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Erfolgsschlager Denkmalkunst

"Memorial Mania" hieß eine Tagung im Haus der Kulturen der Welt, auf der sich Wissenschaftler und Experten mit dem Boom des Denkmalbaus beschäftigten. Ob großartig architektonisch inszenierter Betroffenheitsgestus oder kleine Irritation im Stadtbild - Denkmalkunst ist weltweit gefragt.

Von Frank Hessenland | 12.12.2011
    Denkmale sind heute nicht mehr wie in feudalen und frühbürgerlichen Zeiten erbauliche Standbilder von Herrschern zu Pferde oder Statuen von verdienstvollen Zeitgenossen mit Vorbildcharakter, wie etwa Goethe und Schiller in Bronze auf dem Weimarer Marktplatz. Sie sind auch nicht die kolossalen Heldenfiguren auf einem quasi-heiligen Schrein wie beim Hermannschlacht-Denkmal aus Kaiserzeiten oder den sowjetischen Kriegerehrenmalen.

    Denkmale heute sind anders. Große, abstrakte Formen führen den Blick des Betrachters in "Voids", in leere Räume, lassen den Besucher ein Gefühl des gesellschaftlichen Verlustes entstehen wie in Libeskinds Jüdischem Museum, Eisenmanns Denkmal für die ermordeten Juden, Maya Ying Lins "Vietnam Veterans Memorial", aber auch im neu erstellten 9/11-Memorial auf Ground Zero in New York. Das Ziel der großen Mahnmale, beschreibt Professor Stefanie Endlich von der Universität der Künste in Berlin, ist aber immer noch ein ähnliches quasi-religiöses:

    "Seit jeher ist Totengedenken ein wesentliches Element bei der Bildung eines kollektiven Gedächtnisses im Sinne von Nation-building. Der Versuch, durch trauernde Vergegenwärtigung eine Gemeinschaft zwischen den Lebenden und den Toten herzustellen und die Hoffnungen und Ziele der Toten in Gegenwart und Zukunft zu überführen, die Hoffnung gehört zu den ältesten Grundmustern von Erinnerungsritualen weltweit."

    Ein weiterer Strang der modernen Denkmalskunst, sozusagen eine Ebene unterhalb des großen architektonisch-inszenierten Betroffenheitsgestus', ist der aus den deutschen Bürgerinitiativen der 80er gewachsene Stil des Counter-Monuments: kleine Irritationen im Stadtbild, die den Passanten kurz aufstören sollen. Schilder mit Entfernungsangaben zu den ehemaligen KZs, Stolpersteine aus Messing im Boden mit Namen und Wohnort Ermordeter und so weiter.

    Beide Stränge der Denkmalkunst sind heute so etwas wie weltweite Erfolgsschlager. Architekten wie Daniel Libeskind, Interventionskünstler wie Horst Hoheisel und viele andere reisen durch die Welt, beraten Institutionen und gestalten Denkmäler vor allem von Gesellschaften auf der Suche nach ihrer "neuen" demokratischen, nachdiktatorischen Identität, ob in Lateinamerika, Spanien, oder Osteuropa.

    Ob die große weltweite Nachfrage nach Denkmalen heute schon die hysterisch-zwanghafte Gestalt einer Manie angenommen hat, wie sie der Titel der Konferenz "Memorial Mania" im Haus der Kulturen der Welt nahelegte, wurde natürlich von den 15 eingeladenen Experten nicht explizit beantwortet. Klar wurde aber in den vier Veranstaltungen über das Wochenende, dass der Boom des Denkmalsbaus noch auf längere Zeit kein Ende finden dürfte.

    Im Gegenteil: Die Globalisierung mit den Folgen der Relativierung angestammter Werte, die Migration, die nationalen Verunsicherungen, aber auch der gesellschaftlich heilsame Erfolg der Aufarbeitung des Holocaust in Deutschland und West-Europa mittels der damit verbundenen heftigen Diskussionen um Denkmäler werden die Nachfrage durch Überlebende von Opfergruppen auch anderer staatlicher Gewalt vergrößern. Karl Schlögel von der Viadrina Universität in Frankfurt (Oder) sieht für die Zukunft in Osteuropa eine große Nachahmer-Dynamik voraus.

    "Es wird nicht nur die unüberbietbare Form, die das Ereignis des Holocaust spiegelt, geben, sondern es werden andere Formen hinzutreten, die die Ungeheuerlichkeiten und der Vernichtung von Millionen von Leben durch eine andere, anders geartete Gewalt zum Ausdruck bringen. Kurzum: Ich bin überzeugt, dass wenn wir in die Geschichte der europäischen Gewalt-, Leidens- und Befreiungserfahrung hineingehen, das wird gravierende Konsequenzen haben für das, was in Zukunft Gedenk- und Denkmallandschaft sein wird."

    Welche Folgen aber die mögliche Inflationierung von Mahnmalen an die unterschiedlichen Massenmorde im 20.Jahrhundert auf das Geschichtsbewusstsein der Europäer haben wird, bleibt umstritten. Ausgeschlossen wurde von den Experten von "Memorial Mania" im Haus der Kulturen der Welt nicht, dass die Denkmale der Zukunft den heldischen der Vergangenheit bald wieder ähneln werden.