Dienstag, 30. April 2024

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50. Todestag von Igor Strawinsky
Der Picasso unter den Komponisten

Igor Strawinsky war Meister aller Gattungen und Stile. Der russisch-amerikanische Komponist machte sich von Zwölftonmusik bis Folklore alles zu eigen. Er starb am 6. April 1971 mit 88 Jahren – und war längst ein Klassiker.

Von Michael Stegemann | 06.04.2021
    Igor Strawinsky, 1917 gezeichnet von Pablo Picasso. Die beiden Künstler waren fast exakte Zeitgenossen und hatten auch sonst viele Gemeinsamkeiten
    Igor Strawinsky, 1917 gezeichnet von Pablo Picasso. Die beiden Künstler waren fast exakte Zeitgenossen und hatten auch sonst viele Gemeinsamkeiten (imago images / ZUMA Wire)
    Als Igor Strawinsky am 6. April 1971 in New York starb – 88 Jahre alt –, waren 58 Jahre vergangen, seit er den Gang der Musikgeschichte für immer verändert hatte. Sein Ballett "Le Sacre du printemps" hatte im Mai 1913 in Paris einen der größten Theater-Skandale des 20. Jahrhunderts ausgelöst und gilt bis heute als wegweisendes Schlüssel- und Meisterwerk der Moderne.

    Ostpreußischer Akzent

    Geboren wurde Igor Fjodorowitsch Strawinsky am 17. Juni 1882 in Oranienbaum bei Sankt Petersburg. Eine kleine Anekdote am Rande: Er hatte ein ostpreußisches Kindermädchen und sprach zeit seines Lebens sehr gut Deutsch – mit unverkennbarem Akzent. "Komm’ Se hier, mit Ihre Partitur – ich werde Ihnen zeigen. Wird viel einfacher sein."
    In der Partitur ist alles enthalten: Igor Strawinsky misstraute dem Begriff der Interpretation und wollte als Dirigent zeigen, wie seine Musik zu klingen habe
    Klassik-Podcast - Strawinsky Connections
    2021 begeht die Musikwelt den 50. Todestag von Igor Strawinsky. Neben häufig gespielten Werken wie "Der Feuervogel" oder "Le sacre du printemps" gibt es bei diesem Komponisten noch viel zu entdecken. Auch deswegen hat der Verlag Boosey and Hawkes jetzt eine Podcast-Reihe zu Strawinsky initiiert.
    Als Schüler von Nikolai Rimsky-Korsakow hatte Strawinsky schon erste Erfolge in Russland gefeiert, als er 1910 mit dem Impresario Sergej Diaghilew und dessen "Ballets russes" nach Paris ging. Und gleich sein erstes Werk hier war ein Triumph: das Ballett "Der Feuervogel", L’Oiseau de feu.
    Nach "Petruschka" und dem Sacre folgten weitere Ballette und Bühnenwerke: die russische Bauernhochzeit "Les Noces" und die burleske Fabel" Renard", "Die Geschichte vom Soldaten" (L’Histoire du Soldat) und der neoklassizistische Pulcinella, die quasi impressionistische Märchenoper "Le Rossignol" und das archaische Opern-Oratorium"Œedipus Rex"-in lateinischer Sprache.
    Nachcolorierte Fotographie des Komponisten mit Brille, der auf einem Flügel lehnt.
    Igor Strawinskys Kammermusik - Laboratorium im Kleinen?
    Roh, gewaltig und skandalumwittert oder elegant, kühl und salonfähig: Igor Strawinsky setzte in den großen Gattungen eine breite Ausdruckspalette ein. Die findet sich teilweise auch in seiner Kammermusik. Doch die Werke sind wenig bekannt.

    Alles, was Strawinsky begegnete, nahm er begierig auf und machte es sich zu eigen: Russische Folklore steht neben raffinierten Klanggespinsten à la Debussy, brachiale Rhythmik neben weit gespannten Melodien, Renaissance-Madrigale von Gesualdo neben barocken Concerti von Pergolesi, mittelalterliche Modalität neben Music-Hall- und Jazz-Einflüssen.
    In den 1950er-Jahren – mit über 70 – folgte er sogar dem Beispiel Arnold Schönbergs und entwickelte einen eigenen Zwölfton-Stil.

    Ein stilistisches Chamäleon

    Wie sein Freund Pablo Picasso war Igor Strawinsky ein wahres Chamäleon: Ständig änderte er seinen Stil – oft von einem Werk zum anderen – und blieb doch immer er selbst:
    "Ich lebe weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft: ich bin in der Gegenwart. Ich weiß nicht, was das Morgen bringen wird; ich kann nur wissen, was heute für mich wahr ist: dem bin ich verpflichtet."
    Russland hat Strawinsky nur einmal – 1962 – kurz für ein paar Konzerte wieder besucht; in den Wirren des Ersten Weltkriegs und der Oktoberrevolution hatte er in Frankreich eine neue Heimat gefunden und war 1934 französischer Staatsbürger geworden; 1940 floh er mit seiner zweiten Frau Vera vor dem Zweiten Weltkrieg in die USA und wurde 1945 Amerikaner. Er lebte erst in Hollywood, dann in New York und blieb aktiv bis ins höchste Alter.

    Und immer wieder Venedig

    Sein letztes Werk, abgesehen von zwei Hugo-Wolf-Bearbeitungen, war 1966 das Lied The" Owl and the Pussycat".
    In seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten besuchte Strawinsky immer wieder Venedig, wo 1951 seine Oper "The Rake’s Progress" uraufgeführt wurde. Und hier – auf der Friedhofsinsel San Michele – wurde er auch auf eigenen Wunsch beerdigt.