Medien und Sterbehilfe Neue Leitlinien für Berichterstattung über assistierten Suizid
Beim Thema Suizid haben Medien eine besondere Verantwortung, da Berichte nachweislich zu Nachahmungstaten führen können. Verschiedene Leitlinien geben Journalisten hier Empfehlungen. Assistierter Suizid kam dabei bisher kaum vor. Das ändert sich nun.
Text: Isabelle Klein / Martina Keller im Gespräch mit Martin Krebbers |
„Wir berichten nur in Ausnahmefällen über das Thema Suizid, um keinen Anreiz für Nachahmung zu geben. Wenn Sie selbst depressiv sind, wenn Sie Suizid-Gedanken haben, dann kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlosen Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123.“
Dieser Absatz steht in der Regel online unter jeder Deutschlandfunk-Nachricht, in der es um Suizide geht. Denn, darauf weisen Medienforschung und Hilfsorganisationen immer wieder hin: Medienberichterstattung kann Nachahmungstaten auslösen. Hier wird allgemein vom „Werther-Effekt“ gesprochen, angelehnt an Goethes romantisierende Darstellung des Suizids des jungen Werther, der viele Nachahmer gefunden haben soll.
Viele Medien verwenden ähnliche Disclaimer wie der Deutschlandfunk - die allerdings „kaum einheitlich und von teilweise recht unterschiedlicher Qualität“ sind, wie ein vom Bundesministerium für Gesundheit finanzierter Bericht zum Stand der Suizidprävention 2021 bemängelte. Und auch die Suizidberichterstattung selbst bietet immer wieder Anlass für Kritik, weil Standards nicht eingehalten werden.
Leitlinien der Suizidberichterstattung
Der Deutsche Presserat hat in seinem Pressekodex etwa eine eigene Richtlinie (Abschnitt 8.7) zum journalistischen Umgang mit Suiziden verfasst:
Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.
Neben dem „Werther-Effekt“, also der Beobachtung, dass schlechte Suizidberichterstattung Nachahmungstaten nach sich ziehen kann, weisen die Organisationen noch auf einen anderen Aspekt hin, der als „Papageno-Effekt“ beschrieben wird, angelehnt an den anfangs am Leben zweifelnden Papageno in Mozarts "Zauberflöte", der am Ende glücklich wird.
Für Medien heißt das: Verantwortungsvolle journalistische Berichterstattung über Suizide kann auch präventiv wirken, also positive Effekte haben. Beispielsweise wenn potenzielle Auswege benannt würden oder über Menschen berichtet werde, die einmal suizidal waren, schreibt die Telefonseelsorge.
Um diese Berichterstattung zu fördern, vergibt das österreichische Sozialministerium den „Papageno-Medienpreis“ für suizidpräventive Berichterstattung. Die Österreicher sind hier Vorreiter, auch was einen Sonderfall der Suizidberichterstattung angeht:
Regeln bei Berichterstattung über assistierten Suizid
All die Leitlinien beziehen sich bisher nicht explizit auf das Thema assistierte Suizide bzw. Sterbehilfe. Forschungen zu den medialen Effekten rund um das Thema stünden noch aus, heißt es im NaSPro-Bericht zum Stand der Suizidprävention. Hier würden Empfehlungen weitgehend fehlen, seien jedoch dringend nötig.
In der medialen Berichterstattung über assistierte Suizide gelten grundsätzlich die gleichen Prinzipien wie generell in der Berichterstattung über Suizid. Es ist aber ganz besonders darauf zu achten, dass es in einem Bericht nicht zur Romantisierung oder gar zur Glorifizierung des Suizids kommt. Vereinfachte Erklärungen wie 'endlich vom Leid erlöst' sollten vermieden werden. Eine Berichterstattung über assistierten Suizid birgt die Gefahr eines sozialen Drucks.
Anlass, hier neue Medienrichtlinien zu formulieren, sei die seit 2022 geltende gesetzliche Ermöglichung des assistierten Suizids in Österreich gewesen, die eine verstärkte Medienberichterstattung zum Thema zur Folge hatte.
Journalistin: Berichterstattung über assistierten Suizid oft problematisch
Auch in Deutschland sei in den vergangenen Jahren vermehrt über assistierten Suizid berichtet worden: besonders seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 2020, die das Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Förderung des Suizids für nichtig erklärte, beobachtet die Journalistin Martina Keller, die zur Berichterstattung über assistierten Suizid recherchiert hat.
Viele Medien würden hier, ganz anders als bei Suiziden, oft sehr detailliert berichten. Teils seien sogar Bilder von sterbenden Menschen gezeigt worden und es komme immer wieder zu romantisierenden und glorifizierenden Darstellungen assistierter Suizide. Das hält Keller für problematisch, da auch hier der Werther-Effekt wirken könne.
Zum Beispiel werden Menschen, die sich für den assistierten Suizid entscheiden, als Kämpfer für das Menschenrecht auf Suizid porträtiert. Oder es wird suggeriert, dass ein Verstorbener nach dem Tod mit seinen Angehörigen vereint sei. Oder das Sterben selbst wird als etwas Schönes und Sanftes beschrieben. Nicht selten wird der Suizid als Freiheitsakt gelabelt und als einzige Option dargestellt. Aber Suizide sind immer komplex, nie auf eine einzige Ursache zurückzuführen.
Der Medien-Leitfaden des Kriseninterventionszentrum Wien leistet hier nun Hilfestellung für Journalisten, indem er konkrete sprachliche Empfehlungen für die Berichterstattung formuliert. Zudem gebe es erstmals auch Hinweise für Bewegtbilder, sagt Keller. So heißt es beispielsweise explizit: "nicht den Ort, die Hilfsmittel etc. des Suizidversuchs zeigen". Stattdessen schlagen die Verfasser des Leitfadens vor, Bilder zu zeigen, "die mit dem Leben der verstorbenen Person bzw. der Person, die einen Suizidversuch unternommen hat, zu tun haben", oder "aktives Hilfesuchen" nachvollziehbar darzustellen.
Noch finden sich solche Empfehlungen für die Berichterstattung über assistierten Suizid nicht in den deutschen Leitfäden oder in WHO-Richtlinien wieder. Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention plane aber zum Jahresende eine neue Checkliste für die Berichterstattung, so Keller.