Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Flüchtlingspolitik
"Ich halte nichts davon, eine Obergrenze festzuschreiben"

Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn fordert mehr Abschiebungen. Es könne sich keine Akzeptanz für die Aufnahme von Flüchtlingen entwickeln, wenn man letztlich die Schlepper darüber entscheiden lasse, wer nach Deutschland komme, sagte er im DLF. Eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen lehnt er allerdings ab.

Jens Spahn im Gespräch mit Stephan Detjen | 26.02.2017
    Finanz-Staatssekretär Jens Spahn (CDU) spricht am 13.12.2016 in Berlin mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur.
    Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Die im Zusammenhang mit einer Obergrenze immer wieder genannte Zahl von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr hält Spahn für zu hoch: "Das ist was für Ausnahmejahre, wenn es Krisen um uns herum gibt."
    In Deutschland werde bereits mehr Menschen "in sehr großzügiger Art und Weise" geholfen, als in vielen anderen Ländern Europas, so Spahn. "Wir leisten Großartiges". Aber dazu gehöre auch, dass es für diejenigen, die das Land wieder verlassen müssen, schnelle Verfahren gebe, um "ehrliche Signale" zu senden.
    "Stärker in den Wahlkampfmodus kommen"
    Mit Blick auf die kommende Bundestagswahl im September rief Spahn seine Partei dazu auf, sich schärfer von den politischen Konkurrenten abzugrenzen. "Die Menschen wollen eine Wahl haben, wenn sie zur Wahl gehen, eine tatsächliche Auswahl". Wenn die großen Parteien die politische Auseinandersetzung wieder zu einem spannenden Rennen machten, würden dadurch auch die "Spalter" wieder kleiner.
    Es komme jetzt darauf an, stärker in den Wahlkampfmodus zu kommen. Die CDU müsse lernen, wieder anders Wahlkampf zu führen. Die Partei werde anders als vor vier Jahren massive Angriffe von links und rechts auf den Marktplätzen und an den Ständen erleben. Der kommende Wahlkampf werde emotional sein wie lange nicht, sagte Spahn voraus.
    Spahn verteidigte zugleich die Kritik aus seiner Partei am SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Dem ehemaligen Präsidenten des Europaparlaments sei die kommunistische Regierung in Athen immer näher gewesen als der deutsche Steuerzahler, sagte Spahn. Die SPD müsse es sich gefallen lassen, dass man bei einem Kanzlerkandidaten genauer hinschaue.

    Das Interview in voller Länge:
    Stephan Detjen: Jens Spahn ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und mit 36 Jahren das mit Abstand jüngste Mitglied des CDU-Präsidiums. Er gilt deshalb schon heute als eines der Gesichter einer künftigen Nach-Merkel-CDU. In den Medien wird er mal als "Hoffnungsträger", mal als "Wortführer der Konservativen" oder gar als "Merkels Götterdämmerung" bezeichnet. Herzlich willkommen, Jens Spahn, zum Interview der Woche.
    Jens Spahn: Hallo.
    Detjen: Herr Spahn, wenn man die aktuellen Meinungsumfragen anschaut, könnte Ihre Stunde schon am 24.09. um 18.00 Uhr schlagen, dem Abend der Bundestagswahl. Es sind inzwischen mehrere renommierte Meinungsforschungsinstitute, die die SPD vor der CDU sehen. Und wenn es in genau sieben Monaten dann so käme, dann wäre das ja in der Tat der Moment für einen personellen Neuanfang in der CDU. Machen Sie sich Hoffnungen?
    Spahn: Also, soweit sind wir ja noch lange nicht. Es sind noch sieben Monate bis zur Wahl, da kann viel passieren. Aber, was wir ...
    Detjen: Aber alle wissen, wie wichtig die Ausgangskonstellation am Anfang eines Wahljahres ist.
    Spahn: Klar, aber wissen Sie, das eigentlich Spannende ist doch, es wird wieder spannend. Und ich finde, das ist gut. Die SPD ist aus ihrer politischen, ja, fast zehn Jahre langen Depression rausgekommen mit dem Messias, quasi, mit Herrn Schulz. Und auf einmal sieht man – ja – auch die kleineren Parteien, vor allem die Spalter, werden auch wieder kleiner, sobald die Großen – CDU, CSU und SPD – anfangen, sich wieder stärker zu entscheiden und wieder ein spannenderes Rennen daraus zu machen. Und jetzt kommt es darauf an, dass wir als CDU/CSU auch noch etwas stärker in den Kampfmodus, in den Wahlkampfmodus dann kommen, um auch unterschiedliche Konzepte herauszuarbeiten. Die Menschen wollen …
    "Menschen wollen eine Wahl haben, wenn sie zur Wahl gehen"
    Detjen: Was heißt das "stärker in den Wahlkampfmodus kommen"? Früher war der Wahlkampfmodus der Merkel-CDU ja das, was man "asymmetrische Demobilisierung" nannte. Also, sozusagen andere Parteien - SPD, die Grünen - umarmen, Positionen inhalieren, verdauen in sich. Setzen Sie jetzt wieder auf klassischen Lagerwahlkampf?
