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Reformvorhaben der Regierung
Wie das Bürgergeld Hartz IV ersetzen soll

Die Ampelkoalition will Hartz IV reformieren. Mit dem neuen Bürgergeld sollen drastische Sanktionen für versäumte Termine oder abgelehnte Arbeitsstellen weitgehend entfallen. Bestimmte Defizite des deutschen Grundsicherungssystems lassen sich mit Gesetzesänderungen aber nur schwer beseitigen.

Von Birgit Augustin |
Ein Kind steht mit schmutziger Kleidung, zerrissenen Hosen und verschiedenen Strümpfen in einem unaufgräumten Zimmer, in dem Kleidungsstücke, billiges Spielzeug und Essensreste auf dem Boden liegen (gestellte Szene).
Die Ampelkoalition plant eine eigenständige Kindergrundsicherung und will familienpolitische Leistungen so bündeln, dass auch Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien bessere Chancen auf Bildung und Teilhabe bekommen. (picture-alliance/ dpa / Wolfram Steinberg)
Ein Sozialkaufhaus in Hamburg-Barmbek: Kleidung, Spielzeug, Haushaltsartikel – all das wird hier aufbereitet und Menschen mit geringem Einkommen für kleines Geld zum Kauf angeboten. Hinter dem Tresen im Verkaufsraum steht Michael Düker, wie viele seiner Kunden ein Hartz-IV-Empfänger. Seine Arbeit im Sozialkaufhaus „SpendaBel“ ist eine Qualifizierungsmaßnahme - vom Jobcenter für zwei Jahre bewilligt. Der 49-Jährige will sie als Sprungbrett nutzen.

„In der Tat will ich auch weiterkommen, ich möchte draußen dann auch eine Möglichkeit haben, dass ich dann auch einen Job finde, der zu mir passt. Und na ja, wenn man von Hartz IV auf einmal einen neuen Job kriegen sollte, dann auf Vollzeit – das ist so eine Problematik. Weil, die verlangen von einem gleich 100 Prozent und dann schaffst du es nicht und bist dann deprimiert.“
„Draußen“ – damit meint Düker den sogenannten ersten Arbeitsmarkt. Gute Erfahrungen hat er dort nicht gemacht. Nach der Sonderschule schaffte er zwar den Hauptschulabschluss und absolvierte eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Anschließend fand er jedoch meist nur kurzfristig Beschäftigung als Aushilfe - in Gelegenheitsjobs. Und er gehörte zu den ersten, die wieder entlassen wurden, wenn es eng wurde. Nie gelang es Michael Düker, längerfristig Fuß zu fassen. Auch nicht bei der Post, wohin ihn die Arbeitsagentur vermittelte.

„Ich musste den ganzen Container ausladen. Und das ist natürlich heftig, da ist natürlich Druck dabei, ist ja schwer. Aber ich war jeden Tag da, habe versucht, das hinzubekommen. Aber ich war dann zu langsam. Na ja…“

Nun arbeitet Düker seit gut einem Jahr im Sozialkaufhaus – eine neue „Maßnahme“ des Jobcenters. Das Kaufhaus ist ein geschützter Raum auf dem „Sozialen Arbeitsmarkt“ - mit weniger Druck und viel Hilfe. Fehler, sagt Katrin Werbek von SpendaBel, seien erlaubt.

„Es reißt ihnen keiner den Kopf dafür ab, wenn abends die Kasse mal nicht stimmt. Dann setzt man sich mit dem hin und guckt: Was ist denn da schiefgelaufen? Und dann machen wir es das nächste Mal besser. Und es gibt keinen Ärger dafür.“

Plan der Ampelkoalition: Aus Hartz IV soll ein Bürgergeld werden

Alle Menschen, die hier Kleidung verkaufen oder in der dazugehörigen Naturwerkstatt arbeiten, sind Langzeitarbeitslose. Sie beziehen Arbeitslosengeld II – umgangssprachlich auch Hartz IV genannt. Bei seiner Einführung im Jahr 2005 wurde ein Grundbedarf definiert, der Leistungsberechtigten ein menschenwürdiges Leben ermöglichen soll - bis sie wieder eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. Soweit die Theorie.

