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Gesprächsreihe
nah und fern

Nähe und Distanz sind keine feststehenden Größen. Wo das eine aufhört und das andere beginnt, empfindet jeder anders. Und jede Disziplin, jede Kunstgattung geht auf ihre Weise damit um. Im Corona-Sommer 2020 blicken wir aus anderer Perspektive auf Abstandhalten und Annäherung.

    In einer Glaskugel spiegelt sich die Adriaküste, die im Hintergrund nur unscharf zu sehen ist.
    Ganz nah dran oder endlos weit weg - es ist alles eine Frage der Perspektive (imago images / Shotshop)
    Alle Gespräche aus unserer Sommerreihe "nah und fern" finden Sie hier:
    Kunsthändler Tobias Meyer über den Reiz teurer Bilder
    Reiche Sammler und Sammlerinnen hängen sich die Stars der Szene ins heimische Wohnzimmer. Ihre Motivation ist häufig ähnlich: "Sie möchten an der Großartigkeit dieses Kunstwerks teilhaben".
    Historiker Axel Drecoll über Gedenkstätten Orte seien so etwas wie Garanten des "Hier ist es gewesen", sagte Axel Drecoll im Dlf. Dazu sei das persönliche Gespräch mit Überlebenden oder Familienangehörigen eine Konfrontation mit dem menschlichen Gegenüber.
    Leonardo da Vincis (1452-1519) Zeichnung "Vitruvianischer Mensch" (um 1490) zeigt einen Mann, der die idealisierten Proportionen besitzt, welche der antike Architekt und Ingenieur Vitruv formulierte.
    Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer über Wissen und Geheimnis der Naturwissenschaften Wissenschaft sei uns nah und fern zugleich, sagte Ernst Peter Fischer im Dlf. Menschen nutzten die Ergebnisse der Wissenschaft zwar täglich, allerdings oft ohne darüber nachzudenken oder sie zu verstehen.
    Ein Pärchen im Museum betrachtet die Wasserlilien von Claude Monet.
    Kunsthistoriker über impressionistische Kunst Beim Betrachten impressionistischer Gemälde empfiehlt es sich, zwischen Nah- und Gesamtsicht zu wechseln, sagte Bernhard Maaz von den Bayerischen Staatsgemälde-Sammlungen im Dlf. Das unterscheide den Museumsbesuch vom Digitalen.
    Während der Corona-Pandemie trägt auch die Beethoven-Statue in Bonn einen Mundschutz, 28.04.2020
    Malte Boecker über Beethovens Werk als Spiegel seiner Epoche Es sei ein Trugschluss, dass man Beethoven kenne, sagte Malte Boecker, Direktor des Bonner Beethoven-Hauses, im Dlf. Im Jubiläumsjahr will er zeigen, "dass Beethoven sich mit der Politik seiner Zeit auseinandergesetzt hat".
    Die Schauspielerin Lina Beckmann zu Gast in der WDR Talkshow Kölner Treff am 02.03.2018 in Köln.
    Schauspielerin Lina Beckmann über Rollen Lina Beckmann war "Schauspielerin des Jahres" und wurde beim Berliner Theatertreffen ausgezeichnet. Sie spielt oft zerrissene, schwierige Charaktere. Viele lässt sie dicht an sich heran, anderen kommt sie trotz Distanz sehr nah.
    Der Fotokünstler Thomas Ruff bei einer Ausstellung in Toronto 2016
    Künstler Thomas Ruff über Weltraumbilder Bei ihm gebe es "das Fernste und das Naheste", sagt Thomas Ruff über seine Arbeit. Seit vielen Jahren ist er einer der wichtigsten Fotokünstler der Gegenwart. Zu seinen bekanntesten Serien gehören die Bilder von fernen Sternenwelten.
    Lukas Bärfuss, Schweizer Schriftsteller und Dramaturg auf der Buchmesse Frankfurt 2019
    Autor Lukas Bärfuss über das irreführende Image der Schweiz In der Schweiz nehme man die Dinge sehr persönlich, in einem kleinen Land begegne man sich stets wieder. Die große Nähe mache also Kritik schwierig, auch weil es eine große Verbandelung in den sozialen Biotopen gebe. Das politische System sei auf Kompromiss ausgelegt, man sei zum Ausgleich gezwungen. Zugleich sei die Schweiz längt multikulturell und globalisiert mit vielen Verbindungen in die Ferne. Die Betonung des Schweizerischen, der Traditionen und Eigenheiten sei auch eine Kompensation dieser Entwicklung. Der Schweizer Lukas Bärfuss ist Schriftsteller und Theatermacher. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und Träger des Georg-Büchner-Preises.
