Freitag, 19. April 2024

Archiv

Festival für immaterielle Kunst
Partytröte, Blasebalg und viel Plastik

Performance und zeitgenössische Musik, diese zwei Künste verbindet ein junges Festival in Hamburg: Das Festival für immaterielle Kunst. Die Veranstaltungen begeisterten mit einem Klaviertransport als Hauptact oder einer Sonate für Pumpen und Tüten.

Von Elisabeth Richter | 19.09.2022
Eine Frau trägt ein großes, tierartiges Kostüm. Auf ihrem Kopf sind drei Partytröten befestigt, diese werden über blaue Schläuche  aufgepustet. Unter den Füßen der Frau sind Blasebälge.
Die Berliner Performerin Maren Strack führt ihre „Sonate für Pumpen und Tüten“ auf, beim Festival für immaterielle Kunst in Hamburg. (Gerhard Kühne)
Die vorderen Sitzreihen im kleinen Saal der Elbphilharmonie wurden entfernt. Am hinteren Rand der großen Spielfläche thront auf einem mit Goldpapier umhüllten Tisch eine Bratsche. Davor sitzt mit dem Rücken zum Publikum eine blonde, elegant gekleidete Frau. Die Frisur wie Marilyn Monroe, hauteng, nixenartig das Kleid unten etwas ausgestellt. Am Boden eine lange rote Schleppe, wie ein roter Teppich. Eine gefühlte Ewigkeit herrscht Stille, bis die Performerin und Bratschistin Julia Robert Töne anstimmt. Elektronik kommt hinzu. Julia Robert bedient Knöpfe eines Mischpults am Boden mit ihren Highheels.

Hendrix trifft auf Callas

Fame (Ruhm) heißt diese Performance von Julia Robert, sie hat Stars wie Maria Callas, Jimi Hendrix, David Bowie und andere unter die Lupe genommen. Sie kam u. a. auf die Idee, weil ihr Name fast identisch ist mit dem der Schauspielerin Julia Roberts. "Auch weil ich Musikerin bin, außerdem habe ich Tanzpraxis, das fließt alles mit in die Performance ein. Entscheidend sind aber nicht die berühmten Persönlichkeiten. Ich habe mich immer gefragt, was ist der Kitzel der Kunst, wenn es gelingt, das Publikum zu berühren."
Unglaublich virtuos verbindet Julia Robert Teile aus Jimi Hendrix‘ legendärer Demontage der US-Hymne beim Woodstock Festival 1969 und Ausschnitten einer ebenso legendären Arie aus Alfredo Catalanis Oper „La Wally“, die Maria Callas sang. In Verlauf erzählt Julia Robert etwa von Nina Simone oder Julia Roberts, schlüpft in diese Rollen, arbeitet mit verfremdeten Klängen. Aber dann lässt sie immer mehr Kleidungsstücke fallen, hängt das schicke Dessous auf eine Leine und ist fast nackt.

Die Kehrseite des Ruhms

Diese Performance blickt hinter den Glanz des Ruhms, sie stimmt nachdenklich, sie war eine der eindrücklichsten Momente des zweitägigen Festivals.
„Das Allerwesentlichste in einer Performance ist die Überzeugungskraft des Performers oder der Performerin, die Erdigkeit, die Authentizität“, erklärt die Kuratorin des Festivals, die Hamburger Stimmkünstlerin und Performerin Frauke Aulbert. „Danach suche ich, wenn ich das Festival kuratiere. Unter performativer Musik, darunter lässt sich sehr viel Unterschiedliches verstehen. Es gibt tänzerische, … visuelle Elemente, aus Video … im Grunde genommen sind da keine Grenzen gesetzt.“

Konzert für fahrendes Klavier

Szenenwechsel: Vorplatz der Elbphilharmonie, Wasserseite beim Lastenaufzug. Der Geiger, Komponist und Bildende Künstler Hans-Christian Jaenicke hat sich von etwas anderen Töne des Klaviers faszinieren lassen. Solche, die etwa beim Rollen während des Transports entstehen können. „Passage: Konzert für fahrendes Klavier“ heißt seine Performance.
Der Anhänger mit dem Klavier steht am Kai vor der Elbphilharmonie. Hans-Christian Jaenicke fährt das auf einem Rollwagen befestigte offene Klavier über eine Rampe nach unten. Eine Helferin hat ein Mikrofon dabei und nimmt die Geräusche auf. Ein weiterer Helfer schiebt nebenher einen Lautsprecher, aus dem mit zusätzlichen Verfremdungen die Geräusche kommen.

Konzert auf der Bühne, ohne Pianist

Am Ende wird das Klavier mit dem Lastenaufzug in die Kaistudios gebracht. Das Publikum kommt in mehreren Gruppen hinterher, im selben Lastenaufzug und nimmt in einem Raum der Kaistudios Platz. Hans-Christian Jaenicke zeigt Prozesse, die bei üblichen Konzerten völlig ausgeblendet werden, er gesteht dem Klavier ein Eigenleben zu: „Es ist alles verkehrt. Das Publikum sitzt nicht , sondern läuft, man ist draußen, es ist laut, das Klavier, man kann sich damit ausdrücken als Instrument richtig, und in dem Moment, wo es dann in den Saal, da ist der Fußboden ganz glatt, das Klavier verstummt.“

Ein möglichst vielfältiges, kontrastreiches Programm

Manche Darbietungen wurden auch zur Herausforderung. Das in grellem Pink mit Schwarz gestylte Duo Sisterloops aus Stockholm räkelte sich aufreizend auf zwei Tischen und malträtierte mit „Voice Noise“ – also „Stimmkrach“ – die Ohren bis zur Schmerzgrenze, mit verfremdeten Stimmgeräuschen. Vorsichtshalber waren vorher Ohrstöpsel verteilt worden, dennoch verließen einige Besucher den Raum. Eine aggressive Performance, Sinn oder Sinnlichkeit war kaum erkennbar.
Ganz anders die Berliner Performerin Maren Strack. Sie hat für eine „Sonate für Pumpen und Tüten“ Plastikmateriealien recycelt und daraus aufblasbare, von innen beleuchtete Voodoo-Puppen gebaut. Sie selbst ist ein schuppenartiges Kostüm geschlüpft, hat sich auf den Kopf mehrere Partytröten montiert, auf den Rücken einen Gymnastikball. Unter jedem Fuß sind zwei Blasebälge, über mehrere Schläuche wird Luft gepumpt. Auch eine Flöte ist angeschlossen: Prinzip Dudelsack. Dazu tanzen die mit Luft versorgten Puppen.

Technikbegeisterte Schlangenbeschwörerin

„Der Reiz für mich ist immer das Spiel mit der Technik. Ich untersuche den Luftfluss, wie kann ich die Luft fließen lassen, ich lasse sie ja einmal von meinen Pumpen in die Tüten reinfließen, in die Mediamarkttüte, zum andern in den Gymnastikball, und dann lasse ich umgekehrt, indem ich auf die Mediamarkttüte draufdrücke wieder rausfließen in die Flöte rein. Das sieht jetzt so einfach aus, aber da habe ich schon ne ganze Weile dran rumgetüftelt.“
Maren Stracks ist in ihrer „Sonate für Pumpen und Tüten“ Schlangenbeschwörerin oder Rattenfängerin von Hameln, aber vor allem eine virtuose Performerin, die auch musikalisch und physisch kunstvoll Rhythmus, Melodie, Schauspiel und Installation verbindet. Eine der anregendsten Präsentationen des spannenden Festivals, das durch Outdoor-Performances, eine Podiumsdiskussion und zwei Workshops ergänzt wurde.