Das Ziel ist nicht konkret Vermittlung in Arbeit, da unsere Teilnehmer häufig multiple Hemmnisse mitbringen

Katrin Werbeck vom Sozialkaufhaus SpendaBel
Das Reformwerk stand seit seiner Einführung immer wieder in der Kritik. Die Ampelkoalition will nun bis 2023 neue Regelungen einführen. Aus „Hartz IV“ soll ein „Bürgergeld“ werden. Denn in der Praxis ist der Weg in den ersten Arbeitsmarkt oft lang oder gar nicht begehbar, sagt Katrin Werbeck vom Sozialkaufhaus SpendaBel - trotz diverser Qualifizierungsmaßnahmen: „Das Ziel ist nicht konkret Vermittlung in Arbeit, da unsere Teilnehmer häufig multiple Hemmnisse mitbringen. Multiple Hemmnisse bedeutet: Wohnungslosigkeit, Drogensucht, psychische Probleme. Die sind nicht unbedingt immer in ein, zwei, drei Jahren komplett abbaubar. Aber unsere Aufgabe ist es, die Hemmnisse ‚on the job‘ sukzessive abzubauen.“

Zum Beispiel, indem eine Sozialpädagogin bei der Wohnungssuche hilft und sich um notwendige Therapien kümmert. Außerdem gibt es Unterstützung bei Bewerbungsschreiben und kleine Sprachtrainings für Migrantinnen und Migranten. Und Katrin Werbeck und ihr Team suchen bei ihren Teilnehmenden nach bislang unbeachteten Kompetenzen.

Dominic Lüben etwa soll hier Nähen lernen, die Maßnahme läuft seit Anfang des Jahres. „Der Hauptgrund, warum ich hier bin, ist, dass ich alleinerziehend bin mit zwei Kindern. Und es ist schwierig, eine reguläre Arbeit zu finden, ach Stunden täglich, und auch in den Ferien arbeiten zu können. Ich habe lange nicht gearbeitet, ich habe ein Rollstuhlkind, das ist mit viel Pflege verbunden, viel Ausfallzeiten. Allgemein: Kind ist schwierig.“

Steigende Lebensmittelpreise erschweren die Situation für Hartz-IV-Beziehende

Zur fordernden familiären Situation kommt die mangelnde Qualifikation. Dominic Lüben hat nach der Schule keine Ausbildung gemacht, sondern sich von Job zu Job gehangelt. Als alleinerziehender Vater blieb er dann ganz zu Hause und kümmerte sich um die Kinder. Seit zehn Jahren lebt er nun schon von Hartz IV. Eigentlich sucht der 37-Jährige einen Job in einer Schulkantine – damit die Ferienzeiten für ihn und die Kinder synchron liegen. Nun hat ihn das Jobcenter in einen Nähkurs geschickt. Nicht ganz das, was Dominic Lüben wollte – aber immerhin: Ein Anfang.

Es gibt Ernährungsarmut in Deutschland. Dass man sich nicht ausgewogen ernährt, wie es eigentlich sein soll.

Verteilungsforscherin Irene Becker
Doch gleichzeitig steigt auch der Druck. Obwohl Lüben Zulagen für seinen behinderten Sohn bekommt, wird der Alltag immer teurer. Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die Situation für Hartz-IV-Beziehende noch einmal verschärft.

„Obst und Gemüse sind sehr teuer. Das Kind soll gesund essen, morgens am besten Tomate, Gurke, Salatblatt, Mayonnaise, Käse – das ist sehr schwierig. Durchschnittlich ist man nur mit Gemüse bei zehn Euro – das reicht für zwei Tage. Drei, wenn man das gut einteilt. Das soll aber täglich sein. Dann kommt aber noch Mittagessen und Abendbrot dazu.“

Vor diesem Hintergrund haben sich die Regierungsparteien, SPD, Grüne und FDP, auf ein zusätzliches Entlastungspaket geeinigt. 200 Euro gibt es nun als Einmalzahlung, um die aktuellen Härten abzufedern – plus 20 Euro Sofortzuschlag für jedes Kind. Doch das sei nicht genug, findet Verteilungsforscherin Irene Becker. Zumal der Hartz-IV-Regelsatz schon vorher nicht ausreichend gewesen sei.

