Freitag, 17. Mai 2024

Sicherheitsrisiko EURO 2024
Wie sich die Polizei auf mögliche Gefahren vorbereitet

Die EURO 2024 in Deutschland wird gerade wegen der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten auch vom Thema Sicherheit begleitet. Welche Maßnahmen trifft die Polizei und wie bereiten sich die Sicherheitskräfte vor?

Von Raphael Späth | 09.05.2024
Zu sehen ist der vordere Teil eines Polizeiwagens, im Hintergrund ist das Olympiastadion in Berlin zu sehen.
Das Olympiastadion in Berlin wird einer der EM-Austragungsorte sein: Neben dem Finale werden hier fünf weitere Spiele stattfinden. (IMAGO / Nico Herbertz / IMAGO / Herbertz / Nico Herbertz)
Vier Spiele werden in Leipzig stattfinden, die Vorbereitungen der Polizei auf diese besonderen Tage haben schon vor einem Jahr begonnen.
„Wir haben jedes einzelne Spiel bewertet“, erzählt der Leipziger Polizeipräsident René Demmler und erklärt selbstbewusst: „Wir gehen davon aus, dass im Bereich der Fans, die dieses Spiel besuchen werden und die Nebenveranstaltungen, die Sicherheit gewährleistet werden kann.“
Trotzdem: Die Fangruppierungen aus ganz Europa sind nur ein Sicherheitsrisiko bei dieser Europameisterschaft.

Internationale Großveranstaltungen: ein Ziel für Extremisten und Terroristen

„Internationale Großveranstaltungen sind gerade jetzt in dieser Zeit auch ein sogenanntes weiches Ziel für Extremisten und Terroristen“, erklärt Thomas Kubera. Der Polizeipräsident von Hamm hat 2018 ein Handbuch für Polizei-Einsätze bei Fußballspielen veröffentlicht. „Die Sicherheitsbehörden sprechen im Moment ja auch von einer hohen abstrakten Gefahr vor Anschlägen, also das ist durchaus eine Gefahr, die man mit kalkulieren muss.“
An vielen EM-Standorten in Deutschland wurden deshalb schon alle möglichen Szenarien geprobt und durchgespielt. Auch in Leipzig hat man sich intensiv auf Gefahren aus dem Luftraum, möglichen Drohnenangriffen, aber auch auf Angriffe mit Fahrzeugen vorbereitet, so Polizeipräsident Demmler:
„Ich glaube, die größte Herausforderung bei den Einsatzmaßnahmen ist, und das ist auch Gegenstand der Vorbereitung, dass wir auf eine sich verändernde Lage schnell reagieren können.“

Software simuliert vorab Personenströme

Damit das bei dieser Europameisterschaft so effizient wie möglich gelingt, arbeiten die Sicherheitskräfte mit einer neuen Software, die schon im Vorhinein Personenströme simulieren kann. ESCAPE Pro heißt dieses Initiativprojekt, koordiniert von Carsten Höfler vom Polizeipräsidium Stuttgart.
„Wenn ich vor dem Spiel als Trainer analysiere, wo der Gegner mir Räume anbietet, dann komme ich schneller vor's Tor. Und das ermöglicht im Fußball heutzutage natürlich Videodaten. Und das projizieren wir auf die Software-Simulation ESCAPE Pro: Wenn mir die Software aufzeigt, wie bei einer Entfluchtung die Personenströme verlaufen, dann weiß ich, welche Wege ich als Polizei gehen muss und welche nicht, um schnellstmöglich zum Einsatz zu kommen.“
Die Software wurde schon in den vergangenen Monaten bei mehreren Großereignissen getestet, für die Europameisterschaft werden an allen zehn Spielorten Simulationen erstellt.
Während des Turniers rechnen die Einsatzkräfte mit hunderttausenden Besuchern aus ganz Europa. In Stuttgart sollen vor allem die Fanfeste in der Innenstadt besser analysiert werden. Das deutsche Team trifft in der Schwaben-Metropole im zweiten Gruppenspiel auf Ungarn. Schon jetzt weiß die Polizei: Beide Fanlager planen sogenannte Fanwalks zum Stadion. Mithilfe der neuen Software kann jetzt genau ermittelt werden, wie lange sie dauern und wie sichergestellt werden kann, dass alle sicher und rechtzeitig am Stadion ankommen.
„Die Berechnung der Schrittgeschwindigkeit, die Betrachtung der baulichen und topographischen Gegebenheiten und die Raum-Zeit-Analyse, die kann kein Mensch kognitiv leisten. Und deswegen brauchen wir solche technischen Möglichkeiten.“

Fanrivalitäten könnten zum Problem werden

Was die Software noch nicht leisten kann: Die Simulation durch Echtzeitdaten zu aktualisieren und menschliches Verhalten zu kalkulieren. Gerade das könnte aber zum Problem werden, weil sich jede Fangruppierung anders verhält.
Das weiß auch Sicherheitsexperte Thomas Kubera: „Jetzt muss man sehen, dass Fußball natürlich immer noch ganz besonders gekennzeichnet ist von Fanrivalitäten.“ Thomas Kubera hat sich für das Handbuch intensiv damit auseinandergesetzt:
„Das heißt, es ist damit zu rechnen, dass, weil Deutschland in Europa für die Fangruppierungen gut erreichbar ist, es zum Aufeinandertreffen kommen wird der Fangruppierungen. Das muss nicht immer nur fröhlich sein, vielfach ist es so, Gott sei Dank, aber man muss auch damit rechnen, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen kann.“
Deshalb läuft seit Monaten auch ein intensiver Austausch mit internationalen Kolleginnen und Kollegen. Christian Dorn, der in Leipzig den Polizeieinsatz koordiniert: „Wir tauschen uns regelmäßig aus, zu anreisenden Fans und auch der Einschätzung dieser anreisenden Fans und deren Gefährdungspotenzial.“

Zentrale Koordinationsstelle für Sicherheit in Neuss eingerichtet

Aus allen Teilnehmerländern werden während der Europameisterschaft fußballerfahrene Sicherheitskräfte mit vor Ort sein. Zentral organisiert werden die Abläufe in einem extra eingerichteten Lagezentrum in Neuss. Entscheidend, findet Sicherheitsexperte Kubera, dass dort neben der Polizei-Koordinierung, auch weitere Bereiche zusammengezogen werden:
„Es geht um die Aspekte aus dem Bereich der Nachrichtendienste. Und dieses Gefüge, das ist schon in einem föderalen System der Bundesrepublik sehr komplex und bedarf sehr gut abgestimmter Kommunikationsstrukturen.“
Damit, sagt Thomas Kubera, seien alle Voraussetzungen dafür geschaffen, die Europameisterschaft zu einem sicheren Turnier zu machen. Carsten Höfler vom Polizeipräsidium Stuttgart ergänzt:
„Die Europameisterschaft ist für uns dann ein Erfolg als Polizei in Stuttgart, wenn wir als Polizei innerhalb der EM eigentlich keine große Rolle spielen. Wenn der Fokus auf dem Sport liegt, wir ein Sommermärchen 2.0 generieren können, und wir zwar mit einer starken Präsenz in Stuttgart aufhalten, aber für das tolle sportliche Ereignis keine Rolle spielen.“