    Spahn: Nein. Mein Eindruck ist mehr denn je: Die Menschen wollen eine Wahl haben, wenn sie zur Wahl gehen, eine tatsächliche Auswahl. Ich glaube, das ist auch das Phänomen Trump und Sanders, war es ja eigentlich links außen, der eigentliche Wahlkampf in den USA. Dass, wenn wir nicht sozusagen im politischen Zentrum eine Auswahl bieten – es sind immer noch unterschiedliche Konzepte, ein unterschiedliches Gesellschaftsbild zwischen SPD und CDU/CSU –, dann suchen sich die Menschen irgendwann die extreme Auswahl. Und deswegen: Ja, dieser Wahlkampf wird anders, als der 2013.
    Da war das größte Thema Veggie-Day. Ich sage immer, wie glücklich muss ein Land sein, wo das das größte Thema ist. Und jetzt spüren wir, es geht um mehr, um den Zusammenhalt der Gesellschaft, um innere Sicherheit, um kulturelle Sicherheit. Wir sind das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt – waren wir übrigens auch schon vor der Fluchtbewegung, schon seit vier oder fünf Jahren sind wir das – und wir haben bis heute nicht wirklich definiert, zum Beispiel, was erwarten wir eigentlich von denen, die zu uns kommen. Ich finde, das sind wichtige Zukunftsfragen, wo wir streiten werden.
    "Habt ihr eigentlich vergessen, dass das euer Erfolg ist, SPD?"
    Detjen: Da werden wir noch drüber sprechen. Aber wenn wir jetzt auf die ersten Wahlkampfbewegungen, Zuckungen der CDU, schauen, dann sehen wir ja da nicht nur sachliche Auseinandersetzungen. Da sehen wir, dass das höchstpersönlich wird. In Brüssel sind Europaparlamentarier der Union dabei gewesen und haben Personaldossiers gegen Martin Schulz gesammelt. Da gibt es Twitter-Kampagnen, an denen sich Bundestagsabgeordnete beteiligen, mit dem Hashtag "Schwafelschulz". Ihr Chef, Wolfgang Schäuble, hat Schulz in die Nähe von Donald Trump gerückt. Ist das die sachliche Polarisierung im Wahlkampf oder ist das der Anfang einer Schlammschlacht?
    Spahn: Na ja, erst mal ist das Sammeln von Fakten über Herrn Schulz aus Brüssel noch keine Schlammschlacht, sondern erst mal eine Übersicht über das, was er in Brüssel gesagt hat. Ihm war die kommunistische Regierung in Athen immer näher als der deutsche Steuerzahler. Und das muss sich Herr Schulz, das muss sich die SPD schon gefallen lassen, dass man bei einem Kanzlerkandidaten vielleicht ein bisschen genauer noch hinschaut als bei jemandem, der Parlamentspräsident ist, weil der will das mächtigste, das wichtigste politische Amt in diesem Land anstreben. Angela Merkel kennen wir alle viele, viele Jahre schon und Herrn Schulz kennen wir noch nicht.
    Detjen: Ja, und die Frage ist: Persönliche Auseinandersetzung gegen Schulz oder Sachauseinandersetzung? Worauf setzt die CDU?
    Spahn: Nein, was heißt "persönliche", mir geht es um die Sachauseinandersetzung. Und alles, was ich vor allem sehe an Fakten, an Debatten, dann ist das auch Sachauseinandersetzung. Wissen Sie, wenn jetzt die Agenda 2010 zurückgedreht werden soll und wir sagen: Wollt ihr zurück in die Zeit von fünf Millionen Arbeitslosen, habt ihr eigentlich vergessen, dass das euer Erfolg ist, SPD? Dann ist das eine Sachauseinandersetzung. Wenn wir sagen: Bei VW ist es aber die Gewerkschaft und die SPD mit dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen, die den Managern Millionengehälter und Abfindungen zugestimmt haben, während Herr Schulz jetzt irgendwie auf einmal Begrenzung will, da muss er sich schon Fragen gefallen lassen: Was machen deine Leute da? Dann ist das eine Sachauseinandersetzung. Die ist etwas schärfer vielleicht als in der Vergangenheit – klar –, weil es eben um etwas geht. Aber ein paar Fragen wird sich Herr Schulz schon gefallen lassen müssen.
