Sonntag, 28. April 2024

Staatsdoping in der DDR
Wie geht es weiter mit der Entschädigung für Dopingopfer?

In Mecklenburg-Vorpommern haben ehemalige DDR-Leistungssportlerinnen und -sportler gute Chancen, ihre Gesundheitsschäden als Folge des Staatsdopings anerkennen zu lassen, in Brandenburg jedoch nicht. Nun gehen die Blicke zum Bundesverwaltungsgericht.

Von Silke Hasselmann | 16.03.2024
Eine Packung Oral-Turinabol der Firma Jenapharm liegt offen auf einem roten Untergrund.
Das Anabolikum Oral-Turinabol von der Firma Jenapharm war häufig das leistungssteigernde Mittel der Wahl im DDR-Staatsdoping-System. (Imago / Steinach)
Thomas Götze ist zwölf Jahre alt, als sein Talent für die Leichtathletik entdeckt wird. Vor allem für das Hammerwerfen wird er gesichtet und wechselt 1975 mit Beginn der achten Klasse auf die Kinder- und Jugendsportschule beim Sportclub Einheit Dresden. Dort wird er Teil einer Trainingsgruppe beim späteren Bundestrainer Bernhard Riedel.
Götze erinnert sich: "Da gibt es so eine so eine prägnante Szene in der Umkleidekabine. Da kam Bernhard Riedel rein mit einer Dose Pillen, schüttete die auf die Hand und sagte: 'Hier, Jungs! Das sind Vitamine. Nehmt die mal, damit ihr nicht krank werdet!' Und das waren wohl Vitamine. Vitamin C wahrscheinlich. Aber das war die Vorbereitung darauf, uns komplett das Unrechtsbewusstsein zu nehmen. Die hießen ja auch 'unterstützende Mittel'.

Oral-Turinabol war oft das Mittel der Wahl

'Unterstützende Mittel', kurz: UM. Das war die offizielle Umschreibung auch für jene verbotenen Substanzen, die Trainer und Ärzte an tausende, oft unwissende Kadersportler zwischen 1974 und 1990 ausgereicht haben – gemäß dem wissenschaftlich-medizinisch ausgeklügelten, aber geheimen "Staatsplan 14.25".
Seit er 15, 16 Jahre alt war, habe er rosafarbene und blaue Pillen erhalten, erinnert sich Thomas Götze. Vermutlich Oral-Turinabol aus dem Hause Jenapharm. Ein anaboles Steroid für den unnatürlich schnellen Muskelzuwachs und zunächst einmal hilfreich dafür, das extreme Pensum zu schaffen, das der Jugendliche etwa beim Krafttraining absolvieren musste.

Wenn Sie dann bis zu 20 Tonnen in einer Trainingseinheit umsetzen oder Tiefkniebeuge mit 80 bis 100 Kilo machen. Dann ist das schon was mit 15, 16! Aber um überhaupt diese Belastungen wegzustecken, dafür gab es ja dann die unterstützenden Mittel. Und vielleicht auch noch eine Schmerztablette dazu.

Thomas Götze über seine Trainingsbelastung als Jugendlicher
Schon mit 17 Jahren hört Thomas Götze wegen einer Schulterverletzung mit dem Hochleistungssport auf. Dennoch werden ihn von nun an Gesundheitsschäden aller Art durchs Leben begleiten. Bis zu 20 Operationen an Schultern, Knie, Hüfte, Ellenbogen. Mit mäßigem Erfolg.

Ex-Nachwuchsathlet Götze ist nun Schmerzpatient

"Ich bin Schmerzpatient, chronischer Schmerzpatient in der Schmerzambulanz der Universitätsklinik Greifswald. Das sind Schmerzen, die wünsche ich niemandem", führt Götze aus. Als Opfer rechtsstaatswidriger Maßnahmen ist der heute in Stralsund lebende Ex-Junioren-Hammerwerfer seit acht Jahren anerkannt.
Diese sogenannte "verwaltungsrechtliche Rehabilitierung" ist die Voraussetzung dafür, um eine monatliche Entschädigung nach dem Sozialgesetzbuch zu erhalten, erklärt Burkhard Bley das zweistufige Verfahren: "Es geht um einen Ausgleich für gesundheitliche Schäden, weil ich dann Therapien in Anspruch nehmen muss, weil ich nicht mehr arbeiten kann, weil ich in meiner Lebensführung stark beeinträchtigt bin."

