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Mögliche Impfpflicht
Vom Nutzen eines Impfregisters

Für eine Impfpflicht dürfte auch ein Impfregister nötig werden. So eine Datenbank existiert aber in Deutschland noch nicht. Skeptiker fürchten um den Datenschutz. Befürworter sehen darin ein wichtiges Kontrollinstrument bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Impfstoffe.

Von Joachim Budde | 11.01.2022
Impfpass nach dritter erfolgter Booster-Impfung mit BioNTec gegen Covid-19, Sars-CoV-2, Corona-Krise, Stuttgart, Baden-W
Impfnachweise reichen nicht, sagen Befürworter eines Impfregisters. Doch ein Register aufzubauen, braucht sorgfältige Planung und Zeit. (imago images/Michael Weber)
"Wenn das Gesundheitssystem gefährdet ist und die Freiwilligkeit tatsächlich nicht funktioniert, müssen wir über eine Impfpflicht auf jeden Fall diskutieren," sagte am Samstag (08.01.2022) im Deutschlandfunk der FDP-Politiker Andrew Ullmann, selbst Arzt und im Bundestag Mitglied im Gesundheitsausschuss. Um eine solche Impfpflicht zu überwachen, fordern viele Politikerinnen und Politiker ein Impfregister, in dem gespeichert ist, wer wann wo welchen Impfstoff verabreicht bekommen hat.
Die Gegnerinnen und Gegner lehnen sowohl die Impfpflicht als auch das Register in Bausch und Bogen ab. Ein wichtiges Argument: der Datenschutz. Große Datenmengen, die zudem noch sensible Informationen aus vielfältigen Quellen verknüpfen – das kann in der Tat Probleme aufwerfen. Allerdings hat noch niemand konkretisiert, wie ein Impfregister überhaupt aussehen soll. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat in mehreren Interviews gesagt, man könne es durchaus datenschutzkonform gestalten.

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In skandinavischen Ländern haben Impfregister ihr Potenzial gezeigt

Zumal Impfregister den größten Nutzen bei der Überwachung von Nebenwirkungen haben. Deshalb fordern Expertinnen und Experten so eine Datenbank schon lange. In den skandinavischen Ländern zeigten sie ihren Nutzen zum Beispiel vor 15 Jahren nach Einführung der Impfung gegen das Humane Papillomavirus, kurz HPV. Damals tauchten Meldungen auf, diese Impfung könne Schäden ausgelöst haben, sagt Katharina Paul vom Institut für Soziologie der Universität Wien. „Es gab in Dänemark etwa sehr viele Bedenken seitens der Bevölkerung, weil Nebenwirkungen wie Chronic Fatigue, also ein chronischer Ermüdungszustand aufgetreten ist.“

Abgleich zwischen Daten aus Impfregister und elektronischer Krankenakte

Schwedische und dänische Forscher überprüften daraufhin, ob diese und andere Verdachtsmeldungen über neurologische Erkrankungen begründet waren. Die Studie konnte sich auf besonders gute Daten stützen, sagt Forscherin Paul. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Bedeutung von Impfregistern weltweit. „Dänemark hat ein ganz besonderes Impfregister, das zentral organisiert ist und wo nämlich – und das ist ganz wichtig – Nebenwirkungen, die sozusagen individuell erlebt werden, mit klinischen Daten zusammengeführt werden können, das heißt mit elektronischen Patientenakten im Grunde, die dort bestehen.“

In Dänemark, aber auch in Schweden und Finnland, hat jeder Einwohner eine Identifikationsnummer. Damit können Forscher Daten zwischen dem Impfregister und elektronischen Krankenakten der Patienten abgleichen.

Mertens (STIKO): In Deutschland kommen die Daten spät und haben Lücken

Die Wissenschaftler konnten also gezielt sämtliche Mädchen und jungen Frauen zwischen 10 und 17 Jahren in ihre Studie aufnehmen. Junge Menschen in diesem Alter werden möglichst vor dem ersten Geschlechtsverkehr gegen HPV geimpft, um schwere Krebserkrankungen zu verhindern, die das Virus auslösen kann.
In Deutschland sind die Behörden in weiten Teilen darauf angewiesen, dass Geimpfte, Ärztinnen, Apotheker und die Hersteller ihnen Verdachtsfälle melden. Um sie zu überprüfen, greift das zuständige Paul-Ehrlich-Institut auf Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV zurück. Doch das hat Nachteile, sagt der Ulmer Virologieprofessor Thomas Mertens, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission. „Bis die GKV-Daten zur Verfügung stehen, vergeht ja immer ein halbes Jahr größenordnungsmäßig. Das kann man gar nicht wesentlich beschleunigen. Außerdem sind natürlich die GKV-Daten auch immer unvollständig. Sie sind also, wenn Sie so wollen, natürlich als Stichprobe, auch als große Stichprobe geeignet und sinnvoll, aber sie sind a priori unvollständig. All das könnte man natürlich mit einem Impfregister besser machen.“

Dänemark: Impfregister größtenteils digital organisiert

So wie in Dänemark und Schweden. Dort haben die Studien zu HPV ergeben, dass mit der HPV-Impfung kein Zusammenhang bestand, sondern dass Vorerkankungen dahintersteckten. Das Vertrauen in die Impfung war wieder hergestellt.
Die Wiener Soziologin Katharina Paul sieht in einem Impfregister wie in Dänemark große Vorteile. „Diese Impfregister sind zentral organisiert. Sie sind zu einem großen Teil digital organisiert und sie erlauben, Nebenwirkungen und Wirksamkeit zu erforschen. Man kann leicht Daten von verschiedenen Stellen zusammenführen. Seien es jetzt Kinderärztinnen und Kinderärzte, die Nebenwirkungen beobachten, oder auch Patientinnen, Patienten selber, und man kann eben so ganz gut diese Daten vergleichen.“

Erkenntnisse darüber, wie gut einzelne Impfungen schützen

Die Register dienen also nicht in erster Linie dazu, Menschen zu kontrollieren, sondern die Impfstoffe. Und sie liefern Erkenntnisse darüber, wie gut einzelne Impfungen schützen. „Diese Datensätze sind von enormer Wichtigkeit auch für die Forschung, für die epidemiologische Forschung, sogar auch für die sozialwissenschaftliche Forschung. Denn wir können mit Impfregister auch beobachten: Wer lässt sich impfen, wer nicht? Warum ist das so? Wo sind Impflücken, die es zu schließen gilt zum Beispiel.“

„Es geht nicht um gläserne Patienten, sondern eine gläserne Pharmaindustrie“

Katharina Paul sieht auch in Sachen Datenschutz eher die Chancen als die Risiken. Denn es gehe auf keinen Fall darum, gläserne Patientinnen und Patienten zu schaffen. Im Gegenteil: „Es geht eigentlich um eine gläserne Pharmaindustrie, es geht ja darum, auch um Impfstoffe gut beleuchten zu können und die Wirksamkeit gut erproben zu können. Zugleich geht es auch um ein gläsernes Impfsystem überhaupt. Und zuletzt gibt es natürlich auch mehr Transparenz auf der Seite des Staates? Wie gut funktioniert das Impfsystem eigentlich? Wir können damit die Impfraten gut messen und damit auch einfach Politik gut evaluieren.“
Ein solches Impfregister aufzubauen, braucht sorgfältige Planung und Zeit. Um die Corona-Impfpflicht durchzusetzen, käme es sicher zu spät. Aber der nächste neue Impfstoff kommt bestimmt.