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Von Wahlrecht bis Wirtschaftsordnung

Beim Aufbau neuer zivilgesellschaftlicher und politischer Strukturen kann und sollte die EU Ägypten mit Rat und Tat zur Seite stehen, findet der neue Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, zuvor Präsident des Europäischen Parlaments.

Hans-Gert Pöttering im Gespräch mit Reinhard Bieck | 08.03.2011
    Hans-Gert Pöttering: Meine dringende Empfehlung ist nach den Gesprächen mit Vertretern auch von neu zugelassenen Parteien, dass es sinnvoll ist, zunächst Präsidentenwahlen zu machen und danach Parlamentswahlen, weil man ja auch Zeit braucht, damit die Parteien sich bilden können. Parteien waren ja über Jahrzehnte verboten und sie können sich nicht aus dem Nichts entwickeln und aufgebaut werden, dafür braucht man eine Vorbereitungszeit. Und deswegen haben viele meiner Gesprächspartner gesagt, erst sollte der Präsident gewählt werden und dann in einem angemessenen Abstand das Parlament.

    Reinhard Bieck: Sind Ihnen als ehemaligem Präsidenten des Europaparlaments bei Ihrem Besuch jetzt ganz konkrete Probleme aufgefallen, bei deren Bewältigung die EU ebenso konkret und auch schnell helfen könnte?

    Pöttering: Ja, wir können sicher Hilfe leisten, wenn sie denn erwünscht wird. Wir sollten immer den Eindruck vermeiden, wir würden intervenieren wollen oder uns aufdrängen, diesen Eindruck müssen wir auf jeden Fall vermeiden. Aber wenn man uns bittet, Hilfe zu leisten, dann sollten wir das tun. Zum Beispiel, wenn es darum geht Empfehlungen zu geben für eine Verfassung. Die Konrad-Adenauer-Stiftung, die einen Repräsentanten in Kairo hat, hat immer auch sehr gute Kontakte gehabt zum Verfassungsgericht. Das ist ein wichtiger Punkt. Dann ist es natürlich sehr wichtig, welches Wahlrecht wird man haben für die Parlamentswahlen, auch hier können sicher Empfehlungen gegeben werden von den Europäern. Und dann ist ganz entscheidend auch die Frage, welche Wirtschaftsordnung wird Ägypten für die Zukunft haben, ist es eine eher kapitalistische Marktwirtschaft oder ist es eine Staatswirtschaft oder ist es etwas, was wir in Europa auch mit dem Lissabonvertrag als soziale Marktwirtschaft darstellen. Und ich habe sehr viel Aufgeschlossenheit gefunden für das Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Dann sind sehr wichtig die Bildungsfragen, dass die jungen Menschen sich ausbilden können, dass wir auch Programme machen für einen Studentenaustausch, dass wir junge Menschen einladen an unsere Universitäten in Europa und damit auch ein Geflecht der Verbindungen schaffen. Und natürlich ist es wichtig, dass wir den sich jetzt gründenden Parteien auch Empfehlungen geben, wenn sie sie erbitten, wie man Parteienstrukturen aufbaut, Programme gestaltet und so weiter, und so weiter.

    Bieck: Herr Pöttering, lassen Sie mich noch mal beim möglichen Wirtschaftssystem einhaken, sie haben eben die soziale Marktwirtschaft so ein bisschen als Vorbild angeführt. Hat denn die EU überhaupt ein Interesse daran, dass aus Ägypten mal so ein Land wie Großbritannien oder Frankreich wird und damit ja auch ein Konkurrent auf dem hart umkämpften Weltmarkt?

    Pöttering: Wir sind in dieser einen Erde alle natürlich im Wettbewerb. Aber der entscheidende Punkt ist - und darauf führt sich am Ende alles zurück -, dass jeder Mensch auf dieser Erde das Recht hat, in Würde zu leben. Und diese Würde erkämpfen sich jetzt die Araber, sie wollen ihre menschliche Würde für sich in Anspruch nehmen. Und darauf haben sie ein Recht, und daraus ergibt sich auch die Staatsform der Demokratie, der Rechtsordnung, der Freiheit. Und das muss jetzt aufgebaut werden. Und wenn die Staaten um das Mittelmeer herum sich demokratisch und freiheitlich entwickeln, dann sind sie auch Anhänger einer friedlichen Entwicklung, und das kommt uns allen zugute. Und deswegen hat die Europäische Union, hat auch Deutschland ein fundamentales Interesse nicht nur an einer friedlichen Entwicklung im Mittelmeerraum, sondern auch an einer freiheitlichen und demokratischen Entwicklung. Und wir sollten überall da, wo unsere Hilfe erbeten wird, diese Hilfe auch geben.

    Bieck: Sie haben ja nicht nur mit Vertretern gesprochen, die nur Ägypten sozusagen im Auge haben, sondern die ganze arabische Welt.

    Pöttering: Ja, das ist absolut richtig, Herr Bieck, ich habe unter anderem auch getroffen den Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, der auch Präsidentschaftskandidat ist, und ich bin Generalsekretär Amr Mussa in früheren Aufgaben als Präsident des Europäischen Parlaments und als Fraktionsvorsitzender der Christdemokraten im Europäischen Parlament häufiger begegnet, sodass wir uns seit vielen Jahren kennen. Und er ist ein Mann absolut auch dieser freiheitlichen Entwicklung jetzt, und der Inhalt des Gespräches, das ich mit ihm hatte, war außerordentlich erfreulich. Er tritt ein für die Demokratisierung Ägyptens wie auch der arabischen Welt insgesamt.

    Bieck: Herr Pöttering, während Sie in Kairo waren, wurde hier in Deutschland bekannt, dass deutsche Elektronikunternehmen Mubarak Stasi-Abhöranlagen verkauft und sogar noch im Januar angeboten haben. Was bedeutet so was für die deutsch-ägyptischen Beziehungen?

    Pöttering: Ja dieses ist natürlich ein in schärfster Form zu kritisierender Vorgang, und wir müssen uns überlegen als Bundesrepublik Deutschland, aber auch die Europäische Union, wie wir in Zukunft verhindern, Menschen, die ihr Volk unterdrücken, auch noch mit der Ausrüstung behilflich zu sein. Es geht nicht nur um die Kontrolle militärischer Güter, das haben wir ja in der Europäischen Union und auch für Deutschland, sondern man sollte auch sehr viel vertiefter nachschauen, welche Möglichkeiten der Unterdrückung es gibt, wenn wir gewisse Produkte liefern. Auch darüber müssen wir jetzt eine vernünftige, solide Analyse machen, denn es ist völlig unerträglich, wenn aus deutscher Sicht ein Beitrag geleistet wird zur Unterdrückung von Völkern. Hier müssen wir schärfste Sanktionen erheben und alles, was wir tun, auch im Bereich der Wirtschaft, muss den Menschen dienen und muss den Menschenrechten entsprechen.