    Deutliche Differenz zur SPD in Bezug auf Wahlkampfthemen
    Detjen: Aber nun ist es ja auch so, dass in Ihrer Partei, der CDU – in der Union natürlich insgesamt – auch innerparteiliche Auseinandersetzungen über den eigenen Kurs stattfinden. Das ist Ihnen nicht fremd. Sie selbst gelten als einer der Wortführer der innerparteilichen Opposition gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Die TAZ hat Sie mal als "Mini-Seehofer" bezeichnet, die FAZ am Sonntag als "Rebell". Also, wenn nicht personellen Wandel, wohin wollen Sie die CDU in der Sache vorantreiben, auch wenn Sie jetzt sagen, sie muss im Wahlkampf jetzt in die Puschen kommen?
    Spahn: Also, zum Ersten, ich möchte, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Ich möchte, dass wir aber dabei – und das ist übrigens das, was Angela Merkel ja mit angestoßen hat zum Bundesparteitag in Essen – über die Themen reden, die wichtig sind für die nächsten vier Jahre. Und ich glaube wir spüren alle, in der Zeit, wo es Deutschland gerade wirtschaftlich ziemlich gut geht, geht es vor allem um Fragen wie kulturelle Sicherheit, innere Sicherheit, was erwarten wir von Zuwanderern, wie können wir Themen, die seit Jahren da sind, die wir aber nicht gelöst haben...
    Ich meine, dass es am Hauptbahnhof in Köln oder Frankfurt Probleme mit Kriminalität gibt, das war auch schon vor fünf Jahren so, dass man da nicht zu jeder Zeit gerne langgeht, aber wir haben es nicht gelöst. Und ich finde, diese Themen gehören auf die Tagesordnung, die Auseinandersetzung mit dem politischen Islam. All das haben wir in Essen auf dem Bundesparteitag gesagt. Das sind unsere Themen für dieses Jahr und da sehen wir auch die Differenz zur SPD übrigens sehr deutlich.
    "Wir müssen Streit und Debatte mal aushalten"
    Detjen: Ja, aber da haben wir zunächst einmal, wenn Sie Essen ansprechen, den Parteitag, da haben wir die Differenzen innerhalb der Partei gesehen. Da gab es den vielbeschriebenen Moment, als die Diskussion über den sogenannten "Doppelpass", über eine Politik der Bundesregierung, der Sie als Staatssekretär selber angehören, entbrennt: Sie gehen ans Mikrofon und treiben den Stimmungswandel gegen den Kurs der Kanzlerin mit voran. Und deshalb haben Ihnen auch viele in der Partei, auch im Kabinett, einen übermäßigen Ehrgeiz, eine Profilierungssucht gegen die Kanzlerin vorgeworfen.
    Spahn: Also, zum Ersten müssen Sie sich, auch die Medien, übrigens mal auch Journalisten, entscheiden, was sie wollen. Wollen Sie einen spannenden Parteitag, wo auch mal diskutiert und entschieden wird oder wollen Sie …
    Detjen: Ich zitiere ja jetzt bewusst nicht Zeitungen, sondern in dem Fall zitiere ich bewusst Ihre Parteifreunde, Kabinettsmitglieder, die sagen, das geht nicht, dass sich ein Staatssekretär gegen den Kurs der Kanzlerin, gegen Kabinettskollegen, gegen den Innenminister auf einem Parteitag so profiliert.
    Spahn: Darf ich kurz was sagen dazu?
    Detjen: Bitte.
    Spahn: Gut. Also, erstens einmal müssen Medien, Partei und Gesellschaft endlich mal lernen, wieder zu streiten. Wir müssen Streit und Debatte mal aushalten. Denn es geht hier um was. Etwa um die Frage, wie wird man eigentlich Deutscher, wenn die Eltern beide nicht deutsch sind – um die Fälle geht es ja in Deutschland. Und die Partei hat auf ihrem Bundesparteitag eigentlich nur bestätigt, was sie seit 20 Jahren sagt. Deswegen habe ich mich etwas gewundert über die Aufregung. Und dass Präsidiumsmitglieder sich auf Parteitagen in Debatten einschalten, halte ich für einen ziemlich normalen Vorgang. Dass auch mal abgestimmt wird auf einem Parteitag, halte ich für einen ziemlich normalen Vorgang. Und dass die CDU als Partei in dieser Großen Koalition sagt, was sie eigentlich für richtig hält, etwa bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft, halte ich auch für einen ziemlich normalen Vorgang.
