Samstag, 27. April 2024

Prozess in München
Fußballtrainer gesteht schwere Übergriffe

Es ist ein Fall seltenen Ausmaßes: Einem Fußballtrainer aus Bayern wirft die Staatsanwaltschaft München I sexuelle Gewalt und zum Teil Vergewaltigung 30 junger Fußballer vor. Der Angeklagte hat die Taten gestanden - aber keine Reue gezeigt.

Von Andrea Schültke | 21.01.2024
Der Schriftzug "Landgericht München I" vor dem Eingang des Gebäudes.
Ein Fußballtrainer aus Bayern muss sich vor dem Landgericht München I wegen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs verantworten. (IMAGO / Heike Schreiber-Braun)
Das Ausmaß der schweren Übergriffe erschüttert. Laurent Lafleur, Pressesprecher des Landgerichts München I, spricht von 944 Fällen, die die Anklage auflistet: „Ich glaube, was diesen Fall schon außergewöhnlich macht, ist die Anzahl der Fälle. Hier kann ich mich tatsächlich konkret nicht an einen Fall erinnern, der einen solchen Umfang angenommen hätte“, sagt Lafleur, der auch als Richter am Oberlandesgericht München arbeitet.
Tatsächlich ist selten ein Fall im Sport mit diesem Ausmaß bekannt geworden. Zuletzt hatte das Landgericht Hagen einen Judotrainer wegen 685 Straftaten verurteilt. Er hatte sich über einen Tatzeitraum von 20 Jahren an seinen Judoschülern vergangen.

Trainer an vielen Orten im Einsatz

Die Staatsanwaltschaft München I hat die Anklage im Fall des Fußballtrainers auf einen Tatzeitraum von sechs Jahren konzentriert. In dieser Zeit war der Beschuldigte unter anderem Trainer bei Vereinen aus dem Münchener Umland. Davor war der Angeklagte auch für einen Profiverein tätig. Und auch der Bayerische Fußballverband bestätigt auf Anfrage des Deutschlandfunks, dass der Beschuldigte im Auftrag des Verbandes im Einsatz war: als Trainer einer Leistungssportklasse an einer Eliteschule des Fußballs.
„Umgehend nach Bekanntwerden der gegen den Trainer erhobenen Vorwürfe hat der Bayerische Fußballverband die Zusammenarbeit beendet und kooperiert ebenso wie die Schule vollumfänglich mit den Ermittlungsbehörden. Im Zusammenhang mit der Trainertätigkeit in Leistungssportklassen ist dem BfV bis heute kein Fall bekannt. Auch wurde uns kein Fall gemeldet“, betont Fabian Frühwirth vom Bayerischen Fußballverband.

Bei Anklage abwägen

„Wir haben natürlich auch an anderen Einsatzorten des Jugendtrainers intensiv ermittelt. Wir müssen aber natürlich auch abwägen, was wir dann am Ende anklagen. Da kann zum Beispiel eine Rolle spielen, ob die Geschädigten überhaupt in der Lage wären, so einem Prozess durchzustehen und in so einem Prozess auszusagen“, erläutert Anne Leiding, Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I das Vorgehen der Behörde. Sie bestätigt: Es gibt mehr Betroffene als in der Anklage aufgeführt.

Bestehendes Vertrauen ausgenutzt

Offenbar hat der Trainer das zwischen ihm und den Spielern bestehende Macht- und Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt. Laut Anklage befanden sich die jungen Athleten im Tatzeitraum in einer Lebensphase, in der Fußball „das Wichtigste überhaupt darstellte.“ Sie seien stolz gewesen, „unter dem Angeklagten trainieren zu dürfen, da dieser als fußballerisch hochklassig galt und schon Profis trainiert hatte.“
Auch deshalb könnten die jungen Spieler die Handlungen des Trainers so wahrgenommen haben, als sei das im Fußball üblich. Laut Anklageschrift fanden die sexuellen Übergriffe entweder in der Kabine statt, während Trainingslagern im Hotelzimmer oder auch im Privathaus des Trainers.

