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Volkszählung und Zensus
Ein Fundament aus Daten zum Planen und Regieren

Kitas, Schulen, Pflegeheime, ÖPNV, Wohnungen und andere Bereiche: Braucht es mehr oder weniger Angebote? Um vorausschauend planen zu können, fragt der Staat über einen Zensus regelmäßig viele Daten von den Bürgerinnen und Bürgern ab. So auch in diesem Jahr. Allerdings wenig effizient und eher kostenintensiv.

Von Caspar Dohmen | 13.05.2022
Menschen auf der Königsallee in Düsseldorf
Der Zensus soll unter anderem beantworten, wie viele Menschen in Deutschland leben (IMAGO/Michael Gstettenbauer)
„Die Demonstration geht hier links vom Saturn auf die Alexanderstraße, biegt dann rechts ab die Karl-Marx-Allee runter bis zum Frankfurter Tor, dann wieder rechts über die Oberbaumbrücke und dann zur Arena Kreuzberg, wo diese elendige Immobilienmesse derzeit stattfindet….“
In Deutschland treibt die Frage nach bezahlbaren Wohnungen viele um. Unter den Demonstranten am Berliner Alexanderplatz ist eine ältere Frau: „Ich wollte eine Rollstuhlfahrerin im Falkenhagener Feld reinkriegen.“
Die Demonstrantin wusste von mehreren freien Wohnungen in der Siedlung, sie wollte der Rollstuhlfahrerin helfen, nahm Kontakt zu der Hausverwaltung auf. „Die halten sie jetzt seit einem Jahr hin. Drei Wohnungen sind frei. Die haben es nicht nötig. Die haben es noch nicht mal nötig, die zu vermieten.“
Handelt es sich bei solchen Leerständen um vereinzelte lokale Phänomene oder stehen Wohnungen im großen Umfang leer? Von der Antwort auf diese Frage hängt maßgeblich die Wohnungspolitik ab.

Bevölkerungsdaten als Grundlage für politische Entscheidungen

Als Grundlage für politische Entscheidungen benötigen Staaten und die Verwaltung verlässliche Daten. Deswegen führt der deutsche Staat ab dem 15. Mai einen Zensus durch. Welche Daten dabei erhoben werden, wurde zuvor per Gesetz festgelegt.
Im Unterschied zur Volkszählung – in Deutschland zuletzt 1987 durchgeführt – greift der Staat bei einem Zensus in einem erheblichen Ausmaß auf die Daten seiner Bürger zu, die sich in Registern befinden. Befragt werden nicht alle Bürgerinnen und Bürger wie bei der Volkszählung, sondern nur ein Teil. Gut zehn Prozent der Bevölkerung sollen alle 34 Fragen des diesjährigen Zensus beantworten. Einschließlich der Sonderbefragung aller Immobilieneigentümer müssen beim jetzigen Zensus rund 30 Millionen Menschen Auskunft geben.
„Der Zensus, der liefert ja Information über die Bevölkerungszahl, aufgegliedert nach Alter, Geschlecht und vor allen Dingen nach Region und solche Daten sind vor allem notwendig für die Planung der kommunalen Infrastruktur, also Kita-Planung, Schulplanung, Pflegebedarf im Alter gehört dazu“, sagt die Familiensoziologin Michaela Kreyenfeld von der Hertie School of Governance in Berlin.
„Der Staat benötigt diese Daten auch für ganz andere Dinge, wo man jetzt so als erstes gar nicht darauf kommt, beispielsweise für den Länderfinanzausgleich braucht man Bevölkerungszahlen, nach Bundesland, aber auch für die Sitzverteilung in Gemeinde-, Kreis- und Landräten muss man wissen, wie viele Personen immer in bestimmten Regionen wohnen.“
Vor allem eine eminent wichtige Frage beantwortet der Zensus: Wie viele Menschen leben in Deutschland? Davon hängt wiederum die Berechnung vieler für die politische Planung wichtiger Statistiken und Quoten ab. Steigt beispielsweise die Geburtenrate an, braucht es in wenigen Jahren mehr Plätze in Kitas und Grundschulen.