    Wissen Sie, die SPD sagt den ganzen Tag irgendein Zeug, mit dem ich in der Koalition wenig anfangen kann, wo ich aber akzeptieren muss, dass das eine SPD-Meinung ist. Und so muss eben die SPD es auch ertragen, wenn wir etwa beim Doppelpass Dinge anders sehen. Ich finde, wir müssen in diesem Land und auch in der Partei – und die Medien müssen das schon auch dann entsprechend begleiten – wieder stärker lernen, kontrovers mit Argumenten zu diskutieren, ohne, dass das immer gleich personalisiert wird.
    Detjen: Deshalb ist meine Frage auch: Wohin wollen Sie die CDU in der Sache bewegen? Diese Spannungen zwischen Ihnen und dem Kurs der Bundeskanzlerin, die haben sich ja nicht erst auf dem Bundesparteitag ergeben. Sie haben auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 ein Buch veröffentlicht, das einhellig als eine Kritik an Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik wahrgenommen wurde.
    Spahn: Haben Sie es gelesen?
    Detjen: Ja, ich habe es gelesen.
    Spahn: Haben Sie gesehen, dass da viele Beiträge drin sind, die also ein breites Spektrum abbilden von unbedingten Unterstützern des Kurses bis zu denjenigen, die kritische Fragen gestellt haben. Es war ein Meinungsspektrum.
    "Keiner war auf die große Flucht- und Migrationsbewegung vorbereitet"
    Detjen: Es ging um einen Tonfall, der da angeschlagen wurde, Sie selbst – ich zitiere jetzt mal aus dem Buch – sprechen von einer "Disruption des Staates" in diesem Sommer 2015, fordern: "Ordnung muss her". Das war der Jargon, mit dem dann auch Seehofer, aber auch die AfD eben die politische Jagd auf Merkel eröffnet haben damals.
    Spahn: Sorry, das ist echter Quatsch. Also, wenn wir uns mal erinnern an den Spätsommer 2015 oder Frühherbst, als in kurzer Zeit sehr viele Menschen zu uns gekommen sind, war keiner, keine Ebene auf diese große Flucht- und Migrationsbewegung vorbereitet – wie auch? Weil es so was – auch unterstützt mit Twitter, Facebook, WhatsApp und so was – noch nie in so kurzer Zeit gegeben hat. Und wir haben nur alle gespürt, das ist jetzt was, wo unsere Systeme nicht drauf ausgelegt sind und wo eben keine Ordnung herrschte.
    Wissen Sie, die Deutschen wollen zu 80, 90 Prozent Menschen, die vor Krieg fliehen, helfen. Aber sie wollen, dass es dabei geordnet zugeht und sie wollen auch nicht, dass unsere Hilfsbereitschaft ausgenutzt wird. Und da bin ich mir mit der Bundeskanzlerin übrigens völlig einig. Wir haben ja gemeinsam in den letzten 18 Monaten in der Bundesregierung, in der Bundestagsfraktion, in der Partei auch viele Rechtsänderungen, Asylrechtsänderungen beispielsweise, in der Europapolitik …
    "Wir haben über Jahre in Deutschland Recht nicht durchgesetzt"
    Detjen: Einen Kurswechsel vorgenommen?
    Spahn: Nein, Anpassungen an die Situationen. Wir haben gespürt, wir haben doch alle gemerkt, wir haben über Jahre in Deutschland zum Beispiel Recht nicht durchgesetzt. Es hat ja über Jahre keinen Unterschied gemacht, ob ihr Asylverfahren positiv oder negativ ausgegangen ist, sie sind irgendwie im Land geblieben – immer. Botschaft war: 'Wenn du es nach Deutschland schaffst, bleibst du da und kriegst noch Geld, egal ob dein Verfahren positiv oder negativ ausfällt.' Als die Zahlen klein waren, war das kein Problem. Und dann, auf einmal, kam diese große Zahl, wo wir doch alle spüren, es droht die Bereitschaft und die Akzeptanz für Hilfe für die, die es wirklich brauchen, verloren zu gehen, wenn wir zu viele haben, die da sind, die eigentlich nicht hier sein sollten. So, und da hat in der Debatte in der Gesellschaft doch in den letzten 18 Monaten überall – auch zum Teil sehr kontrovers – sich was entwickelt.