"Es gibt Ernährungsarmut in Deutschland. Dass man sich nicht ausgewogen ernährt, wie es eigentlich sein soll. Wenn wir die Tafeln nicht hätten, dann wäre das noch krasser mit der Ernährung. Also: Verhungern tut man nicht bei dem Satz. Aber man lebt auch in ständiger Sorge ab Mitte des Monats: Komme ich überhaupt noch hin bis Ende des Monats?“

449 Euro – das ist seit Anfang des Jahres der Regelsatz für Alleinstehende im Hartz-IV-Bezug. Weitere im Haushalt lebende Menschen bekommen abgestuft weniger, bei Kindern geht es nach dem Alter. Heizung und Miete werden vom Jobcenter bezahlt. Für Mehrbedarf, etwa Babyausstattung oder Klassenreisen der Kinder, müssen Anträge gestellt werden.
Der Regelsatz orientiert sich an dem, was Menschen in den unteren 20 Prozent der Haushalte für ihr Leben ausgeben. Die Idee: Das staatliche Geld soll ein soziokulturelles Existenzminimum sichern. Das aber, kritisiert Verteilungsforscherin Becker, funktioniere nicht hinreichend.

„Erstens geht man von einem völlig willkürlich abgegrenzten, unteren Einkommensbereich aus und guckt überhaupt gar nicht, ob in diesem Einkommensbereich überhaupt Teilhabe möglich ist. Und zweitens: Es wird dann von den Referenzausgaben dieser Gruppe gekürzt. Einzelposten, die rausgerechnet werden. Und das summiert sich auf ein Viertel der Referenzausgaben. Also, da wird wirklich kleingerechnet.“
Teilhabe – das war auch für die 37-jährige Stephi lange ein großes Thema. Ihren vollen Namen möchte sie nicht genannt wissen – sie ist mittlerweile raus aus dem Hartz-IV-Bezug, hat einen sicheren Job. Aber ihre Familie in Rostock kennt nicht alle Details ihrer Geschichte – und das soll auch so bleiben.
Stephi bekam ihr erstes Kind mit 19 Jahren – die Ausbildung zur Ernährungsberaterin hatte sie während der Schwangerschaft abgebrochen. Die Beziehung zum Kindesvater scheiterte – von da an war sie immer wieder auf staatliche Hilfe angewiesen.

„Ich weiß nicht, wie lange ich meine ganzen Klamotten getragen habe, damit ich nur dem Kind Sachen besorgen kann. Ich wollte nie, dass es meinem Kind angesehen wird, dass wir jetzt nicht so viel Geld haben.“
Doch das Geld war so knapp, dass nichts außer der Reihe passieren durfte – Haushaltsgeräte durften nicht kaputtgehen, neue Fußballschuhe für den Sohn waren ein Problem - und ein lädierter Tretroller eine kleine Katastrophe.

„Ich habe auch noch gesagt: Es ist nicht so schlimm. Aber abends habe ich dagesessen und geweint, weil ich nicht wusste, wo ich jetzt einen neuen Roller herkriege. Ich könnte noch Millionen Beispiele nennen, wo das halt einfach so war“.

Rund ein Drittel aller Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern ist auf Hartz IV angewiesen

Die junge Mutter versuchte, sich aus der Situation zu befreien. Sie machte eine Lehre zur Bürokauffrau und bewarb sich auf verschiedene Jobs. Untergekommen ist sie als Alleinstehende trotzdem nicht.  

„Wenn man sagt, man lässt das Kind raus aus der Bewerbung, hat man Anfragen ohne Ende. Wenn man das Kind reinsetzt, (lacht auf), hat man nicht mal mehr die Hälfte von diesen Anfragen. Und das ist auch wirklich richtig harte Realität. Das kommt zu dem Jobcenter-Stempel noch oben drauf.“

Kein Einzelfall. Rund ein Drittel aller Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern ist auf Hartz IV angewiesen. Insgesamt können in Deutschland 850.000 Menschen nicht von ihrer Arbeit allein leben, sagt Torsten Lietzmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit. Sie brauchen zusätzliche staatliche Hilfe, die ihren niedrigen Lohn aufstockt
„Es ist eine Konsequenz eingeschränkter Arbeitszeit, häufig auch im Zuge der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Besonders betroffen sind hier Alleinerziehende. Aber auch in Paar-Familien zeigt sich, dass diejenigen, die ein Kind haben oder mehrere Kinder eher aufstocken müssen als solche ohne Kinder.“

Bis zum 1. Oktober soll der gesetzliche Mindestlohn auf zwölf Euro ansteigen. Die Bundesregierung hofft, dass davon sechs Millionen Menschen profitieren - vor allem in Ostdeutschland und vor allem Frauen. Die Erwartung: Die neue Lohnuntergrenze soll „armutsfest“ sein. Zudem soll der „Vermittlungsvorrang“ fallen. Arbeitslose sollen Fortbildungen machen können, statt den nächstbesten Job mit schlechter Bezahlung und ohne Aufstiegsperspektive annehmen zu müssen. Das wäre eine wichtige Weichenstellung hin zu mehr dauerhafter und besser entlohnter Arbeit.