Keine Daten auf Knopfdruck

Aber wissen die Behörden nicht ohnehin, wie viele Bürgerinnen und Bürger etwa in der Bundesrepublik leben? „Ja, ich glaube, das ist immer diese Vorstellung, dass der Staat schon alle Daten auf Knopfdruck hat. Da ist wirklich das absolute Gegenteil der Fall, gerade in Deutschland. Der letzte Zensus war 2011 und zu dem Zeitpunkt wussten wir überhaupt nicht, wie viel Leute in diesem Land leben. Die Daten werden alle zehn Jahre erhoben und in der Zwischenzeit wird fortgeschrieben. Das heißt, da werden von den Daten, die man in dem einen Jahr erhoben hat, da werden dann die Geburten dazu gezählt, die Sterbefälle abgerechnet und dann noch mal für die Migration korrigiert. Das heißt, alles was zwischen den Zensen passiert, das ist dann relativ ungenau. Und dieses Problem, das zeigte sich dann beim letzten Zensus, da kam dann eben raus, dass die Bevölkerungszahl um 1,5 Millionen verkehrt war.“
Aber wie konnte es dazu kommen, dass in den Melderegistern 1,5 Millionen Menschen mehr gemeldet waren als tatsächlich in Deutschland lebten? Der Hauptgrund dafür ist, dass sich niemand in Deutschland beim Umzug abmelden muss.
Nikola Sander, Forschungsdirektorin für Migration & Mobilität am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden: „Da gibt es keine Pflicht, wenn ich Deutschland verlasse, in ein anderes Land ziehe, mich abzumelden. Es gibt auch wenig Anreize. Wohingegen, wenn ich zuwandere, dann habe ich den Anreiz, ich brauche Zugang zum Sozialsystem, zur Krankenversicherung, Kinderversorgung etc.“
Derzeit meldeten sich beispielsweise viele Schutzsuchende aus der Ukraine nach kurzer Zeit bei den Meldeämtern an, obwohl sie 90 Tage ohne Anmeldung in Deutschland bleiben dürfen. Aber viele Mütter wollen ihre Kinder in die Kita und Schule schicken. Voraussetzung dafür ist wiederum eine Meldung. „Das heißt, da melde ich mich an. Bei der Abmeldung passiert das nicht. Das heißt, wir haben da eine große Lücke, einen blinden Fleck bei der Abwanderung.“
Mit solchen Meldeproblemen kämpfen viele Staaten in Europa. Nikola Sander forscht gerade zu einem neuen Verfahren, mit dem Litauen versucht, das Problem zu lösen: „Das ist ein Beispiel, wo über die Steuerzahlungen nun ein Anreiz geschaffen wurde, sich abzumelden, weil auch sonst Litauer, die im Ausland leben, in Litauen weiter Steuern zahlen müssen und dadurch melden sie sich jetzt vermehrt ab, wenn sie ins Ausland gehen, um die Steuerzahlung zu umgehen. Also das ist eine Möglichkeit.“
Die amtlichen Daten des Zensus bilden auch die Grundlage für die Verteilung der Finanzmittel in der föderal aufgebauten Bundesrepublik. Denn nach der Höhe der Einwohnerzahl bemisst sich prinzipiell, wie viel Geld die Kommunen von den Bundesländern bekommen. Wenn die Einwohnerzahl einer Gemeinde schrumpft, schrumpft auch die Geldsumme.