Täterstrategie: Physiotherapeutische Behandlung

„Er soll ihnen dann vorgetäuscht haben, auch als Physiotherapeut tätig zu sein und hat dann die sexuellen Handlungen als vermeintliche physiotherapeutische Handlungen oder Behandlungen verkauft“, beschreibt Gerichtssprecher Laurent Lafleur die Täterstrategie.
Es soll auch zu Taten gekommen sein, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind. Auch diese habe der Trainer den Spielern gegenüber als physiotherapeutische Behandlungsmethode erklärt.
Genau das hatte auch der US-Arzt Larry Nasser seinen Schützlingen vorgegaukelt. Als Mediziner des US-Turnteams hatte er über Jahre hinweg zahlreiche Athletinnen, darunter auch Olympiasiegerinnen, unter dem Vorwand einer physiotherapeutischen Behandlung sexuell missbraucht. Dafür hat ihn ein US-Gericht 2018 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Auf Schmerzen nicht reagiert

Diese Parallele zeigt einmal mehr, wie strategisch Täter vorgehen. Und dass sie den Sport benutzen, um sich den Betroffenen auf unverfängliche Weise zu nähern und gezielt die Taten zu begehen.
Wie im Fall des Fußballtrainers aus München: „Bei den Straftaten handelt es sich insbesondere um den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, teilweise aber auch Vergewaltigung sowie Körperverletzung“, so Laurent Lafleur, Sprecher des LG München I.
Der jüngste Betroffene war zur Tatzeit 13 Jahre alt, also ein Kind. Die anderen betroffenen Fußballer waren im Teenageralter oder auch bereits volljährig.
Aus der Anklage geht hervor, dass einige der betroffenen Spieler während der Taten Schmerzen hatten und das auch deutlich gemacht haben. Dennoch habe der Angeklagte seine strafbaren Handlungen fortgesetzt.
Aufgrund der Schwere der Taten stand für die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von mindestens elf Jahren im Raum, bestätigt Anne Leiding. Dann habe sich die Behörde aber doch auf einen sogenannten Deal eingelassen, den die Verteidigung des Angeklagten vorgeschlagen hatte: Geständnis des Beschuldigten dafür mildere Haftstrafe.

Schutz der Betroffenen überwiegt

„Dieser Deal ist nicht das, was die Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren erreichen wollte. Der Deal schützt aber die Opfer, indem er sie eben vor weiteren Aussagen bewahrt, die das Gericht als notwendig erachtet hätte, wenn es dieses Geständnis nicht gegeben hätte. Und dann müssen wir seitens der Staatsanwaltschaft natürlich auch abwägen. Und hier überwiegt dann eben der Schutz der Opfer, das Bestreben der Staatsanwaltschaft, eine höhere Freiheitsstrafe für den Angeklagten zu erreichen", sagte Leiding.

Maximal acht Jahre Haft nach Geständnis

Jetzt geht es wohl um eine Haftstrafe zwischen sieben und acht Jahren. Das Urteil könnte Ende Februar fallen.
Der Verteidiger habe ein knappes Geständnis des Trainers verlesen, dass die Taten so stattgefunden haben, wie von der Staatsanwaltschaft angeklagt, und er sie auch genauso ausführen wollte. Minimalgeständnis nennt Anne Leiding das und ergänzt: "Über die Verteidigererklärung hinaus hat der Angeklagte nichts von wegen Reue oder Entschuldigung gesagt."
Dabei sei an dem Prozesstag der Vater eines Spielers im Gerichtssaal gewesen. Diese Gelegenheit, um Verzeihung zu bitten, habe der Angeklagte verstreichen lassen.
Betroffene sexualisierter Gewalt nehmen Zeichen der Reue unterschiedlich auf. Manche haben unter anderem in Interviews mit dem Deutschlandfunk geschildert, es sei ihnen wichtig, dass auf diese Weise die geschehenen Taten anerkannt würden. Andere hatten betont, das Leid, das ihnen angetan worden sei, könne nie vergeben werden.