Krieg im Nahen Osten
Missachten Israel und Iran das Völkerrecht?

Israel hat den Iran angegriffen und der Iran schlägt zurück. Beide Länder berufen sich auf ihr Recht zur Selbstverteidigung. Doch Experten widersprechen: Israels Angriff verstoße gegen das Völkerrecht und auch der Iran halte sich nicht daran.

    Zerstörte Autos stehen in einer Straße, auf ihnen ist Schutt und Staub. Ein Menschen schaufelt Schutt weg.
    Zerstörung in Teheran: Nach der Einschätzung von Völkerrechtlern war Israels Angriff auf den Iran rechtlich nicht gedeckt. (picture alliance/Anadolu/Fatemeh Bahrami)
    Staaten dürfen keine Gewalt anwenden und auch nicht mit Gewalt drohen, das ist in der Charta der Vereinten Nationen (UN) in Artikel 2 festgeschrieben. Israel und der Iran sind Mitglieder der Vereinten Nationen und müssten sich daher an das Völkerrecht halten. Beide Länder argumentieren mit Ausnahmen, die das Völkerrecht zulässt.

    Inhalt

    Diese Ausnahmen lässt das Völkerrecht zu

    Das Völkerrecht sehe Ausnahmefälle vor, in denen Mitgliedsstaaten Gewalt als Mittel nutzen dürfen, erklärt Kai Ambos, Professor für Straf- und Völkerrecht an der Universität Göttingen.
    Erstens könne der UN-Sicherheitsrat einen Einsatz autorisieren. Das gehe nach Artikel 42 der UN-Charta dann, wenn friedliche Maßnahmen nicht ausreichen.
    Zweitens dürften sich Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mit Gewalt verteidigen, wenn sie angegriffen würden. Sie müssten den UN-Sicherheitsrat dann über ihre Maßnahmen zur Verteidigung informieren.

    Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.

    Auszug aus Artikel 51 der UN-Charta

    So ordnet die Bundesregierung Israels Angriff auf den Iran ein

    Bundeskanzler Friedrich Merz wertet den Angriff Israels auf den Iran als einen Akt der Selbstverteidigung. Merz äußerte „größten Respekt“ dafür, dass die israelische Armee beziehungsweise Staatsführung „den Mut dazu gehabt hat, das zu machen“.
    Merz beruft sich dabei auch auf eine Erklärung der G7-Staaten, zu denen Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, das Vereinigte Königreich und die USA gehören. Nach einer Tagung in Kanada hatten die G7 einen Text veröffentlicht, in dem der Iran als „die Hauptquelle regionaler Instabilität und des Terrors“ bezeichnet und Israels Recht auf Selbstverteidigung betont wird.
    Kanzleramtschef Thorsten Frei sagte, dass eine abschließende völkerrechtliche Bewertung noch nicht möglich sei: „Wir haben heute schlicht nicht die Erkenntnisse, die notwendig wären.“ Fakt sei aber, dass Israel so gehandelt habe, weil es massiv bedroht worden sei. Das staatspolitische Ziel des Irans sei es, Israel zu vernichten. Vor diesem Hintergrund müsse man alles beurteilen. Der Kanzleramtschef betonte, dass Deutschland auch nach den israelischen Angriffen auf den Iran in der Verantwortung sei, alles dafür zu tun, dass Israel sich verteidigen könne.

    Völkerrechtler sehen keine Rechtsgrundlage für Israels Angriffe

    Von Selbstverteidigung im Sinne des Völkerrechts könne man nicht sprechen, sagt dagegen Völkerrechts-Experte Ambos. Verteidigung setze zwar nicht zwingend voraus, dass man zuerst angegriffen wurde, es gebe auch das Prinzip der sogenannten vorgelagerten Verteidigung. Ein Staat muss demnach nicht sehenden Auges darauf warten, dass er angegriffen wird. Vorgelagerte Selbstverteidigung kann in besonderen Ausnahmefällen zulässig sein, wenn ein überwältigender Angriff unmittelbar bevorsteht, keine Zeit bleibt und es keine andere Möglichkeit gibt.
    Entscheidend dabei ist aber laut Amboss: Wenn Staaten sich auf vorgelagerte Verteidigung berufen wollten, dann müssten sie plausibel nachweisen, dass die Voraussetzungen gegeben sind. Israel habe bisher aber keine Beweise für eine unmittelbare Gefahr vorgelegt. Zudem hätten Verhandlungen über ein neues Atomabkommen mit dem Iran unmittelbar bevorgestanden, es hätte also auch friedliche Wege zur Abwehr der Gefahren gegeben.
    Die Einschätzung von Ambos wird von zahlreichen Rechtsexperten geteilt. Israels Vorgehen falle in den Bereich der „präventiven Verteidigung“, sagte Pierre Thielbörger vom Bochumer Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht in der ARD. Von präventiv spreche man, wenn ein Angriff zwar möglicherweise vorbereitet werde, aber nicht unmittelbar bevorstehe. Präventive Verteidigung sei allerdings vom Völkerrecht nicht gedeckt.

    Keine Belege für eine unmittelbare Bedrohung durch den Iran

    Israels Verteidigungsminister Israel Katz hatte den Angriff auf den Iran als "Präventivschlag" bezeichnet. Das iranische Atomprogramm sei weit fortgeschritten gewesen. Israel hat allerdings bisher keine Hinweise veröffentlicht, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Angriff des Iran hindeuten.
    Noch im März 2025 hatte die US-Geheimdienstdirektorin Tulsi Gabbard vor dem US-Kongress ausgesagt, dass US-Geheimdienste keine Hinweise auf iranische Arbeiten an einem nuklearen Sprengkopf sähen. US-Präsident Donald Trump hat dieser Einschätzung von Gabbard nach dem israelischen Angriff gegen den Iran widersprochen. "Es ist mir egal, was sie gesagt hat“, sagte Trump. Er glaube, dass der Iran "sehr nahe" an einer Atomwaffe gewesen sei.

    Experte: Auch Irans Gegenschläge verstoßen gegen Völkerrecht

    Der Iran hat nach Israels Angriff zurückgeschlagen – und beruft sich dabei ebenfalls auf sein Selbstverteidigungsrecht. Dabei müssen die Grundsätze des humanitären Völkerrechts beachtet werden. Die Zivilbevölkerung muss verschont werden, so sieht es das 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen vor. Das gilt ebenso für zivile Objekte. Der Bochumer Völkerrechtler Pierre Thielbörger sagte der ARD, Ziel von iranischen Verteidigungsangriffen dürften nur militärische Ziele sein.
    "Die Angriffe des Iran scheinen aber unterschiedslos zu sein, das heißt, sie scheinen sich gleichsam gegen zivile wie militärische Ziele zu richten", sagte er. In diesem Fall werde gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Die militärischen Reaktionen des Iran müssten zudem "auch tatsächlich der Selbstverteidigung dienen", schreibt Mehrdad Payandeh von der Bucerius Law School in Hamburg im "Verfassungsblog". Vergeltungsmaßnahmen seien ebenso unzulässig wie Angriffe auf zivile Objekte und Zivilisten.

    pto