Weniger Einwohner, weniger Geld

Als die Einwohnerzahl bei dem Zensus von 2011 um 1,5 Millionen Menschen sank, gab es in vielen Kommunen ein böses Erwachsen. Daran erinnert Norbert Brugger, Dezernent beim Städtetag in Baden-Württemberg: „Also die Geschichte des Zensus 2011 hat richtig begonnen eben als die Ergebnisse dann 2013 verkündet worden sind und das hat schon heftig eingeschlagen.“
Manche Städte wie Mannheim oder Konstanz hatten laut amtlicher Zählung sogar acht Prozent weniger Einwohnerinnen und Einwohner als bis dato angenommen. Das bedeutete jährlich ein dickes Minus an Zuweisungen in zweistelliger Millionenhöhe. Noch höher fielen die Verluste für die Stadtstaaten Berlin und Hamburg aus. Sie hegten allerdings genauso wie mehr als 300 Kommunen Zweifel an der Berechnung und klagten vor dem Bundesverfassungsgericht.
Aussenwerbung für den Zensus 2022
Die Bundesregierung wirbt mit einer Kampagne für den Zensus (IMAGO / Michael Gstettenbauer)
Tatsächlich fiel ein Unterschied beim Zensus zwischen Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern auf, bei denen sich der Zensus fast vollständig auf die Daten aus Melderegistern stützte, und größeren Gemeinden, wo für den Zensus ein Teil der Bürger direkt befragt wurde. Norbert Brugger: „Wir hatten dann nachgewiesen, dass die Kommunen mit 9000 bis 10.000 Einwohnern viel besser abgeschnitten haben wie die zwischen 10.000 und 11.000, also es war dann auch für den Statistiker evident, dass da irgendwas passieren muss.“
Die Melderegister generierten also im Ergebnis in der Regel höhere Einwohnerzahlen als die direkten Befragungen. Beim aktuellen Zensus werden nun Menschen in allen Gemeinden befragt, unabhängig von deren Größe. Aber mit dem Hauptanliegen ihrer Klage scheiterten die Kommunen damals vor dem Bundesverfassungsgericht. Denn eigentlich wollten sie für Kommunen das Recht erreichen, mittels Klage die Ermittlung der Einwohnerzahl nachvollziehen zu können.

Wohnungsnot: Wie viele Wohnungen werden gebraucht?

„Diesen Einblick in das Zustandekommen der neuen Einwohnerzahl, soweit ist das Bundesverfassungsgericht eben dort nicht gegangen, so dass für uns das Ergebnis auf kommunaler Ebene bei den einzelnen Städten und Gemeinden tatsächlich eine Black Box bleibt. Wir geben was in die Black Box hinein, wissen aber nicht, was letztendlich in der Black Box passiert und am Ende kriegen wir aber ein Ergebnis“, so Norbert Brugger.
Über das Thema Wohnungsnot wird in Deutschland hitzig gestritten. Die Mehrheit der Menschen in Berlin stimmte sogar für eine Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne. Dafür gibt es in der Politik aber keine Mehrheit. Mittels des Zensus verschafft sich die Gesellschaft für solch strittige politische Zeitfragen wie das Wohnen zumindest eine verlässliche Datengrundlage.
Darauf verweist Katja Wilken, Leiterin der Abteilung Digitales und der Projekte Zensus und Mikrozensus beim Bundesamt für Statistik in Wiesbaden: „Brauchen wir mehr Wohnraum, der neu gebaut werden muss? Sie kennen die Zahl: Jedes Jahr gibt es das Ziel, 400.000 neue Wohnungen zu schaffen. Wie kommt jemand dazu, zu sagen, 400.000 ist die relevante Zahl? Also darauf zielen diese Erhebungen ab, um einmal solche Größenordnungen dann auch am Ende dem Grunde nach, erst mal benennen zu können.“
Nach dem Zensus 2011 wusste man, dass zum Stichtag 4,5 Prozent der Wohnungen in Deutschland leer standen. Aber eine solche Stichtagszahl ist vergleichsweise wenig aussagekräftig. Schließlich könnte es sich um die ganz gewöhnliche Leerstandsquote zwischen zwei Nutzungen handeln. Ein wesentlich genaueres Bild werden die Statistiker nach dem aktuellen Zensus erhalten. Denn dieses Mal werden alle Immobilieneigentümer auch gefragt, wie lange und aus welchen Gründen Häuser oder Wohnungen leer stehen. Außerdem werden erstmalig auch die Nettokaltmieten erhoben. Alle 23 Millionen Gebäude- und Wohnungseigentümer oder deren Verwalter müssen schriftlich oder online antworten. Weil die amtlichen Statistiker die Daten künftig bis hinunter auf Gemeindeebene aufbereiten können, dürften sie ein wesentlich detaillierteres Bild von Angebot und Nachfrage auf dem deutschen Wohnungsmarkt erhalten. Das ist neu.
Katja Wilken: „Das heißt auch, kommunale Entscheidungsgeber sind in die Lage versetzt, über diese Daten ihre kommunalen politischen Entscheidungen zum Beispiel zu treffen.“
Bleibt trotz der Kleinteiligkeit bei der Aufbereitung der Daten der Datenschutz gewahrt? „Wir unterstellen diese Daten alle der Geheimhaltung. Die werden so aggregiert, dass niemand mehr erkennbar ist und kein Einzeldatensatz mehr nachvollziehbar sein wird. Gleichwohl sollen die Ergebnisse in der Folge aber diese entscheidungsgebenden Informationen natürlich beinhalten.“

