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Pflegeheime und Pandemie
Was die Coronaregeln für Menschen in Altenheimen bedeuten

Zu Beginn der Corona-Pandemie galten in stationären Alten- und Pflegeheimen strenge Besuchsverbote. Manche Bewohner wurden wochenlang isoliert, um sie vor dem Coronavirus zu schützen. Doch vielen hat das geschadet: Sie leiden langfristig unter Depressionen, Desorientierung und Demenz.

Von Sonja Ernst und Christine Werner | 15.12.2021
Eine Bewohnerin eines Seniorenzentrums sitzt mit Mund-Nasen-Schutz in einem Rollstuhl hinter einer Fensterscheibe.
Alten- und Pflegeheime bedürfen in der Corona-Pandemie eines besonderen Schutzes (picture alliance/dpa)
"Genau, da habe ich ihr gerade die Haare geschnitten, das schreiben wir uns immer in der Familiengruppe. Ich muss mal in diese Zeit gehen, wo wir uns nicht richtig sehen durften."

Susanne Hermanns scrollt auf ihrem Smartphone durch den Familienchat. Sie zeigt Fotos ihrer Mutter. Die 86-Jährige ist an Demenz erkrankt und lebt seit zweieinhalb Jahren in einem Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt in Köln. Zu Beginn der Coronakrise in Deutschland, im Frühjahr 2020, als Alten- und Pflegeheime für Besucherinnen und Besucher geschlossen wurden, konnte auch Susanne Hermanns ihre Mutter fast zwei Monate lang nicht sehen; konnte nur mit ihr telefonieren.

„Ich habe ihr das immer wieder erklärt und immer: ‚Warum darf ich hier nicht raus? Warum können wir uns denn nicht sehen?’ Dann habe ich das erklärt: Ja, da ist dieses Virus. Corona, das ist ganz gefährlich. Vor allem für dich, weil du schon so alt bist. ‚Ach so, ja, ja, genau.’ Und eine halbe Stunde später hat sie mich das wieder gefragt. Und ich habe es noch mal erklärt.“

März 2020: teilweise völlig von der Außenwelt abgeriegelt

Ältere Menschen wie die Mutter von Susanne Hermanns haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf bei einer Corona-Infektion: Deshalb sollen sie vor einer Ansteckung möglichst gut geschützt werden – auch in stationären Pflegeeinrichtungen. Das galt insbesondere, als es noch keine Impfung gab. Am 22. März 2020 einigten sich Bund und Länder erstmals auf strenge Kontaktbeschränkungen. Die konkrete Umsetzung ist Sache der Länder: Sie erließen daraufhin unterschiedliche Corona-Schutzverordnungen, die auch Altenheime betrafen.

„Dazu gehörte dann die Schließung auch der Heime nach außen und die Kontaktreduzierung innen, das heißt also die Vermeidung des Zusammenkommens der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. Teilweise so weitgehend, dass jede/jeder in seinem Zimmer verbleiben musste, auch das Essen oft nur in den eigenen Bereichen, in dem eigenen Raum wahrgenommen werden konnte.“

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Adelheid Kuhlmey ist Gerontologin, also Alterswissenschaftlerin. „Das waren eigentlich diese massiven, ja, Auswirkungen der Gesetzeslage, die ja letztendlich die Bewohnerschaft der Heime völlig abriegelte von der Außenwelt.“ Kuhlmey leitet das Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Berliner Charité. Das Institut hat mit der Studie „Covid-Heim“ die Situation in deutschen Altenpflegeeinrichtungen während der Coronapandemie untersucht.

„Zu dieser Kontaktreduzierung gehörte der Abbau jeglicher gemeinschaftlicher Aktivitäten. Wie also zusammen singen, zusammen lesen, überhaupt zusammenkommen. Es gehörten dazu Kontaktbeschränkungen so wichtiger auch medizinisch-indizierter Dinge wie Physiotherapeuten hatten keinen Zugang, Psychotherapeuten hatten keinen Zugang, ja sogar der Zugang von Fachärztinnen und Fachärzten war eingeschränkt. Also die Studie zeigt ein Riesenarsenal an Einschränkungen in 2020.“

Gefühl von Isolationshaft

Solche Einschränkungen oder Besuchsverbote galten auch etwa in Krankenhäusern. An Altenheimen standen Angehörige wie Susanne Hermanns jedenfalls vor verschlossenen Türen. Viele wandten sich in dieser Situation an die BIVA, die „Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen“. Der Verein setzt sich für Pflegebedürftige ein. Während des ersten Lockdowns war er vor allem wegen seiner Rechtsberatung eine wichtige Anlaufstelle für die Angehörigen von Pflegebedürftigen. Ulrike Kempchen leitet die BIVA-Rechtsabteilung.