    Detjen: Jetzt lese ich noch ein Zitat aus dem Buch vor, damals im Herbst 2015 Forderung in diesem Buch: "Der Hebel muss umgelegt werden". Das war Ihr Co-Autor und Parteifreund Carsten Lindemann. Und Sie schreiben dann: "Das erfordert ohne Zweifel auch die Bereitschaft zur Härte. Es wird auch unschöne Bilder, schreiende Kinder und Frauen geben". Jetzt kann man ja sagen: Das haben wir jetzt, jetzt haben wir die Bilder: Es werden Kranke, es werden gut integrierte junge Männer, bedrohte Hindus, Asylbewerber vor Abschluss des Verfahrens nach Afghanistan abgeschoben.
    Spahn: Niemand wird vor Abschluss … Entschuldigung. Wer wird vor Abschluss des Verfahrens nach Afghanistan abgeschoben?
    Detjen: Das sind Leute, die in der ersten Abschiebeaktion das Bundesverfassungsgerichts noch in letzter Minute aus dem Flugzeug geholt hat, weil das Verfahren nicht abgeschlossen werden konnte.
    Spahn: Die sind ja offensichtlich nicht … ja, also, wenn in Deutschland eines funktioniert in Asylverfahren, dann der Rechtsstaat.
    Detjen: Da gibt es aber die Juristen, die Zweifel daran haben. Wenn das Bundesverfassungsgericht in letzter Sekunde Leute aus dem Flugzeug herausholt und in der zweiten Abschiebeaktion jetzt nur noch 18 Leute überhaupt zusammengebracht werden können …
    Spahn: Wissen Sie, alleine der Umstand, sie werden überhaupt erst zurückgeführt in ihr Heimatland, wenn sie einen Asylantrag gestellt haben und nach individueller Prüfung und meistens mehreren Instanzen Rechtsweg, Gerichte und oder Behörden gesagt haben: Dieser Asylantrag ist unbegründet. Und der Rechtsweg steht ja dann auch immer entsprechend offen.
    Detjen: Das Bundesverfassungsgericht hat das in mehreren Fällen anders gesehen.
    Spahn: Ja, aber das ist doch das Schöne, dass das Rechtssystem in Deutschland funktioniert. Aber grundsätzlich, grundsätzlich müssen Abschiebung und Rückführungen durchgesetzt werden. Was ist denn das für eine Botschaft in der Welt – ich weiß nicht, wie Sie glauben, dass sich das in diesem Land mit der Akzeptanz für Hilfe entwickelt? Wenn irgendwie nicht wir entscheiden, wer bei uns bleibt nach unserem Asylrecht und nach dem Flüchtlingsrecht, sondern Schmuggler entscheiden, wer in Europa, wer in Deutschland ankommt und bleibt oder wenn Menschen, die Migranten, das selbst für sich entscheiden. Es muss einen Unterschied machen – das ist meine feste Überzeugung –, ob sie tatsächlich Flüchtling sind und anerkannt werden als solcher oder nicht. Und die, die es nicht sind – und das ist eine ehrliche, aber harte Botschaft –, die werden das Land wieder verlassen müssen. Weil wir können nicht – wie soll das gehen – alle Probleme dieser Welt ... In 98 Prozent der Regionen der Welt ist es schlechter als in Deutschland.
    Schnelle Asylverfahren, schnelle Abschiebung
    Detjen: Meine Frage, Herr Spahn, ist, dass es ja auch in dem, was Sie sagen jetzt darum geht, Signale zu setzen, es geht darum Symbole zu setzen. Sie haben das in dem Buch formuliert –, es geht um "unschöne Bilder", und meine Frage ist: An wen richten sich diese Bilder eigentlich? An Flüchtlinge, die man davon abhalten will, auch aus Krisengebieten nach Deutschland zu kommen oder an die deutsche Bevölkerung, der man zeigen will – auch Ihre Partei zeigen will: Wir sind jetzt nicht mehr die Wir-schaffen-das-Partei, sondern wir sind wieder eine Law-and-Order-Partei.
    Spahn: Nein. Wissen Sie, dieses Land hilft mehr Menschen in einer Art und Weise – sehr großzügigen Art und Weise –, als viele, viele andere Länder in Europa. Wir leisten Großartiges. Jeden Tag helfen wir Hunderttausenden Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Aber dazu gehört eben auch, dass diejenigen, die das Land wieder verlassen müssen, übrigens auch am fairsten finde ich für denjenigen, die wieder gehen müssen, dass wir schnelle Verfahren machen und ehrliche Signale senden und nicht irgendwie eine Täuschung sozusagen erwecken, man könne doch irgendwie bleiben. Und ich habe ja nur gesagt, es wird, ich habe ja nicht gesagt, es muss oder ich wünsche mir diese Bilder, ich habe gesagt, es wird sie aber geben. Und das haben wir doch…
    Detjen: Geben müssen.