Gebannter Blick auf Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Der Landesbeauftragte in Mecklenburg-Vorpommern für die Aufarbeitung von SED-Unrecht ergänzt: Dieses Prinzip könnte in Gefahr sein. 2020 urteilt das Verwaltungsgericht Greifswald, dass sehr wohl auch DDR-Hochleistungssportler nach dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz behandelt und als Opfer rehabilitiert werden können. Seitdem wurden in Mecklenburg-Vorpommern 64 entsprechende Rehabilitationsanträge betreut. 43 Antragsteller wurden anerkannt.
Anders sieht das aber im Land Brandenburg aus. Dort urteilt das Verwaltungsgericht Potsdam vor einem Jahr, dass das Staatsdoping "nicht der politischen Verfolgung gedient oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt" habe. Andere Bevölkerungsgruppen wie etwa die Bewohner der umweltverpestenden Chemie-Regionen seien von der DDR-Führung "ebenso fahrlässig Schädigungen ausgesetzt gewesen".
Am 27. März will das Bundesverwaltungsgericht über die eingelegte Revision in diesem Fall entscheiden, sagt Burkhard Bley:
"Eine positive Entscheidung dort, die praktisch das Urteil von Potsdam aufheben würde, wäre ja ein positives Signal für allen anderen Sportlerinnen und Sportler, dass dieses Verfahren für sie offenbleibt. Würde das Bundesverwaltungsgericht das ablehnen, dann könnte keiner der ehemaligen Sportlerinnen und Sportler diese verwaltungsrechtliche Rehabilitierung beantragen, um dann in einem zweiten Schritt möglicherweise Leistungen nach dem sozialen Entschädigungsrecht zu bekommen."

Was die Beweisführung für Dopingopfer kompliziert macht

Derweil gibt es auch für diesen zweiten Schritt sehr hohe Hürden, weiß der Ex-Hammerwerfer Thomas Götze. Dessen Antrag liegt seit Anfang 2023 beim Versorgungsamt Schwerin. Das hat bislang nur einem ehemaligen DDR-Leistungssportler eine monatliche Beschädigtenversorgung zuerkannt.
Kein Wunder, sagt der heute 62-jährige Götze. Auch ihm sei es bislang nicht gelungen, die vom Amt geforderten Beweise dafür vorzulegen, dass seine Gesundheitsschäden unmittelbar auf Doping zurückzuführen sind. Wie die meisten Betroffenen habe er ja nie erfahren, wie die Pillen hießen, was in ihnen steckte. Ärztliche Unterlagen, Medikationspläne zu seinem konkreten Fall? Längst vernichtet.

Bundesopferbeauftragte: Dopingopfer wie Soldaten behandeln

Thomas Götze unterstützt deshalb den Vorschlag von Evelyn Zupke, sie ist die Bundesopferbeauftragte. Und Zupke findet, dass gesundheitlich geschädigte Opfer rechtsstaatswidriger Maßnahmen ähnlich behandelt werden müssten wie Bundeswehrsoldaten. Stellen sich bei denen nach einem Auslandseinsatz psychische Erkrankungen ein, wird ein Zusammenhang vermutet und ein Versorgungsanspruch anerkannt, ohne den Soldaten in langen Verfahren immer wieder Beweise abzuverlangen.
Die Bundesopferbeauftragte konkretisiert: "Wünschenswert wäre natürlich, dass eben analog zum Soldatengesetz angenommen wird: 'Die und die Sportart, die und die Zeit, die und die Schäden erkennen wir an.'"