„Zunächst einmal war die große Frage: Dürfen die das überhaupt? Dürfen die einfach die Türen schließen und uns von unseren pflegebedürftigen Angehörigen fernhalten? Die nächsten Fragen und Sorgen waren dann auch: Was passiert denn jetzt mit den Angehörigen? Man hat vielleicht vorher Essen angereicht. Man hat viel Zeit verbracht bei den Angehörigen, hat die Pflege unterstützt, und es war klar: Diese Unterstützung von Angehörigen von außen fehlt jetzt.“

Auch Susanne Hermanns besucht ihre Mutter normalerweise mindestens einmal pro Woche; unterstützt auch in der Pflege. „Das sind so Kleinigkeiten, wenn ich da bin, dass ich immer die Fingernägel mache oder die Barthaare zupfe; so ein bisschen Hygiene-Sachen und so, das konnte ich halt alles nicht. Ich konnte nicht gucken, ob sie alles hat oder ob was fehlt. Und ja so – wofür man eben auch Angehörige hat.“

Im April 2020 startete die BIVA die Petition "Besuche bei Pflegeheimbewohnern möglich machen", innerhalb weniger Tage unterzeichneten knapp 25.000 Menschen. In der Telefonberatung schilderten Tausende verzweifelt die Situation, erzählt Ulrike Kempchen.

„Eine Betroffene sprach sogar von Isolationshaft und da spiegelt sich ganz gut das Empfinden wieder. Manche Heime haben es tatsächlich auch gehandhabt, die Menschen in ihrem Zimmer zu isolieren. Das heißt, es gab vier Wände in einem vielleicht 14 Quadratmeter großen Raum und mehr nicht. Und da fehlt absolut die seelische, die psychische, die soziale Ansprache.“

Studie: Zunahme von Einsamkeit, Verwirrung, Aggresionen, Depressionen

Die Besuchsverbote und der fehlende körperliche Kontakt hatten Folgen für die über 800.000 Bewohner stationärer Altenheime in Deutschland, das zeigt die Covid-Heim-Studie der Charité. Dafür wurden von November 2020 bis Februar 2021 bundesweit Heimleitungen und Mitarbeiter anonym online befragt sowie Krankenkassen-Daten der AOK einbezogen.
Das Ergebnis: Über 90 Prozent des Pflegepersonals bestätigten, dass die Schutzmaßnahmen Folgewirkungen für die Heimbewohner hatten. Am häufigsten – mit rund 82 Prozent – wurde Einsamkeit genannt. Desweiteren Rückzug und Verwirrung. Aber auch Aggressionen, Desorientierung sowie Depressionen nahmen zu. Der Versuch, Pflegebedürftige vor Corona zu schützen, habe langfristige Auswirkungen, so Adelheid Kuhlmey.

„Der hat Folgen mit Blick auf Einsamkeitsgefühle; mit Blick auf das, was wir auch vor der Pandemie wussten, dass Menschen, die isoliert werden, die sich einsam fühlen, immer großen Gesundheitsrisiken unterliegen. Und so war es natürlich auch hier bei dieser Gruppe Hochbetagter.“

Demente Menschen: besonders Körperkontakt enorm wichtig

In dieser Gruppe sind viele Menschen an Demenz erkrankt. Für sie sind Schutzregeln wie etwa Abstandhalten meist nicht nachvollziehbar. Und gerade Körperkontakt kann bei einer schweren Demenz ein wichtiges Kommunikationsmittel sein. Fehlt dieser Kontakt, können sich Krankheitsverläufe unumkehrbar verschlechtern.

„Die Gefahr, die nun sich auch bestätigt, war natürlich die, dass eine Isolation, dass das teilweise auch nicht Verstehen dieser Maßnahmen dazu führten, dass an Demenz Erkrankte Schübe bekamen, also demenzielle Prozesse sich schneller vollzogen.“

Mitte Mai 2020: Lockerungen der Schutzregeln - aber nicht überall

Ab Mitte Mai 2020 wurden die Corona-Schutzregeln angepasst. Je nach Bundesland unterschiedlich. Städte, Gemeinden sowie die Gesundheitsämter vor Ort agierten verschieden. Auch die Pflegeeinrichtungen selbst gingen mit der Situation unterschiedlich um. Manche Heime wurden kreativ, boten Video-Telefonie an, ermöglichten Fenster- und Balkon"besuche", bei denen Angehörige den Heimbewohnern mit Abstand begegnen konnten. Anderswo durften Angehörige die Pflegeheimbewohner hinter einer Plexiglasscheibe sehen.