    Spahn: Nein, habe ich nicht. Es wird sie …
    Detjen: "Das erfordert ohne Zweifel auch die Bereitschaft zu Härte".
    Spahn: Die Bereitschaft, die Bilder zu ertragen. Ja. Das haben wir doch in Idomeni an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien gesehen. Wenn Sie irgendwann das Signal senden wollen an einer Grenze und auch senden müssen: Wir die Europäische Union entscheiden selbst, wer unsere Region und unser Staatsgebiet betritt und wer nicht, dann heißt das eben, dass es auch Menschen gibt, die eigentlich reinwollen, die nicht reinkommen. Und dass dann einige sagen: 'Dann probiere ich es aber trotzdem' und möglicherweise mit Gewalt, dann wird man eben – und das ist das, was da an der Grenze passiert ist – sagen müssen: 'Nein, wir entscheiden.
    Und wenn du eben nicht aus Syrien kommst oder aus dem Irak', hat Mazedonien gesagt, 'dann geht es hier nicht weiter." Und ich finde, das ist eine Entscheidung, die hart ist, aber die ehrlich ist. Wir können … Wissen Sie, die Botschaft war über Wochen: Wer eine griechische Insel erreicht, ist in sechs Tagen in Schweden oder in Deutschland. Nach Ihrer Meinung: Wie viele Monate hätten wir das noch weitermachen sollen? Jeder, der irgendwie eine griechische Insel erreicht, kommt in Deutschland an, egal, wo er herkommt. Ihre Meinung: Wie lange sollen wir das machen?
    "Vor vier Jahren hatten uns alle lieb auf den Marktplätzen"
    Detjen: Wir sprechen nicht, wir sprechen weder über die Flüchtlingspolitik von Stephan Detjen noch über die Flüchtlingspolitik des Deutschlandfunks in dessen Interview der Woche wir mit Jens Spahn, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und CDU-Präsidiumsmitglied, sprechen. Wir sprechen auch über eine Flüchtlingspolitik, die eben nun mal mit Angela Merkel, der Bundeskanzlerin verknüpft wird. Und wir haben über den Auftakt des Wahlkampfes gesprochen, in dem Angela Merkel jetzt eine vierte Amtszeit anstrebt. Ist diese Kanzlerin, die sowohl bei der Erklärung ihrer erneuten Kandidatur, aber auch bei der Rede im Parteitag so ungewöhnlich offen deutlich gemacht hat, wie sehr sie mit sich gehadert hat, wie lange sie mit sich gerungen hat, diesen Schritt noch mal zu gehen, ist das die Frontfrau, die jetzt wirklich motiviert mit dem brennenden Willen weiter Kanzlerin zu bleiben, für Sie an der Spitze in den Wahlkampf zieht, so wie Martin Schulz das für die SPD das derzeit macht?
    Spahn: Ich finde es erst mal sehr, sehr ehrlich von Angela Merkel und nachvollziehbar, dass sie sagt: 'Ein viertes Mal antreten für das wichtigste – auch anstrengendste Amt, das dieses Land zu vergehen hat, wahrscheinlich –, da habe ich mich selbst geprüft', das ist eine sehr ehrliche, sehr nachvollziehbare Aussage. Aber so, wie ich Angela Merkel kenne, wenn sie sich dann zu etwas entschieden hat und sich entschieden hat – und darüber freue ich mich auch –, noch mal zu kandidieren, dann macht sie das auch mit vollem Willen und dann will sie das auch schaffen. Und wir wollen es mit ihr schaffen als CDU/CSU.
    Wir müssen als CDU natürlich noch mal wieder anders wahlkämpfen lernen als wir es vielleicht vor vier Jahren gewohnt waren. Vor vier Jahren hatten uns alle lieb auf den Marktplätzen und wo sie unterwegs waren und man hat uns die Parteiprogramme oder zumindest die Broschüren aus den Händen gerissen. Dieses Mal werden wir von links wie von rechts massive Angriffe auf den Marktplätzen, an den Ständen erleben, es wird emotional sein wie lange nicht. Und das müssen wir sicherlich alle gemeinsam auch wieder lernen.