Zensus nur alle zehn Jahre

Aber reicht es, amtliche Daten über den Wohnraum nur alle zehn Jahre bei einem Zensus zu erheben? Benötigt die Politik beispielsweise angesichts vieler Schutz suchender Menschen – aus Syrien 2015 oder neuerdings aus der Ukraine – keine neueren Daten, um richtig reagieren zu können? Katja Wilke vom Statistischen Bundesamt wünscht sich aktuellere Informationen über die Wohnungssituation.
„Deshalb planen wir ja nach dem Zensus 22 den sogenannten Registerzensus inklusive des Aufbaus eines Gebäude- und Wohnungsregisters, wo sie dann deutlich häufiger und bedarfsorientierter das auch nachvollziehen können, wie diese Leerstandentwicklung oder auch die Leerstandsdauern sein werden.“
Exakte und aktuelle Daten sind sicher eine Grundbedingung für den Staat, wenn er über eine wirksame Wohnungspolitik entscheiden will. Aber liegt es alleine an fehlenden Daten über Leerstände, dass es in Deutschland zu wenige Wohnungen gibt?
„Das ist zu kurz gedacht“, sagt Sebastian Bartels. Der stellvertretende Geschäftsführer beim Berliner Mieterverein, schüttelt den Kopf: „Die Daten sind allenfalls wichtig für die Planung, aber nicht allein maßgeblich. Es hat vielmehr praktisch an einem politischen Willen gefehlt. Es war ja auch Geld da. Der Bund hat für den sozialen Wohnungsbau den Bundesländern, nachdem es in deren Kompetenz fiel, 2006 eben, viele, viele Millionen zur Verfügung gestellt und was haben die Bundesländer überwiegend gemacht? Sie haben das Geld anderweitig genutzt, um andere Haushaltslöcher zu stopfen anstatt sozialen Wohnungsbau voranzutreiben.“

Vorbild Skandinavien

Bei der Erfassung wichtiger Bevölkerungsdaten und deren Aufbereitung für Staat oder Wissenschaft sind einige Länder Deutschland voraus. Manche verfügen sogar über dermaßen gut organisierte Register, dass sie sich beim Zensus auf die Auswertung der Registerdaten beschränken. Eine Befragung von Bürgerinnen und Bürgern sparen sich diese Staaten. Norbert Brugger, Dezernent beim Städtetag in Baden-Württemberg: „Schweden und die skandinavischen Länder, auch Estland, ist zumindest für mich und ich glaube auch für die Mehrheit jetzt im kommunalen Bereich tatsächlich ein Vorbild.“
Diese Staaten können tatsächlich auf Knopfdruck die aktuelle Bevölkerungszahl ermitteln. Das liegt daran, dass es in Skandinavien und anderen Ländern wie den Niederlanden oder Estland ein zentrales Bevölkerungsregister gibt und alle Einwohner über eine Identifikationsnummer verfügen. Kinder bekommen sie gleich bei ihrer Geburt im Krankenhaus. So lassen sich die verschiedenen Registerdaten verknüpfen.
Wegweisend findet Norbert Brugger auch, dass in Estland Bürgerinnen und Bürger jederzeit selbst über ihren Computer daheim einsehen könnten, wer auf ihre persönlichen Daten beim Staat zugegriffen hat. Damit ist der Staat in Estland bei Daten transparent, ganz anders als etwa viele Privatunternehmen. Denn kein Verbraucher kann heute nachschauen, was Unternehmen wie Amazon, Google oder Facebook mit seinen Daten anfangen.