„Das erste Mal durften wir sie besuchen zum Muttertag. Hier, so sah das dann aus. Und sie saß dahinten und hier hat sie dann gesagt: ‚Viele Grüße von der Mutter aus Linz.’ Aber du bist doch in Köln. ‚Ach ja, Köln.’“
Die Hand einer Seniorin berührt durch eine Glasscheibe hindurch die Hand einer Frau, die hinter der Scheibe mit Maske steht.
"Besuche" waren oft nur hinter der Plexischeibe möglich (imago / Westend61)
Auch Susanne Hermanns konnte ihre Mutter nach fast zwei Monaten zum ersten Mal wiedersehen, hinter einer Plexiglasscheibe. Ein wichtiges Angebot, aber für Demenzkranke nur bedingt hilfreich.

„Das Berühren, das Anfassen ist, glaube ich, bei Demenzkranken ganz wichtig. So diese körperliche Nähe auch. Und als ich sie dann irgendwann sehen durfte, durch so eine Plexiglasscheibe, das war dann so ein Moment, wo sie so aufstand, versuchte, mich zu umarmen, und dann war da diese Scheibe – das hat mir das Herz gebrochen. Ich musste mich dann immer total zusammenreißen, nicht direkt loszuheulen. Das habe ich dann hinterher gemacht.“

Andere Pflegeheime riegelten weiterhin ab: Besuche waren lange Zeit noch nicht möglich, Angehörige durften Bewohner auch nicht für Spaziergänge abholen.

Juni 2020: Rückendeckung für Heimleitungen, mehr soziale Kontakte zuzulassen

Im Juni 2020 hielt die Gesundheitsministerkonferenz in einer Resolution fest: Die Einrichtungen sollen ihre Spielräume nutzen. Damit bekamen die Heimleitungen Rückendeckung, mehr soziale Kontakte zuzulassen. Eine Forderung, der sich Andreas Westerfellhaus anschloss. Er ist seit 2018 der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung.

„Ich finde diejenigen, die diese Einrichtungen betreiben, die in diesen Einrichtungen arbeiten, sind Profis. Und von Profis erwarte ich, dass die Lösungen finden, auch immer unter dem Aspekt abwägen: Schutz des einen, aber auch auf der anderen Seite die Autonomie und die Eigenbestimmtheit des Menschen im Fokus zu haben. Das ist ein riesen Spannungsfeld. Das ist nicht einfach.“

Winter 2021: Wieder Einschränkungen in der vierten Welle

Auch wenn die Impfkampagne in den Altenheimen voranschreitet, stellt die mittlerweile vierte Pandemiewelle in Deutschland die Einrichtungen vor weitere Herausforderungen. Bewohner müssen zum Teil wieder mit weniger sozialen Kontakten auskommen – bis hin zur Isolation. Besuchsangebote für Angehörige werden wieder eingeschränkt. Ängste aus den vergangenen Pandmiewellen kommen wieder hoch, das wird deutlich etwa in Kommentaren von Angehörigen auf der Internetseite der BIVA:

„Ab sofort wieder eingeschränkte Besuchszeit – im Eingangsfoyer, zugig, laut, gegenüber zweiter Besuchstisch. Keine Privatsphäre, anstrengend für 87-jährige demente Mutter. Besuch auf Zimmer ab sofort generell untersagt. Fühle mich absolut hilflos und ausgeliefert.“

„Leider geht alles wieder von vorne los, so rief mich heute der Physiotherapeut meiner Mutter an, dass er nicht ins Pflegeheim dürfe, um mit meiner Mutter Krankengymnastik zu machen.“ -

„In Sachsen befindet sich mein Vater nun schon wieder seit Wochen in Einzelhaft, isoliert auf seinem Zimmer, weil auf einer anderen Station Corona nachgewiesen wurde. Er ist geimpft und geboostert. Wir dürfen ihn nicht sehen.“ -

„Meine Mutter hatte einen ambulanten Termin beim Hautarzt. Nach Rückkehr in das Pflegeheim durfte sie für sieben Tage ihr Zimmer nicht verlassen und keine Besucher empfangen, sprich sie wurde unter Quarantäne gestellt, und ohne dass sie irgendwelche Symptome hatte.“