    Zu CDU/CSU: "In 98 oder 99 Prozent der Themen sind wir uns ja einig"
    Detjen: Und das müssen Sie vor allen Dingen in der Union erst mal selber lernen, auch mit der Schwesterpartei CSU. Da gab es ein Versöhnungstreffen mit der CSU, zwischen CDU und CSU in München vor ein paar Wochen und danach sind die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, und CSU-Chef, Horst Seehofer, gemeinsam aufgetreten, und nach meinem Eindruck wirkte Angela Merkel so, als halte sie es physisch kaum aus neben dem CSU-Chef Horst Seehofer zu sitzen. Wie wollen diese beiden Frontfiguren Ihrer Parteien im Wahlkampf Gemeinsamkeit und gemeinsamen Kampfeswillen demonstrieren?
    Spahn: Mein Eindruck ist, jeder in CDU/CSU hat verstanden – spätestens mit dem, was wir die letzten vier Wochen auch an Entwicklung gesehen haben –, das müssen und wollen wir jetzt gemeinsam mit Angela Merkel an der Spitze auch durchkämpfen und gewinnen und für unsere gemeinsamen Ideen werben. Und Sie müssen mal genau … wenn man mal genau hinschaut, wissen Sie, in 98 oder 99 Prozent der Themen sind wir uns ja einig, wenn es ums Asylrecht geht, wenn es um Integration geht, der Begriff der Leitkultur. Übrigens sogar zum ersten Mal gemeinsam einig, dass wir ein Einwanderungsgesetz brauchen, in dem wir klar formulieren, nach welchen Regeln, nach welchen Kriterien, wir Einwanderungen möglich machen oder eben nicht möglich machen. Und insofern bin ich sehr, sehr optimistisch, dass jetzt eigentlich jeder verstanden hat, dass unser politischer Gegner, unser Mitbewerber links ist – Rot-Rot-Grün und die SPD mit Herrn Schulz an der Spitze. Und das waren schwierige Monate – wissen Sie, ich will ja nichts schön reden für CDU/CSU.
    "Ich halte nichts davon, eine fixe Obergrenze festzuschreiben"
    Detjen: Es geht darum, Sie sagen, es gibt Gemeinsamkeiten, aber in der Frage, die ja von der CSU selber zur zentralen Frage, zu einer nationalen Schicksalsfrage hochstilisiert wurde – Obergrenze –, gibt es eben nach wie vor keine Einigkeit. Damit ist ja nicht einmal klar, ob CDU und CSU überhaupt gemeinsam in der Lage sind, eine gemeinsame Fraktion und eine gemeinsame Regierung zu bilden. Seehofer hat gesagt: Ohne Obergrenze, keine Regierung.
    Spahn: Wir werden ein gemeinsames Wahlprogramm haben, wir haben eine gemeinsame Spitzenkandidatin und wir werden – da bin ich sehr sicher – auch eine gemeinsame Fraktion wieder nach der Wahl – hoffentlich eine Regierungsfraktion – haben. Wissen Sie, wir haben schon in Karlsruhe auf dem Parteitag, also 2015 im Dezember, gesagt, die CDU: Wir müssen die Zahl derjenigen, die zu uns kommen, spürbar reduzieren, weil wir sonst die Gesellschaft überfordern. Darin drückt sich ja aus, wir wissen, dass die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Integration begrenzt ist. Ich halte nur nichts davon, eine fixe Obergrenze irgendwie festzuschreiben. Ich halte übrigens 200.000 jedes Jahr auch für zu hoch – das ist was für Ausnahmejahre, wenn es Krisen um uns herumgibt.
    Detjen: Das wird ja im Moment auch gar nicht erreicht.
    Spahn: Na ja, wir sind nicht weit davon weg. Aber unabhängig davon, eine fixe Zahl … Wissen Sie, überlegen Sie einfach nur mal, wir hätten das alles vor zwölf Jahren gehabt, mit fünf Millionen Arbeitslosen, als wir riesige wirtschaftliche Probleme hatten. Ich bin mir sicher, wir hätten deutlich weniger Menschen auch aufnehmen und integrieren können als jetzt, wo es gut läuft. Und deswegen hängt die Fähigkeit zur Integration und das, was ein Land leisten kann – übrigens auch in der Entwicklungshilfe, in der Flüchtlingshilfe vor Ort leisten kann –, sehr stark natürlich vor der jeweiligen Lage ab. Deswegen, jeder weiß, es gibt Grenzen dessen, was eine Gesellschaft – auch gerade, wenn sie integrieren will, wenn sie Akzeptanz behalten will – leisten kann. Aber ich halte nichts davon, diese Grenze in eine fixe Zahl zu schreiben. Aber bei diesem ersten Teil sind wir uns einig CDU/CSU.
    "Das Hauptthema bei Griechenland: Wie kommen wir zu mehr Wachstum?"
