltregionen längst nicht mehr so repräsentiert wie bei seiner Gründung. Ohne eine Anpassung des Rates an die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts laufe der Sicherheitsrat Gefahr, an Legitimität und Autorität zu verlieren, erklärte das Auswärtige Amt 2022. Und der Bundestag beschloss im September 2023 mit den Stimmen der Ampelkoalition, dass es das Ziel sein müsse, „eine gerechtere Repräsentanz aller Weltregionen insbesondere Afrikas und Lateinamerikas zu erreichen“.
„Es darf nicht sein, dass beispielsweise Indien mit einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden weniger Gewicht hat als seine frühere Kolonialmacht Großbritannien mit 60 Millionen“ kritisiert etwa auch die Deutsche Gesellschaft für die vereinten Nationen.
Die weit überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen befürworte eine Reform des Sicherheitsrats einschließlich seiner Erweiterung in beiden Kategorien (ständige und nichtständige Sitze), erklärte das Auswärtige Amt. „Es fehlt aber nach wie vor an Einigkeit über die konkrete Ausgestaltung der Reform"
Dafür sorgen, dass sich das ändert, soll ein UNO-Zukunftsgipfel im September 2024. Dann wird sich zeigen, ob vor allem die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats bereit sind, Macht abzugeben und so Veränderungen zu ermöglichen.
Bei allen Problemen betont aber der frühere UN-Botschafter Deutschlands, Peter Wittig: „Hätten wir die Vereinten Nationen nicht, wäre die Welt noch unsicherer als sie jetzt schon ist.“
abr, gü