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Schutz von Kindern in der Omikronwelle
Virologin: Bildungspflicht anstatt Präsenzpflicht in Schulen

Die Infektionsfälle in Kitas und Schulen nehmen zu. In dieser Lage sollte nicht auf der Präsenzpflicht als einziger Lösung beharrt werden, sagte die Virologin Jana Schroeder im Dlf. Es brauche eine Bildungspflicht mit besonderer Berücksichtigung des Kinderschutzes - und mehr Flexibilität.

Jana Schroeder in Gespräch mit Lennart Pyritz |
Zwei Schüler mit Masken sitzen in einem Klassenraum und schreiben an ihrem Pult.
Präsenzunterricht (picture alliance / Eibner-Pressefoto)
Mit mehr als 100.000 registrierten Neuinfektionen an einem Tag erreicht die Corona-Welle in Deutschland bislang unbekannte Höhen. Die Sieben-Tage-Inzidenz hat bundesweit den Wert von 900 überschritten, mittlerweile weisen sechs Bundesländer einen Inzidenzwert von mehr als 1.000 aus.
Die Bundesregierung geht von einem weiteren Anstieg aus. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rechnet mit noch höheren Fallzahlen und einem Höhepunkt der Welle vermutlich Mitte Februar.
Bei Kindern und Jugendlichen liegt der Inzidenzwert in einigen Altersgruppen noch deutlich höher. Täglich gibt es Berichte über Infektionsfälle in Kitas und Schulen. Damit steigt bei vielen Eltern die Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder. Zumal für die unter Fünfjährigen noch kein Impfstoff zugelassen ist.
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Jana Schroeder ist Virologin, Infektiologin und Chefärztin des Instituts für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie der Stiftung Mathias-Spital in Rheine. Auch wenn Kinder weniger schwer betroffen seien als Erwachsene, gebe es – nicht wesentlich anders als bei anderen impfpräventablen Erkrankungen – dennoch Risiken, wie beispielsweise das des PIMS-Syndroms, sagte Jana Schroeder im Deutschlandfunk. Eine milde Primärinfektion sage über die Langzeitfolgen einfach nichts aus, und bei der Corona-Infektion würden die Hinweise auf die Langzeitfolgen immer deutlicher. Generell gelte: Infektionsschutz sei eben auch Kinderschutz, betonte Jana Schroeder.
Das Thema um die Schulen würde zurzeit „unterkomplex“ geführt, so die Virologin weiter. Es gehe nicht um „Schule auf oder zu“, sondern um „Schule sicher“. Neben Impfungen plädierte sie für Schutzmaßnahmen an Schulen wie Masken, Lüften, Luftfilter und Tests. Es sei jedoch ein Dilemma, dass manche Schutzkonzepte wie die Pool-Tests, bei den hohen Inzidenzen einfach nicht ausgereift seien.
Anstatt mangels anderer Konzepte auf Präsenzpflicht als einziger Lösung zu beharren, solle es in der Pandemie eine Bildungspflicht geben mit gleichzeitiger Berücksichtigung der besonderen Aspekte des Kinderschutzes, schlug Jana Schroeder vor.
Zwar sei es problematisch, wenn die Präsenzpflicht an Schulen wie in Berlin ohne jegliche weitere Konzepte ausgesetzt werde, doch in der jetzigen Situation sei dies sicherlich ein richtiger Schritt. Allerdings stelle sich das Problem, dass nicht alle Kinder im Distanzunterricht gut betreut seien.
Das Interview in voller Länge:
Lennart Pyritz: Wie schätzen Sie das gesundheitliche Risiko von Kindern in der aktuellen Pandemiephase ein?
Jana Schroeder: Auch wenn Kinder weniger schwer betroffen sind als Erwachsene, was ja wirklich ein großes Glück ist, so liegt das Risiko der Kinder – gar nicht wesentlich anders als bei anderen impfpräventablen Erkrankungen –, dann haben die Kinder ein Risiko des PIMS-Syndroms. Das liegt so ungefähr bei eins zu tausend bis eins zu fünftausend, das war ja zumindest bei den bisherigen Varianten so, bei der Omikron-Variante können wir darüber noch gar keine Aussage treffen, aber es ist zumindest wahrscheinlich, dass es auch da dieses PIMS-Syndrom geben wird. Trotzdem ist die öffentliche Wahrnehmung bei Covid, was ich manchmal wahrnehme, bei Kindern, dass man sagt, ach, die Kinder kriegen das ja nicht so schwer. Da muss man vielleicht sagen mit einem amerikanischen Zitat, das kann man auf Deutsch nicht so gut ausdrücken: „low risk is not no risk“. Gerade Kinder, insbesondere die Kita-Kinder, sind auf niedrige Inzidenzen angewiesen, weil da auch die Schutzkonzepte in den Kitas bei hohen Inzidenzen einfach noch nicht so gut funktionieren.