    Merkel spricht mit Trump während Macron, Abe und Bolton zuhören.
    Historiker Simon Wendt über die deutsch-amerikanische Freundschaft Die deutsch-amerikanische Freundschaft ist historisch gewachsen. Aber die Basis bröckelt gerade, sagte der Historiker Simon Wendt im Dlf. Mit der kommenden Präsidentschaftswahl könne sich das aber wieder ändern.


    Portrait von Robert Seethaler, der sein Gesicht zur Hälfte hinter einer Tür versteckt.
    Schriftsteller Robert Seethaler über Lesungen Der Bestseller-Autor Robert Seethaler steht nicht gerne im Rampenlicht. Dennoch sind Lesereisen für ihn ein wichtiger Teil seines Berufs. Der direkte Austausch mit seinem Publikum sei immer wieder "schön und berührend", sagte er im Dlf.
    Dirigent Markus Poschner übers Musizieren auf Abstand Nach einer langen Phase der Unsicherheit sei für die Orchester in Österreich nun klar, was Nähe und Ferne im Orchestergraben und im Zuschauerraum bedeuteten. Für den Augenblick seien Kammermusik oder Bearbeitungen für kleinere Ensembles eine Option, aber langfristig müsse das Werk die Besetzung vorgeben. Das Musizieren lebe von der Nähe, vom gemeinsamen Atmen, Distanz und Ferne könne man da nicht lange aushalten. Und die Kunst fördere auch die Nähe, die Gemeinschaft wie eine Art Klebstoff, sagte der Dirigent des Linzer Bruckner Orchesters im DLF. Markus Poschner hat an der Hochschule für Musik in München studiert, war Kapellmeister der Komischen Oper Berlin und Generalmusikdirektor in Bremen, bevor er 2017 als Chefdirigent nach Linz ging.
    Marina Weisband in der ARD-Talkshow hart aber fair im WDR Fernsehstudio A. Köln, 10.02.2020
    Netzexpertin Marina Weisband über digitale Nähe und Ferne im Internet Ihre Heimat ist das Internet, meint Marina Weisband. Sie war Gesicht der Piraten-Partei und ist heute Expertin für digitale Themen. Das Netz sei ein Raum für Nähe und Distanz, eine Art "Wohnzimmer". Dort äußert sie sich politisch, trifft aber auch ihre Familie.
    Schriftstellerin Ulrike Draesner sitz auf einem Podium und spricht zum Publikum.
    Schriftstellerin Ulrike Draesner über Ausgrenzung "Auch Menschen, die keine Rassisten sind, sprechen englisch mit meiner Tochter", sagt Ulrike Draesner über ihr "nicht grünäugiges" Kind. Hautfarbe ist für sie eine "Sekundeninformation" – und ein Attribut, dem wir eine zu große Bedeutung zuschrieben. Stattdessen sollte man über eigene Klischees nachdenken: "Eine gute Absicht ist eine wirklich gute Absicht nur dann, wenn sie sich auch in die Kommunikationsformen übersetzt hat." Ulrike Draesner ist Schriftstellerin und schreibt Lyrik, Romane, Essays, Novellen und andere Prosa. Sie selbst würde ihr Metier als ‚Menschenforschung durch Sprache‘ bezeichnen.
    Die Urbanistin und Architekturhistorikerin Turit Fröbe
    Architekturhistorikerin Turit Fröbe über "Alltagsarchitektur" Für viele muss Architektur immer spektakulär sein, wie etwa der Mailänder Dom. Dabei ist es der Häuserblock um die Ecke, der das Verständnis für Bauten schult und auch ein Gefühl für ferne kunstvolle Häuser schafft.
    Literaturwissenschaftler Christian Metz über die ambivalente Kulturtechnik des Kitzelns Kitzeln erzeugt extreme Gefühle: Lust und lautes Lachen, aber auch Abwehr, Scham oder Schmerz. Und es ermöglicht, Nähe und Distanz im selben Augenblick erleben zu können, beschreibt Buchautor Christian Metz im Dlf.