Die Realität ist meist aber noch eine andere. Bewerbungstraining reiht sich an Bewerbungstraining, die Jobangebote sind wenig passgenau und von echter Förderung spüren die Betroffenen häufig nichts. Im Gegenteil:

„Erstmal, finde ich, werden die Leute, wenn sie alleine hingehen, oft nicht gut behandelt. Und das andere ist: Sie werden auch nicht gut beraten.“

Katrin Koldewey ist Sozialpädagogin und arbeitet beim „Rauhen Haus“, einem diakonischen Unternehmen, im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Über die „Elternschule“ in Hamburg-Billstedt kennt sie eine Reihe von Familien, die auf Hilfe vom Jobcenter angewiesen sind.

„Wir haben jetzt zum Beispiel eine syrische Frau, die in ihrem Heimatland Mathematiklehrerin war, die wäre gerne Erzieherin geworden. Was sie aber werden darf, ist SPA, also sozialpädagogische Assistenz, das ist die frühere Kinderpflegerin.“

Also eine Ausbildung weit unter ihrer eigentlichen Qualifikation. Der Sachbearbeiter im Jobcenter habe das über den Kopf der Mathematiklehrerin hinweg entschieden, berichtet Katrin Koldewey.

„Sie wäre prädestiniert, gerade mit Leuten zu arbeiten, die aus ihrem Heimatland kommen. Oder mit den Jugendlichen, da haben wir einen hohen Bedarf. Also die Frage ist ja eigentlich: Wo setzen wir die Leute dann hinterher ein? Was sagt der Arbeitsmarkt? Und was können die Leute? Und da würde ich mir wünschen, dass da passgenauer gearbeitet wird.“

Schlechte Beratung, überforderte Mitarbeiter, unverständliche Bescheide – die Erfahrungen, die Hartz-IV-Empfänger mit dem Jobcenter machen, sind meist nicht gut, sagt auch Klaus Wicher, Landesvorsitzender des Sozialverbandes Deutschland in Hamburg. Der gemeinnützige Verein hat in Hamburg 23.000 Mitglieder, denen er unter anderem bei Fragen zu Hartz IV und Grundsicherung mit Rechtsberatung zur Seite steht.

„Wir gucken uns hier die Bescheide an, wir haben acht Juristinnen und Juristen, die nichts Anderes machen als sowas. Der normale Bescheid umfasst etwa sieben Seiten. Das sind Textbausteine, die mit den individuellen Problemen der Menschen eigentlich nichts zu tun haben. Das verstehen Fachleute kaum, ich sowieso nicht. Und diese Menschen natürlich auch nicht.“

Nachfragen aber ist schwierig. Nicht nur wegen der Pandemie, klagt Klaus Wicher. Viele Jobcenter seien überlastet – zu wenig Mitarbeiter, zu viele Kunden mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen. Vor dem persönlichen Gespräch mit einem Sachbearbeiter müssten Bedürftige erstmal eine Online-Terminbuchung oder Telefon-Warteschleifen bewältigen.
„Eigentlich muss es so sein, dass, wenn ich eine Frage habe, dass ich uneingeschränkt in so ein Jobcenter oder die Grundsicherungsämter gehen können muss und meine Frage stellen kann. Das hat, glaube ich, auch was zu tun mit Menschenwürde.“

Auch Stephi, die 37-jährige Rostockerin, hat eher durchwachsene Erfahrungen mit Jobcentern gemacht. Oft erlebte sie wenig motivierte Sachbearbeiter. Ihr persönlicher Tiefpunkt aber war erreicht, als nach einem Wechsel der Zuständigkeiten in ihrer Akte Unterlagen fehlten. Als sie die nicht in den gesetzten Fristen beibrachte, stellte das Jobcenter die Mietzahlungen ein. Die Folge: eine Räumungsklage.

„Dann waren mein Sohn und ich – acht Jahre war er zu dem Zeitpunkt – dann waren wir sechs Monate obdachlos. Das war dann nur noch Abwärtsspirale.“

Damals kam sie bei einer Freundin unter. Vor dem Sozialgericht klagte sie gegen den Bescheid des Jobcenters und bekam Recht – das Amt musste die säumigen Mietzahlungen leisten – die Wohnung aber war weg.

