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Komponistenwettstreit Composer Slam
Für eine Packung Kekse

Beim Composer Slam treten Komponisten mit frischen Stücken gegeneinander vor Publikum an, das über den Sieger entscheidet. Das Format erschließt nicht nur der Neuen Musik ein neues Publikum, sondern besticht auch durch große musikalische Vielfalt.

Von Marcus Stäbler | 28.02.2022
Simon Kluth sitzt lächelnd am Klavier
Simon Kluth, der Erfinder des Composer Slam, bei dem Komponisten mit neuen Stücken antreten. (picture alliance / dpa | Philipp von Ditfurth)
Der Serbe Igor Andric hat am Donnerstag die European Championship im Composer Slam gewonnen - Kopf an Kopf mit dem britischen Komponisten Robin Haigh.

Ein ungewöhnlicher Preis

Als Trophäe bekommen die beiden Sieger eine Packung Kekse überreicht - ein ungewöhnlicher Preis, bei einem ungewöhnlichen Wettbewerb. Der Composer Slam steht für einen professionellen, aber zugleich auch spielerischen Ansatz. Das Format soll die Neue Musik in einen engeren Austausch mit dem Publikum bringen. Thomas Posth, künstlerischer Leiter vom Orchester im Treppenhaus, erklärt das Konzept:
"Wenn wir jetzt sechs Stücke spielen würden, einfach so, in einem Konzert, das wäre natürlich auch spannend. Aber so wissen wir die ganze Zeit: Es geht auch darum, was ist das spannendste Stück, das die Menschen am meisten mögen. Das macht es nochmal anders interessant, und wir reden auch viel darüber und überlegen, welches Stück wird denn wohl ins Finale kommen und was sind die Qualitäten der einzelnen Stücke. Wer dann am Ende gewinnt, ist irgendwie interessant - aber am Ende geht es darum, dabei zu sein."
Um in die Finalrunde am vergangenen Donnerstag in der Orangerie Herrenhausen einzuziehen, mussten die Bewerberinnen und Bewerber als ersten Schritt zunächst eine Jury-Vorauswahl überstehen. Thomas Posth:
"Dann waren das aus vielen europäischen Ländern jeweils eine Kandidatin oder ein Kandidat. Und die sind dann wie im Qualifying gegeneinander angetreten in einer Online-Abstimmung, das war schon letzten Juni", sagt Thomas Posth.

Klare Bedingungen

Aus dieser Online-Abstimmung sind die sechs Finalisten hervorgegangen. Fünf Komponisten und eine Komponistin, aus sechs europäischen Ländern. Sie bekamen alle einen Auftrag für ein neues Stück – maßgeschneidert für das Slam-Konzert mit dem 13-köpfigen Orchester im Treppenhaus und seinem Dirigenten Thomas Posth.
"Natürlich gibt es eine Besetzungsvorgabe. Unsere Orchesterbesetzung plus Elektronik war das Maximum, es haben sich aber auch manche entschieden, für weniger Instrumente zu schreiben. Und es gab auch ein Zeitlimit." 

Rund acht Minuten lang durften die Werke sein – und es gab noch eine weitere Regel für die Slammer:
"Sie müssen sich dem Publikum zeigen und sie müssen auch in irgendeiner Form an den Stücken teilhaben."
Dadurch lernt das Publikum nicht nur die Musik, sondern auch die Menschen kennen, wenigstens ein kleines bisschen. Simon Kluth – Moderator des Abends und Initiator des Composer Slam – lädt die sechs Komponisten jeweils vor der Aufführung zu einem kurzen Interview, bei einem Glas Wasser oder Wein.

Komposition gegen strukturellen Rassismus

Der Franzose Pierre-Antoine Savoyat bekennt, dass er stark von schwarzen amerikanischen Musikern beeinflusst ist. Das spiegelt sich auch in seinem Stück „My Blues for them“. Es vereint Elemente aus Jazz und Klassik mit Samples und wendet sich explizit gegen strukturellen Rassismus. In der Aufführung spielt Savoyat selbst das Trompetensolo.

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Auch die Spanierin Pilar Miralles will eine Botschaft vermitteln, wählt dafür aber einen ganz anderen Weg. Sie schreibt ein Stück für Klavierquintett, dessen Tonfall entfernt an Schostakowitsch erinnert. Vorab rezitiert Miralles einen Text von Miguel Hernandez, einem der bedeutendsten spanischen Dichter des 20. Jahrhunderts. Das Gedicht, das Miralles inspiriert hat, ermuntert zu einem kritischen Blick auf die Welt. Aber selbst wenn man den Inhalt nicht versteht – der Vortrag von Pilar Miralles macht den Klang und den Rhythmus der Sprache schon zu Musik.

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Durch seine enge Taktung wirkt der Abend kurzweilig und abwechslungsreich, zumindest, wenn so unterschiedliche Persönlichkeiten und Stile am Start sind. Die Bandbreite reicht von klassisch instrumentierten Stücken wie dem Quintett von Pilar Miralles bis zu computergestützten Sounds, etwa beim deutschen Komponisten Alexander Held und von Werken mit einer außermusikalischen Botschaft bis zu Kompositionen, die sich vor allem auf ästhethische Fragen fokussieren. Darunter eine spannende Klangstudie von Eden Lonsdale mit dem bildhaften Titel „Sterne und Ameisen“.

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Raffinierte Effekte

Aber auch das Siegerstück „Aesop“ von Robin Haigh. Der britische Komponist, Ende zwanzig, konfrontiert den Klang des Kammerorchesters mit elektronisch generierten Samples und einer Partie für „untrained recorder“, also ein Blockflötensolo, das ausdrücklich nicht von Berufsmusikerinnen und -musikern gespielt werden soll.
Robert Haigh: "Für mich hat das etwas Persönliches, dieser Klang des nicht ausgebildeten Blockflötenspiels. Das weckt viele Assoziationen an die Kindheit, ans Musiklernen. Ich finde diese schwankende Intonation spannend und wollte das erforschen, mit mir selbst als nicht so naheliegendem Solisten."

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Robin Haighs „Aesop“ vereint raffinierte Effekte und mikrotonale Strukturen mit genau der Nahbarkeit und dem spielerischen Charme, der den Composer Slam auszeichnet. Deshalb ist es kein Wunder, dass sein Stück die Abstimmung beim vor Ort in Hannover anwesenden Publikum gewinnt. Durch die Addition mit den Online-Voten rücken die Ergebnisse anschließend noch näher zusammen. Das passt zum Gesamteindruck. Denn am Ende haben eigentlich alle gewonnen. Weil das Format für die Neue Musik auch ein neues Publikum erschließt.