Möglichkeiten, die Omikron-Welle noch einzudämmen „mittlerweile sehr eingeschränkt“

Pyritz: Sie haben jetzt die hohen Inzidenzen noch mal angesprochen, gerade in den Kitas. Was hätte man denn machen können, um die Inzidenzen insgesamt im Vorfeld dieser Omikron-Welle niedrig zu halten – und wäre das angesichts der Omikron-Variante überhaupt ein realistisches Szenario gewesen, die Inzidenzen einigermaßen niedrig zu halten?
Schroeder: Das ist eine wirklich gute Frage. Ich glaube, dass man beim jetzigen Zeitpunkt gar nicht mehr so wahnsinnig viel machen kann. Da ist ein Kipppunkt in der Bevölkerung auch ein bisschen erreicht, insbesondere sieht man das auch an der Kontaktnachverfolgung, die eben nicht mehr funktioniert, die natürlich noch ein eindämmendes Element immer auch gewesen ist, wo man sich auch drauf gestützt hat. Das heißt natürlich nicht, dass man gar nichts machen kann, aber die Möglichkeiten sind schon sehr eingeschränkt mittlerweile. Was man aber schon hätte tun können, wäre, dass man mehr darauf in der öffentlichen Kommunikation Rücksicht nimmt, dass Covid – und auch das sagen die Amerikaner wieder wesentlich schöner – nicht „one and done „ist, das heißt, dass man mit der akuten Infektion dann einfach durch ist.
Pyritz: Damit sprechen Sie das Problem Langzeitfolgen, Post oder Long Covid an – wie gut ist denn da eigentlich gerade bei Kindern die Datenlage?
Schroeder: Was wir klar sagen können, ist, dass es das auch gibt. Und da ist es schon so, dass es ja auch die Position, die wir in unserem Positionspapier haben, also in diesem interdisziplinären Papier, wo es darum geht, dass Infektionsschutz eben auch Kinderschutz ist. Eine milde Primärinfektion sagt über Langzeitfolgen einfach nichts aus. Und Langzeitfolgen viraler Erkrankungen sind bestens bekannt, und auch bei der Corona-Infektion werden die Hinweis auf die Langzeitfolgen immer deutlicher. Das eine kann das PIMS-Syndrom sein, das ist vielleicht eine ganz gute Nachricht, das kann nämlich durch die Impfung verhindert werden, zumindest sehen wir das aus den Daten, die wir von vorherigen Varianten haben, und eben auch das Long-Covid-Syndrom. Das ist insbesondere bei den kleinen Kindern aber sehr schwierig natürlich, weil wie will man ein zweijähriges Kind fragen, ob es den Geschmack verloren hat oder nicht mehr so gut denken kann wie früher. Aber was man davon nicht als Schluss ziehen sollte, ist, davon auszugehen, dass es komplett harmlos ist. In anderen Bereichen sagt man ja auch, noch mal etwas Englisches, „better be safe than sorry“, das ist sicherlich hier auch erst mal ein guter Ratgeber.
Pyritz: Wann ist denn damit zu rechnen, dass Corona-Impfstoffe für Kinder unter fünf Jahren zugelassen werden?
Schroeder: Es gab schon eine Mitteilung von Pfizer, dass das Impfschema von zwei auf drei Impfungen ausgeweitet werden soll für die unter Fünfjährigen, auch Moderna hat schon angekündigt, dass Daten im April ungefähr vorliegen könnten. Dann in etwa könnten auch die Daten von Biontech vorliegen. Aber bisher wir auch das nur aus Pressemitteilungen, in der Vergangenheit haben wir schon gesehen, dass das nicht immer so ganz genau eintritt.