    Detjen: Im letzten Teil dieses Deutschlandfunkinterviews der Woche würde ich Jens Spahn gerne – nicht nur wie bisher – als CDU-Präsidiumsmitglied ansprechen, sondern eben auch in seiner Regierungsfunktion als parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Lassen Sie uns über Griechenland, Europa reden. Die finanzielle Lage Griechenlands ist in den letzten Monaten ja etwas überdeckt worden von anderen Themen. Aber die Krise ist alles andere als gelöst, es droht im Sommer wieder ein Showdown, wie wir ihn in früheren Jahren erlebt haben. Wäre die Europäische Union im Ernstfall überhaupt in der Lage, jetzt im Sommer, im nächsten Jahr, parallel zum Brexit auch noch einen Grexit zu verhandeln?
    Spahn: Wir wollen keinen Grexit verhandeln. Wir wollen, dass Griechenland in der Eurozone bleibt – wenn es das erstens auch selber will und zweitens bereit ist die griechische Regierung mit Mehrheiten im Parlament auch die Reformen und Veränderungen zu machen, die es versprochen hat zu machen. Wissen Sie, das Hauptthema bei Griechenland ist ja: Wie kommen wir zu mehr Wachstum? Es geht gar nicht darum, wie viele Schulden da im Moment da sind – wir halten die ja weitestgehend frei, wir sind ja Hauptgläubiger, wir halten sie frei von den Gläubigern, sie zahlen fast keine Zinsen im Vergleich zur eigentlichen Lage. Es geht darum, wie kommen wir wieder zu Wachstum, zu neuen Jobs, dass Leute investieren, weil sie sagen: 'Ich kann hier in Griechenland, da habe ich eine Perspektive, dass ich damit Gewinn mache'. Griechenland war das Land mit dem stärksten Wachstum Ende 2014 – stärkstes Wachstum in Europa. Es ging langsam wieder bergauf. Dann kamen die Wahlen im Januar und bums, ging es wieder richtig runter. Und jetzt sind wir mühsam schrittweise dabei, dass es wieder zu Wachstum kommt – weil Wachstum braucht Verlässlichkeit.
    "Die jetzige griechische Regierung hat mehr Reformen gemacht als alle vorher"
    Detjen: Aber auch aus Sicht des IWF, des Internationalen Währungsfonds, geht es nach wie vor darum, dass Griechenland droht, auch unter der Schuldenlast zu ersticken.
    Spahn: Na ja, das ist ja die Debatte, die wir gerade mit dem Internationalen Währungsfond …
    Detjen: Christine Lagarde war gerade bei Angela Merkel.
    Spahn: … in Griechenland auch haben über die Frage. Und wir werben sehr stark dafür beim Internationalen Währungsfonds – den wir übrigens an Bord haben wollen, weil er viel Expertise auch hat, gerade weltweit in Begleitung von Ländern, die auch Reformen liefern müssen, brauchen, im Gegenzug für Hilfe. Die Frage ist eben, das diskutieren wir: Ist es wirklich die Schuldenlast im Moment, die Griechenlands Problem ist? Und unsere feste Überzeugung ist, das Nein. Weil über 90 Prozent der Gläubiger sind wir – europäische Institutionen der Eurozone, ESM insbesondere, um das abzudecken. Bei Griechenland geht es wirklich um Wachstum. Sie sehen das ja, Spanien, Portugal, Irland und Zypern haben ja auch ein solches Programm durchlaufen und auch sehr schwierige Reformen gemacht. Übrigens so, dass die spanischen Freunde zum Beispiel sagen: 'Moment mal, es wäre ja nicht fair: Wir machen die Reformen und kriegen keinen Schuldenschnitt und bei Griechenland diskutiert ihr jetzt einen?!'
    Es ist nicht so, dass die Spanier oder die Iren sagen, dass sie die Debatte irgendwie fair finden aus ihrer Sicht. Es geht wirklich um Wachstum. Und die griechische Regierung hat gesagt – zumindest unterschrieben –, dass sie Reformen machen will. Und sie hat übrigens auch schon mehr gemacht, als alle vorher, muss man auch mal anerkennen, die jetzige griechische Regierung, mehr Reformen, mehr Veränderungen als alle Regierungen vorher. Aber sie hat eben mit uns vereinbart: Wir helfen, wir geben Unterstützung über die Kredite, über den europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und dafür geht ihr das Problem an der Wurzel sozusagen an, wie Spanien und Portugal auch.
    Detjen: Jens Spahn, vielen Dank, dass Sie sich an diesem Wochenende Zeit für uns genommen haben.
    Spahn: Sehr gerne.