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Jazz-Operette
Die swingende Witwe

Niemand sang „Die lustige Witwe“ so wunderbar anzüglich wie Fritzi Massary. Die Oper Dortmund hat sich nun an eine Rekonstruktion der legendären Produktion aus der Weimarer Republik gewagt. Ein schwieriges Unterfangen - schon wegen der Quellenlage.

Von Stefan Frey | 31.01.2022
Szenenbild der Jazz-Operette "Die lustige Witwe": Die Schauspielerin Rebecca Nelsen posiert in ihrer Rolle als Hanna Glawari in luxuriös anmutender Kleidung vor dem Ensemble.
Dortmunder Produktion der "Lustigen Witwe": Rebecca Nelsen spielt die Rolle der Hanna Glawari (stage picture / Björn Hickmann)
Frech, frivol, angejazzt: So klang „Die lustige Witwe“ 1928 im Metropol-Theater, gesungen von Berlins Operetten-Diva assoluta, Fritzi Massary. Kein Wunder, dass die Theater seit einigen Jahren nach dieser Version von Franz Lehárs Erfolgsstück suchen - bisher vergeblich.

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Denn außer den damals aufgenommenen Schelllackplatten, einer Broschüre der neuen, wunderbar anzüglichen Gesangstexte von Rudolf Schanzer und Ernst Welisch und dem Programmheft der von Revue-Regisseur Erik Charell inszenierten Uraufführung gibt es nichts - schon gar kein Aufführungsmaterial. Weder Klavierauszug und Orchesterstimmen noch ein Libretto.
„Es ist keine Rekonstruktion in dem Sinne, dass man sagen kann, wir können das anbieten, was 1928 gelaufen ist. Das wäre vermessen.“ Matthias Grimminger, Experte für Jazz-Operetten

Neue Handlung, neue Musik

Trotzdem hat sich jetzt die Oper Dortmund als erstes Theater an eine Rekonstruktion dieser legendären Witwe gewagt. Dafür musste sich nicht nur Regisseur Thomas Enzinger eine passende neue Handlung ausdenken, sondern auch die Musik musste neu arrangiert werden. Das wurde von zwei ausgewiesenen Spezialisten für die Jazz-Operette der 1930er-Jahre und besonders der Werke Paul Abrahams besorgt: Jens Hagedorn und Matthias Grimminger. Dramaturgin war Laura Knoll.
"Operette ist auch dreckig, Operette ist auch schmutzig. Operette ist auch Hochglanz, aber Operette ist nie aalglatt." Thomas Enzinger, Regisseur
Bei der Aufführung weht ein Hauch Friedrichstadtpalast durch Dortmunds nüchternes Opernhaus. Dafür sorgt vor allem die eigens engagierte Tanztruppe, die Evamaria Mayer in ausgefeilten Choreographien über die Bühne jagt. Hochglanz ist also zur Genüge da. Wo bleibt aber das "Dreckige" der Version von 1928?

Operette war Fritzi Massary auf den Leib geschrieben

Immerhin ist da die Titelfigur eine Tingeltangelsängerin aus Honduras. Das wird hier im neu erfundenen Vorspiel in Südamerika zwar angedeutet, verliert sich aber im Lauf der Aufführung bald - in den Konventionen der Rolle. Das liegt nicht an Rebecca Nelsen, sondern an Fritzi Massary. Auf sie war diese Revue-Witwe zugeschnitten.
Die Sängerin Fritzi Massary
Fritzi Massary: Ihre Darstellung der "lustigen Witwe" bleibt unerreicht (picture alliance/dpa/Foto: Ronald Grant Archive / Mary Evan)
Sie hat sich nicht nur alle Schlager wie den „Weibermarsch“ unter den Nagel gerissen, sondern auch alle Nummern umtexten lassen.

Ein verdienstvoller erster Schritt

Und dieser neue Text - der eigentliche Clou der Fassung - erfordert Chansonvortrag. Als Operngesang kann er nicht zur Geltung kommen. Da helfen keine Mikroports, es ist eher eine Frage der stilistischen Flexibilität.
Der Weg zur "historischen Aufführungspraxis" ist eben mühsam, besonders bei dieser Version der „Lustigen Witwe“. Der Dortmunder Aufführung gebührt zumindest das Verdienst, den ersten Schritt gemacht zu haben.