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Beschlagnahmte Kunstsammlung
Zehn Jahre NS-Raubkunst-Fall Gurlitt

Am 28. Februar 2012 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Augsburg mehr als tausend Bilder in der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt, Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Der "Schwabinger Kunstfund" hat gezeigt, wo die Leerstellen im Umgang mit belasteten Privatsammlungen sind.

Von Anja Reinhardt | 28.02.2022
Die Gemälde "Jean Journet, 1850" von Gustave Courbet, "Stillleben mit Pfirsichen" von Gustave Courbet, "Stillleben mit Glas und Früchten" von Edouard Manet, "Der Hafen von Bordeaux, 1873" von Eugene Boudin, "Landschaft Leg Fontainebleau, 1864" von Theodore Rousseau, "Erinnerung an Pierrefonds, 1865-1870" von Jean-Baptiste Camille Corot, "Ernteszene" von Jean-Baptiste Camille Corot, "Morgenstunde, 1873" von Henri Fanten-Latour in der Ausstellung "Gurlitt: Bestandsaufnahme NS-Kunstraub und seine Folgen", 2018 im Kunstmuseum in Bern
Bilder der Sammlung Gurlitt, zu sehen 2018 im Kunstmuseum Bern in der Ausstellung "Gurlitt: Bestandsaufnahme NS-Kunstraub und seine Folgen" (picture alliance/Keystone)
Am 5. November 2013 lädt die Staatsanwaltschaft Augsburg zu einer Pressekonferenz, es geht um eine "Beschlagnahmte Gemäldesammlung". Der Leiter der Zollfahndung München erklärt: "Diese Gemälde waren in diesem Raum fachgerecht gelagert und in einem sehr guten Zustand." Und die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann, Spezialistin für die sogenannte Entartete Kunst im Nationalsozialismus, ergänzt:
"Und dieses hier auch ein ganz besonderer Fund oder eine Entdeckung meiner Meinung nach: ein Selbstporträt von Otto Dix. Vollkommen unbekannt bisher, in tadellosem Zustand."

Picasso, Beckmann, Renoir usw. - mehr als 1.400 Werke

Jahrzehntelang hat der unbekannte Dix in einer Wohnung in München-Schwabing gelagert, in der die Staatsanwaltschaft am 28. Februar 2012 eine Gemäldesammlung wegen des Verdachts auf Steuerbetrug beschlagnahmt. Unter den mehr als 1.400 Werken finden sich Künstler wie Pablo Picasso, Max Beckmann, Carl Spitzweg oder Pierre-Auguste Renoir. Der zurückgezogen lebende Eigentümer, der 79-jährige Cornelius Gurlitt, steht plötzlich im Zentrum eines Ereignisses von politischem, moralischem und medialem Interesse. Dazu der Raubkunst-Experte Stefan Koldehoff:
"Das ging los mit einer großen Geschichte im Magazin 'Focus'. Und die Behauptung war: Man hat tatsächlich Bilder, die die Nazis gestohlen haben, in München in der Privatwohnung gefunden. Und die sind eben diese besagte Milliarde mindestens wert, was natürlich maßlos übertrieben war."

Raubkunstexperte: "Es begann ja fürchterlich peinlich"

Der herzkranke Cornelius Gurlitt ist dem reißerischen Rummel um ihn und seine Bilder nicht gewachsen. Die Staatsanwaltschaft begründet ihr Vorgehen im Wesentlichen damit, dass Gurlitt im September 2010 in die Schweiz reist und am gleichen Tag mit 9.000 Euro zurückkehrt. "Das Ganze begann ja fürchterlich peinlich", sagt Stefan Koldehoff:

"Weil relativ schnell klar war: Was die da gemacht haben - die Durchsuchung bei einem alten Mann, der nur das Pech hatte, mit einer Summe Bargeld in einem Zug erwischt worden zu sein, ohne dass man wusste, ob das überhaupt was Kriminelles als Hintergrund hat - das war alles nicht gerechtfertigt. Das haben hinterher auch Gerichte bestätigt. Dieser Mann hatte sich eigentlich nichts zu Schulden lassen kommen. Wenn, dann ist es der Vater gewesen."

Hildebrand Gurlitt - Eine ambivalente Figur

Der Vater Hildebrand Gurlitt war nicht irgendein Kunsthändler. Zwischen 1933 und 45 hatte er mit Gemälden, Zeichnungen oder Druckgraphiken aus jüdischem Besitz gehandelt, ab 1943 gehörte er zu den Chef-Einkäufern für Hitlers sogenanntes Führermuseum in Linz. Eine ambivalente Figur, die trotz ihrer Nähe zur NS-Elite Werke versteckte, die als "entartet" diffamiert waren. Um zu überprüfen, ob es Restitutionsfälle im "Schwabinger Kunstfund" gibt, wird eilig eine Taskforce eingerichtet. Die damalige Kulturstaatsministerin übernimmt die Verantwortung:
"Das ist deshalb so wichtig, weil damit auch ans Ausland ein ganz deutliches Signal gesetzt wird, dass die Bundesrepublik alles tut, selbst dann, wenn es Privatsammlungen betrifft, um diese bittere Geschichte auch 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aufzuarbeiten, selbst, wenn es schmerzhaft ist."

Kritik an der Taskforce

Es soll nicht der Verdacht aufkommen, Deutschland gehe nachlässig mit der Aufarbeitung seiner Vergangenheit um. Nur: Für Privatsammlungen gibt es keine Handreichung wie die Washingtoner Prinzipien von 1998, die faire und gerechte Lösungen für strittige Bilder in öffentlicher Hand vorsehen. Die Ergebnisse der Taskforce werden vier Jahre nach der Beschlagnahmung der Bilder präsentiert - da ist Cornelius Gurlitt schon seit zwei Jahren tot. Stefan Koldehoff sieht die Arbeit der Taskforce sehr kritisch.
"Nichts war transparent, nichts ging an die Öffentlichkeit. Es war auch ein Privatmensch betroffen, das muss man denen zugutehalten. Menschen, die da mitgearbeitet haben, haben plötzlich dann aber doch publiziert aus dem, was sie da gefunden haben, haben Bücher veröffentlicht. Das war nicht professionell, was da gemacht worden ist, man hätte das viel, viel öffentlicher, viel, viel transparenter machen können."
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Die Kritik Stefan Koldehoffs wird von vielen geteilt. Bis Anfang 2021 werden 14 von rund 1.500 Werken an die Erben restituiert. Das Kunstmuseum Bern, dem Cornelius Gurlitt seine Sammlung mit dem ausdrücklichen Wunsch nach Provenienz-Recherche vererbt, entscheidet sich im Dezember 2021 für weitere 38 Rückgaben. Am Ende bleibt vom Schwabinger Kunstfund auch die Erkenntnis, dass für die Ermöglichung von Rückgaben aus belasteten privaten Sammlungen eine Lösung gefunden werden muss. Eine staatliche Stiftung ist dafür im Gespräch.