„Schutzkonzepte für Schulen einfach nicht ausgereift“

Pyritz: Welche Schutzmaßnahmen sollten denn neben den Impfungen derzeit für Kinder ergriffen werden beziehungsweise welche halten Sie davon als Infektiologin und Virologin für nötig und sinnvoll?
Schroeder: Wichtig sind zunächst mal in den Schulen die Masken, wichtig ist auch, dass da gut aufs Lüften und gegebenenfalls auch Luftfilter gesetzt wird. Und wichtig ist eben auch, dass getestet wird. Aber man muss überlegen, dass man das Virus nicht wegtesten kann. Was macht ein Test? Ein Test macht das Licht an, wo es vorher dunkel war. Das macht einfach Sinn, eine gute Sicht zu haben, grundsätzlich auch in der Pandemie. Die PCR-Tests sind da wesentlich sensitiver, und natürlich machen Pool-Tests auch Sinn, aber bei sehr hohen Inzidenzen sind die Pool-Tests problematisch, weil wenn jeder Pool-Test positiv wird, weil einer in der Klasse sitzt, der positiv ist, dann nützen auch die Pool-Tests nicht mehr, weil dann müssen Sie die alle dann direkt auflösen, das dauert lange, dann kommt es wieder zu Unterrichtsausfall. Das ist wirklich ein Dilemma, was wir haben, dass diese Schutzkonzepte bei den hohen Inzidenzen einfach nicht ausgereift sind.

Mehr zur Präsenzpflicht an Schulen

„Nicht jede Familie hat in der Pandemie die gleichen Bedürfnisse“

Pyritz: Sie haben vor ein paar Tagen mit Kolleginnen und Kollegen aus Medizin, Virologie und Kinderpsychologie eine Stellungnahme, ein Positionspapier vorgelegt, das haben Sie gerade auch erwähnt, darin fordern Sie, dass Maßnahmen des Infektionsschutzes und des Kinderschutzes, psychosozialer Schutz zusammen gedacht und umgesetzt werden sollten. Was sind die wichtigsten Stellschrauben, an denen jetzt nachjustiert werden sollte?
Schroeder: Ein wichtiger Punkt dieser Stellungnahme, die wir geschrieben haben, ist die Interdisziplinarität. Und wir haben diese Stellungnahme auch in den Expertenrat eingegeben. Was wir daran wichtig fanden an dem gesamten Thema, ist, dass das Thema im Moment unterkomplex geführt wird. Es geht eigentlich nicht um Schule auf oder zu, sondern um Schule sicher. In diesem Zusammenhang sollte als Mindestmaß die S3-Leitlinie zum Thema Schulen umgesetzt werden. Da gibt es verschiedene Aspekte, einmal der virologische oder der kinderärztliche Aspekt, dass zwar immer darüber berichtet wird, dass es nicht zu einer Durchseuchung kommen soll, allerdings wird trotzdem toleriert, dass Kinder schon lange die höchsten Inzidenzen haben. Genauso wird auch sehr richtig kommuniziert, dass sich jeder demnächst infizieren wird, aber das betrifft eben auch die noch ungeimpften Kinder, die noch kein Impfangebot haben. Und auch die Kinder, die sich direkt nach Zulassung haben erstimpfen lassen, die haben jetzt gerade erst die zweite Impfung hinter sich. Und anstatt mangels anderer Konzepte auf der Präsenzpflicht als einziger Lösung zu beharren, sollte es in der Pandemie doch eigentlich eine Bildungspflicht geben mit gleichzeitiger Berücksichtigung der besonderen Aspekte des Kinderschutzes. Es fehlt da die Abwägung und Flexibilität, dass nicht jede Familie in der Pandemie die gleichen Bedürfnisse hat.
Pyritz: In Berlin wurde ja gerade die Präsenzpflicht an Schulen bis Ende Februar ausgesetzt. Wie bewerten Sie das? Aus infektiologischer Sicht klingt es ja sinnvoll, aber erzeugt das nicht Ungleichheit, eben weil manche Eltern ihre Kinder zu Hause, Klammer auf, gut, Klammer zu, betreuen können und andere eben nicht?
Schroeder: Ja, Sie haben recht, es ist problematisch, wenn die Präsenzpflicht ohne jegliche weitere Konzepte ausgesetzt wird, was genau mit den Kindern passiert, die dann eben zu Hause bleiben aufgrund des Infektionsschutzes, werden die ausreichend in Distanzunterricht betreut dann auch? Das ist eigentlich schade, dass das soweit kommen muss, allerdings ist es in der jetzigen Situation sicherlich ein richtiger und, ich glaube, überfälliger Schritt. Aber es wäre natürlich besser gewesen, von vorneherein Konzepte zu entwickeln für eine solche Situation, die dann direkt implementiert werden können. So erscheint es mir doch ein bisschen aus der Not heraus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.