„Ich darf jetzt geboostert – und meine Mutti auch – sie nicht mehr täglich besuchen. Das Besuchsverbot hat ein Trauma bei meiner Mutti und mir ausgelöst. Ich weiß jetzt auch: An Corona stirbt meine Mutti sicher nicht, aber an Vereinsamung, das ist für mich viel schlimmer.“

Testpflicht erschwert Zugang


Ein Grund für die wiederholten Einschränkungen: Seit dem 24. November müssen alle Besucher von Pflegeeinrichtungen, auch Geimpfte oder Genesene, einen tagesaktuellen Corona-Test vorlegen; die Einrichtungen müssen die Tests für Besucher anbieten. Das haben die Fraktionen von SPD, FDP und Grünen im Bundestag durch eine entsprechende Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Der Pflegeschutzbund BIVA begrüßt diese Regelung grundsätzlich. Knappes Personal in den Heimen führe aber teils zu einem mangelhaften Testangebot, kritisiert Rechtsberaterin Ulrike Kempchen. Und auf dem Land haben Angehörige nicht immer Zugang zu einem Bürgertest, teils muss das aufwändig organisiert werden.  
Ein Schild mit der Aufschrift "Wir trauern um unsere verstorbenen Bewohner und Bewohnerinnen steht am Eingang des "AWO-Seniorenzentrum "Rheindorf" gGmbH".
Ein Corona-Ausbruch in einem Seniorenzentrum ist tödlich - Isolation aber auch (dpa)

„Wir stellen fest, dass die Testzeiten sehr beschränkt sind. Und wenn sie keine Bürger-Testmöglichkeit haben, kommen Sie auch nicht ins Heim. Also wir haben durchaus Beschränkungen, in Anführungsstrichen, durch die Hintertür in manchen Fällen. Und das kratzt die Menschen. Das merkt man, das berührt sie. Sie haben Ängste, dass es wieder zu Schließungen kommt.“

Für dreifach Geimpfte - mit einer »Booster«-Impfung - fallen Testpflichten bei Corona-Zugangsregeln jetzt bundesweit weitgehend weg. Darauf haben sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern am 14. Dezember geeinigt. Für Krankenhäuser und Pflegeheime soll dies nicht gelten. Hier müssen Menschen - unabhängig vom Impfstatus - weiterhin einen negativen Corona-Test vorlegen. Zum Schutz besonders gefährdeter Personengruppen. Damit bleibt die Befürchtung bestehen, dass Besuchszeiten eingeschränkt werden, weil Einrichtungen erneut sehr unterschiedlich mit den Herausforderungen umgehen.

Langfristige Folgen für Bewohner

„Und hier Hofkonzert, da saß sie auf dem Balkon. Die pfeift immer direkt mit ... Que sera sera, what ever will be will be .... „

Susanne Hermanns findet es richtig, dass es die Verpflichtung zum Test gibt. Und das Heim, in dem ihre Mutter untergebracht ist, habe das auch gut organisiert, sagt sie. Sie vertraue den Pflegekräften zu 100 Prozent.

„Finde ich auch total in Ordnung. Und ich will auch, dass das überprüft wird, weil, das ärgert mich immer überall, wo ich nicht geprüft werde, weil dafür machen wir das ja auch. Ja genau. Und dann darf ich ins Zimmer, ich darf aber nicht in die Gemeinschaftsräume. Und ja, die schönen Sachen. Gestern hatten die Weihnachtssingen im Innenhof, da war ich vor zwei Jahren dabei und habe mitgesungen, und das dürfen wir alles nicht. Das ist so schade, weil das ist ja auch was, wo wir als Angehörige auch daran teilnehmen an diesem Leben im Heim. Wir kriegen das überhaupt nicht mit.“

Das Altenheim, in dem Susanne Hermanns Mutter lebt, gehört zu denen, die in den vergangenen Jahren aktiv mehr Teilhabe möglich machten. Angehörige wurden eingebunden, ebenso die Nachbarn, junge und alte, über gemeinsames Singen, Frühstücks-Aktionen und vieles mehr. Damit setzen Pflegeeinrichtungen das Recht auf soziale Teilhabe der Bewohner um. Doch das habe durch die Pandemie extrem gelitten, sagt die Gerontologin Adelheid Kuhlmey.