Sanktionen sollen mit dem neuen Bürgergeld weitgehend entfallen


Ein drastischer Fall, dessen Einzelheiten sich zehn Jahre später kaum noch nachvollziehen lassen. Sanktionen aber gehören grundsätzlich zum Standardrepertoire der Jobcenter. Wer seine „Mitwirkungspflichten“ verletzt, bekommt die Bezüge gekürzt. Nun greift allerdings ein Moratorium, das Sanktionen zumindest teilweise ausschließt. Mit dem neuen „Bürgergeld“ sollen drastische Sanktionen für versäumte Termine oder abgelehnte Arbeitsstellen weitgehend entfallen. Katrin Koldewey, die Sozialpädagogin vom „Rauhen Haus“, findet: Sanktionen treffen ohnehin die Falschen.

„Wenn man die Eltern sanktioniert, dann werden die Kinder mitsanktioniert. Weil, das Geld fehlt der ganzen Familie und nicht den schluffigen Eltern.“

Die Ampelkoalition plant eine eigenständige Kindergrundsicherung und will familienpolitische Leistungen so bündeln, dass auch Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien bessere Chancen auf Bildung und Teilhabe bekommen. Wie genau das ausgestaltet werden soll, ist noch unklar – eine interministerielle Arbeitsgruppe soll in den nächsten Monaten Vorschläge erarbeiten.

Für die Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt gibt es bereits seit 2019 ein Gesetz: das Teilhabechancengesetz. Und manchmal funktioniert das auch schon.

„Ich finde, das ist das Beste, was das Jobcenter je zustande gebracht hat“, sagt Peter Konwiarz. Der gelernte Berufskraftfahrer war wegen gesundheitlicher Probleme lange arbeitslos. Seit drei Jahren arbeitet er als Fahrer für eine Hamburger Bäckerei. Er bringt die Brote aus der Zentrale in die Filialen in anderen Stadtteilen. 60 bis 70 Stunden kommen so im Monat zusammen. Konwiarz ist „Aufstocker“. Was er hier in der Bäckerei Effenberger verdient, wird bis auf einen Freibetrag mit seinem Hartz IV-Satz verrechnet.

„Ich hab’ ungefähr 200 Euro mehr als vorher. Das ist nicht so die Welt. Aber mehr als vorher.’

Das Geld allein ist es nicht, was ihn motiviert. Eher der Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen und das Gefühl, gebraucht zu werden.

„Dieses morgens Aufstehen und zur Arbeit gehen – das ist für mich einfach wichtig. Weil, ich kann das nicht ab, zu Hause rumzusitzen und hab’ nix zu tun.“

Peter Konwiarz hat durch das Teilhabechancengesetz eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen. Fünf Jahre lang gibt es Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber, die Langzeitarbeitslose wie ihn einstellen. Zwei Jahre lang übernimmt das Jobcenter 100 Prozent, dann verringert sich der Zuschuss jährlich um zehn Prozentpunkte. Anne Effenberger, die Geschäftsführerin der Bäckerei, musste nach dem Bewerbungsgespräch nicht lange überlegen.
„Ich habe gar kein Risiko dabei, es ist eine absolute Win-Win-Situation. Ich hab’ mindestens ein Jahr Zeit gehabt und hätte ihn jederzeit von heute auf morgen entlassen können.“

Aber das war nie ein Thema. Anne Effenberger ist froh, dass Peter Konwiarz mittlerweile fest zum Team gehört. Andere Bewerber, die ihr das Jobcenter für den Einsatz im Verkauf schickte, hat sie allerdings auch wieder weggeschickt. Zum Beispiel, weil sie nicht rechnen konnten. Ein Selbstläufer ist das Teilhabechancengesetz also nicht.

Stephi, die Rostockerin, hat mittlerweile drei Kinder und sie hat einen Job gefunden, der ihr Auskommen sichert. Mit dem Vater der zwei Kleineren lebt sie zusammen, die beiden teilen sich die Fürsorgearbeit. Nach der Babypause will sie wieder voll arbeiten gehen. Das Jobcenter hatte ihr zwischenzeitlich eine Umschulung finanziert. Sie hofft, dass dies ihr letzter Kontakt mit der staatlichen Arbeitsvermittlung war. Von Hartz IV - oder auch einem „Bürgergeld“ - will sie nie wieder abhängig sein.