Mittwoch, 15. Mai 2024

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Ein Mönch als Naturwissenschaftler
200. Geburtstag von Gregor Johann Mendel

Seit Generationen gehören die Mendelschen Regeln zum Lehrplan in Schulen weltweit. Die Schüler lernen, was der Augustinermönch Gregor Johann Mendel vor über 150 Jahren in jahrlangen Züchtungsexperimenten mit Erbsenpflanzen herausgefunden hat. Heute feiern die Genetiker seinen 200. Geburtstag.

Von Michael Lange | 20.07.2022
Der österreichische Botaniker und Prior des Augustinerklosters Brünn, Gregor Mendel (eigentlich: Johann), der die nach ihm benannten "Mendelschen Regeln" der Vererbungslehre formulierte (1822-1884).
Erst lange nach Mendels Tod erkannten Gelehrte an verschiedenen europäischen Universitäten die Bedeutung der Mendelschen Regeln. (picture-alliance / dpa)
„Mendel ist in der Geschichte der Genetik natürlich extrem wichtig geworden. Und rückblickend als Begründer der modernen Genetik dann bezeichnet worden“, so Hans-Jörg Rheinberger, langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Zu seinen Lebzeiten sei der Augustinermönch Gregor Mendel unbekannt geblieben.

Vater der Genetik

Naturforscher und Gelehrte im 19. Jahrhundert wussten nichts von seinen heute legendären Erbsenversuchen. Erst viel später wurde Mendel zum allgemein anerkannten „Vater der Genetik“.
Das kleine Mendelmuseum hinter den Mauern des Augustinerklosters im tschechischen Brno ist zu einer Art Wallfahrtsort für Genetiker aus aller Welt geworden. Museumsführerin Daniela Vranova führt durch das Gelände, nahe der Innenstadt hinter den Klostermauern.
Auf einer Rasenfläche vor dem Museum befanden sich einst der Gemüsegarten und ein Treibhaus, von dem heute nur noch das Fundament zu sehen ist. Unter einem Baum steht ein etwa zwei Meter großes Mendel-Denkmal aus dem Jahr 1910.

Ein Kind einfacher Bauern

Gregor Johann Mendel wurde am 20. Juli 1822 in Heinzendorf geboren, einer deutschsprachigen Gemeinde im nördlichen Mähren. Er wuchs auf als Kind einfacher Bauern. Zunächst sprach er nur seine Muttersprache Deutsch, später auch Tschechisch.
Schon als junger Mann ging Gregor Johann Mendel ins Kloster nach Brünn, in das heutige Brno. Dort konnte er zu höherer Bildung gelangen. In Brünn wurde er zunächst Mönch. Doch eigentlich wollte er Lehrer werden, so Ondrey Dostàl, der ehemalige Direktor des Mendelmuseums:
„Mendel litt unter Prüfungsangst und war beim Examen für den Lehrerberuf durchgefallen. Sein Abt jedoch erkannte Mendels Begeisterung für Naturwissenschaften und schickte ihn zum Studium nach Wien. Für Mendel erfüllte sich ein Traum. Er studierte bei dem renommierten Physiker Christian Doppler und wurde dann in Brünn Lehrer für Naturwissenschaften.“

Erbsen anbauen für die Klosterküche

Aber Mendel wollte nicht nur Wissen weitergeben, sondern selbst forschen. In Wien hatte er gelernt, wie man Experimente durchführt und auswertet. Eine gute Möglichkeit fand er im Klostergarten. Dort sollte er Erbsen anbauen für die Klosterküche. Das machte er mit naturwissenschaftlicher Akribie. Er kreuzte verschiedene Erbsensorten, zählte die Blüten und Früchte und notierte deren Form und Farbe. So entwickelte er eine neue Botanik.
„Mendel ging anders vor als die Naturforscher seiner Zeit. Diese beobachteten Pflanzen und Tiere und beschrieben, was sie sahen. Mendel jedoch kreuzte Erbsenpflanzen mit verschiedenfarbigen Blüten. Er nutzte statistische Methoden, die er in der Physik kennengelernt hatte. So entdeckte er Gesetzmäßigkeiten, die anderen verborgen geblieben waren", so Dostàl.
Gesetzmäßigkeiten der Vererbung, die heute weltweit als Mendelsche Regeln bekannt sind. Regel Nummer eins ist die Uniformitätsregel: Kreuzt man zwei reinerbige Eltern, die sich in einem Merkmal unterscheiden, sind alle Nachkommen in diesem Merkmal gleich.
Die Regel Nummer zwei heißt auch Spaltungsregel: Kreuzt man die Nachkommen der ersten Generation untereinander, treten beide ursprünglichen Merkmale wieder auf, in einem konkreten Zahlenverhältnis.

Mendel formulierte das in der Zeitschrift des Naturforschenden Vereins Brünn so:

In dieser Generation treten nebst den dominierenden Merkmalen auch die rezessiven in ihrer vollen Eigentümlichkeit wieder auf, und zwar in dem entschieden ausgesprochenen Durchschnitts-Verhältnisse 3:1.

"Den Begriff des Gens hat er dabei nicht verwendet"

Was sich hinter den von ihm entdeckten Gesetzmäßigkeiten verbarg, konnte Mendel nicht wissen, so der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger:
„Seine Experimente, die hat er eben so interpretiert, dass es da in den Zellen Faktoren geben muss, die verantwortlich sind für eine bestimmte äußerlich sichtbare Eigenschaft. Den Begriff des Gens hat er dabei nicht verwendet.“
Mendel wurde Abt seines Klosters, beschäftigte sich mit Imkerei und Wetterkunde. Seine Erbsenversuche gerieten zunächst in Vergessenheit.
Erst nach 1900, lange nach Mendels Tod, erkannten Gelehrte an verschiedenen europäischen Universitäten die Bedeutung der Mendelschen Regeln. Der Mönch aus Brünn hatte die zählbaren Einheiten der Vererbung entdeckt, die später als Gene bezeichnet wurden. Sie wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Grundlage einer neuen Wissenschaft: der Genetik.