Forscher wollen Längsschnitt-Daten

Norbert Brugger hat der Besuch in Estland inspiriert: „Da ist man dann fasziniert und kommt nach Deutschland zurück und denkt: Jetzt kann ich auch die Bäume ausreißen, aber noch ist es nicht ganz so.“
Mit den anonymisierten Daten der Statistikbehörden aus diesen Ländern arbeiten auch Forschende aus anderen Ländern. Worin der besondere Wert dieser Daten besteht, erläutert die Forscherin Nikola Sander vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden: „Vor allen Dingen, dass wir mit den Daten, die es in den Niederlanden und Skandinavien gibt, nicht nur einzelne Jahre betrachten können, also so einzelne Zeitscheiben, 2011, 2022, jetzt wie in Deutschland, sondern eben komplett über teilweise Jahrzehnte hinweg auch einzelne Personen dann verfolgen können, Familienkonstellationen und dann auch individuelle Lebensverläufe analysieren können, was für unsere bevölkerungswissenschaftliche Forschung sehr wichtig ist und ein großen Teil unserer Forschung ausmacht, wo wir eben einzelne Personen, Individuen betrachten und dann schauen, wie sind die Auswirkungen, zum Beispiel von internationaler Migration nach Deutschland auf den individuellen Erwerbsverlauf, auf das Familienleben, auf das Wohlbefinden und dazu braucht man eben diese längsschnittlichen Daten, die einzelne Personen über eine ganz Zeit hinweg sozusagen verfolgen.“
Deshalb beschäftigten sich viele Forscher mehr mit Skandinavien, den Niederlanden und anderen Ländern, die diese Daten eben hätten, dafür etwas weniger mit Deutschland, meint Sander. Das sei schade, zumal sich die Ergebnisse nicht einfach übertragen ließen, wegen der Unterschiede zwischen den Staaten und Gesellschaften.
Nikola Sander: „Die Strukturen sind anders, teilweise sind ja auch die Siedlungsstrukturen andere, wenn man jetzt an die Niederlande denkt, ist natürlich viel dichter besiedelt als Deutschland. Norwegen ist viel mehr auf Oslo zentriert, also es sind ganz andere Siedlungsstrukturen, weshalb auch der Vergleich dann so spannend wäre mit Deutschland, insofern hoffen wir, dass wir da bald bessere Daten bekommen.“
Tatsächlich will Deutschland denselben Weg einschlagen und in Zukunft auch einen registergestützten Zensus durchführen. Die Grundlagen dafür hat die Bundesregierung 2021 mit dem Registermodernisierungsgesetz beschlossen. Als Dreh- und Angelpunkt soll die persönliche Steuer-Identifikationsnummer jedes Bürgers dienen. Datenschützer hatten erhebliche Bedenken gegen die einheitliche Erfassung. Dagegen erhofft sich die Wissenschaft ein besseres Bild von der Situation der Bevölkerung in Deutschland und der Staat bekäme möglicherweise eine bessere Grundlage für seine Planung und könnte obendrein noch Geld sparen.
Katja Wilken vom Statistischen Bundesamt: „Der Staat gibt für einen Zensus etwa 1,5 Milliarden Euro aus. Mit einem registergestützten Zensus, so wie wir das anstreben, könnten wir einmal die Befragung der Bürgerinnen und Bürger entfallen lassen, was eine extreme Entlastung im Sinne der Entbürokratisierung ist, zugunsten der Bürger. Zum anderen gehen wir davon aus, dass wir die Kosten für einen Zensus um 80 Prozent senken können. Voraussetzung ist aber, dass wir zum Beispiel ein Gebäude- und Wohnungsregister in Deutschland aufbauen aus dem wir dann, wie Sie sagen, per Knopfdruck im Grunde die Daten geliefert bekommen.“
Aber wann dies der Fall sein wird, ist noch offen. Fachleute sind nicht einmal davon überzeugt, dass dies bis zum nächsten Zensus in zehn Jahren gelingen könnte. Der Umgang mit Daten der Bürgerinnen und Bürger bleibt eine sensible Sache. Es sind nicht alleine Privatunternehmen, die mit Daten handeln. So schloss etwa Israel in der Pandemie eine Vereinbarung mit dem US-Konzern Pfizer und bekam frühzeitig große Mengen Impfstoff, weil das Land mehr zahlte als die EU und darüber hinaus wöchentliche Gesundheitsdaten seiner Bürger aus der Impfkampagne an den Konzern übermittelte. Wie Staaten mit den Daten ihrer Bürgerinnen und Bürger umgehen, dürfte also auch in Zukunft eine Gratwanderung zwischen Datenschutz und Effizienz bleiben.