„Die kulturellen Veranstaltungen waren offen, auch für die Umgebung; die Häuser haben ja viel Fantasie, gerade in den letzten zehn Jahren, würde ich sagen, gehabt. Es wurde zur Normalität, dass sich so ein Heim auch nach außen öffnet. Das hat jetzt natürlich zwei Jahre lang einen absoluten Schlag ins Kontor erhalten.“
Eine Frau im Rollstuhl sitzt allein im Gemeinschaftsraum eines Altenheims.
Psychische und physische Folgen der Isolation bleiben langfristig (Picture Alliance / dpa / Monika Skolimowska)
Es wird dauern, bis in den Heimen wieder mehr Normalität und Miteinander möglich sind, aber es ist machbar. Andere Folgen, psychische und physische, sind hingegen für die Bewohner langfristig.

„Insgesamt ist natürlich dann ein nicht mehr vorhandener Lebenswille schwer wieder aufzubauen, und wir gehen stark davon aus, dass natürlich diese Folgeerscheinung gerade auch in einer solchen Generation, die heute hochbetagt ist, nicht einfach wieder zu nivellieren ist. Von daher ist meine, ist unsere Forderung aus all den Erfahrungen unserer Studien auch: Das darf so nie wieder passieren.“

Denn die Maßnahmen hatten deutliche gesundheitliche Folgen für die Pflegebedürftigen, insbesondere psychische Belastungen. Auch die Politik hat daraus gelernt. Absolute Besuchsverbote sollen keine Option mehr sein. Das aktuelle Infektionsschutzgesetz und die Länderverordnungen sehen keine absoluten Besuchsverbote mehr vor.

Stationäre Langzeitpflege auf dem Prüfstand

Die Mutter von Susanne Hermanns ist bis jetzt relativ gut durch die Pandemie gekommen. Sie hat sogar eine Corona-Infektion weggesteckt und fühlt sich in dem Heim wohl. Susanne Hermanns ist hin- und hergerissen. Sie weiß, dass ältere Menschen geschützt werden müssen, sagt aber auch: Isolation darf es nicht mehr geben.

 „Das haben wir ja gesehen, wozu das geführt hat. Und meine Mutter ist da vielleicht noch eine der Stabileren, die das psychisch besser weggesteckt hat als andere, die dann völlig depressiv wurden. Ich weiß nicht, was richtig ist. Ich möchte auch nicht in der Haut stecken, derer, die das in dem Heim entscheiden müssen und im Kontakt mit denen kriege ich auch mit, wie schwer das für die ist.“

Unabhängig von den aktuellen Herausforderungen sollte die Pandemie aber auch genutzt werden, um endlich Fragen rund um stationäre Langzeitpflege zu debattieren und Lösungen zu entwickeln, fordert Adelheid Kuhlmey von der Charité. Vor allem im Hinblick darauf, dass mit der Babyboomer-Generation die Zahl der Pflegebedürftigen, auch in Heimen, wachsen wird.

„Dass wir jetzt einfach die kommenden Jahre nutzen, um zu überlegen, wie soll dieses Segment der Langzeitpflege, der Langzeitversorgung, eigentlich für die nächsten Jahrzehnte ausgestaltet sein? Lasst uns nicht immer mehr vom immer gleichen machen, lasst uns überlegen, wie wir diese Angebote diversifizieren. Das wäre mein Appell und mein Wunsch, dass wir das hinbekommen.“
Pflegerin Susi Weber im Seniorenhaus St. Angela Bornheim (Nordrhein-Westfalen) am 28.05.2013 mit Bewohner Jakob Theis. Täglich müssen Pflegekräfte in Seniorenheimen ihre Tätigkeiten in der Pflegedokumentation dokumentieren.
Lehren aus der Pandemie: Mehr Personal, Weiterbildungen, öffentlicher Diskurs (imago / epd)

Dafür braucht es ausreichend Personal, das gute Pflege garantiert – auch in Krisenzeiten. Es braucht Weiterbildungen und regelmäßig Schulungen, damit Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie aufbereitet werden: Es waren eher kleine Einrichtungen, die flexibler und teils besser reagieren konnten. Ebenso größere Häuser, die früh kleine und familiäre Einheiten bildeten, in denen immer dieselben Bewohner und Pflegekräfte Kontakt miteinander hatten.
Der Pflegebevollmächtigte Andreas Westerfellhaus fordert endlich einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, wie Pflege künftig aussehen soll. „Es ist so ein Thema, wo auch Gesellschaft sagt, das dränge ich mal weg, vielleicht erwischt es mich nicht. Und dann passiert es aber. Das heißt, es kann uns immer treffen. Deswegen ist die Gesellschaft mitverantwortlich zu gucken: Wie stellen wir uns dann, wenn es eintritt, das vor?“