    Thalia-Kinos Babelsberg: Der Filmregisseur Andreas Dresen
    Andreas Dresen über die DDR - "Ich kann mit Ostalgie herzlich wenig anfangen" Mit wachsendem Abstand werde es leichter, sich über historische Ereignisse zu unterhalten, meint der ostdeutsche Regisseur Andreas Dresen. Dabei sei es durchaus hilfreich, sich mit einzelnen Biographien auseinanderzusetzen.
    Berlin Tempelhof, Luftaufnahme des Zentralflughafens in Berlin, ca.1935
AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT!
    Archäologe Reinhard Bernbeck über zeitgenössische Archäologie
    Vom Alltag der Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus ist wenig bekannt. Reinhard Bernbeck sucht nach Spuren: So zeigen etwa Flaschenverschlüsse auf dem Tempelhofer Feld, was die Menschen damals getrunken hätten.
    Ein Mann mit grauen Haaren und einer Brille sitzt auf einem Sofa.
    Historiker Tillmann Bendikowski über die "Deutsche Frage"
    Was haben die Gründung des Deutschen Kaiserreichs und die Wiedervereinigung miteinander zu tun? Und was können wir aus der Vergangenheit lernen? "Vielleicht wäre es den Deutschen besser ergangen, wenn sie nicht ständig auf die Einheit geguckt hätten wie das Kaninchen auf die Schlange", sagt der Historiker Tillman Bendikowski. "Deutschland hatte immer schon viel mehr zu bieten, als die deutsche Einheit." Tillmann Bendikowski ist ein deutscher Journalist und Historiker. Zu seinen Büchern zählen "Der Tag, an dem Deutschland entstand. Die Geschichte der Varusschlacht" und "Friedrich der Große".
    Siegessäule Berlin - Lorbeerkranz der Viktoria
    Altphilologin Melanie Möller zu neuen Cäsaren Populisten und Autokraten gab es schon im Römischen Reich. Trump, Bolsonaro, Putin, Orbán und andere – der Typus der "neuen Cäsaren" wird entweder bewundert oder gehasst. Kein neues Phänomen, sagt Melanie Möller.
    Der deutsche Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski in seinem Wohnhaus in Badenweiler (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald).
    Rüdiger Safranski über Reisen in die Vergangenheit "Nah" und "fern" sind nicht nur räumliche Begriffe. Mit der Zeit rückt auch die Vergangenheit in immer weitere Ferne. Einer, der die Brücke in unsere Zeit schlägt, ist der Schriftsteller und Biograf Rüdiger Safranski.
    Filmemacherin Corinna Belz - "Distanzlosigkeit ist nicht meine Art zu arbeiten" Zwischen Close-up und Totale: Die Filmemacherin Corinna Belz kommt berühmten Künstlern mit der Kamera sehr nahe. Das gelinge aber nur, weil sie die Grenzen der Porträtierten akzeptiere.
    Annika Reich bei einer Lesung in Berlin aus ihrem Roman "Die Nächte auf ihrer Seite"  
    Schriftstellerin Annika Reich über das Schreiben in der Fremde
    Annika Reich wurde 2015 Mitgründerin der Initiative "Weiter Schreiben" für geflüchtete Autor*innen. Im Dlf berichtet sie unter anderem davon, wie Nähe und Ferne das Schreiben beeinflussen.
    Die Journalistin und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth von Thadden auf dem 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund am 22.06.2019
    Sachbuchautorin Elisabeth von Thadden über die "berührungslose Gesellschaft" Für sie hat das Wort "Berühren" zwei Gesichter: "Menschen wollen einander nah sein, aber sie wollen nicht verletzt werden dabei." Ein Verdienst der Moderne sei, dass innerhalb einer Gesellschaft alle das Recht hätten, nicht berührt zu werden. Thadden warnt aber auch davor, dass der schutzlose Mensch ohne Berührung eingehe. Elisabeth von Thadden ist ZEIT-Redakteurin und Autorin des Sachbuchs "Die berührungslose Gesellschaft".
    Die Autorin Barbara Stollberg-Rilinger wird am 23.03.2017 auf der Buchmesse in Leipzig (Sachsen) mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik ausgezeichnet.
    Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger über Geschichtsdeutung
    "Es ist mit der Geschichte wie mit einem Vexierbild", sagt Stollberg-Rilinger. "Jede Epoche kann man als eher fern und eher nah wahrnehmen", abhängig davon, ob man nach den Gemeinsamkeiten sucht oder nach den Unterschieden. Sie plädiert dafür, Historisches erst einmal in seiner Fremdheit wahrzunehmen - Irritation sei immer der Anfang von Wissenschaft. Barbara Stollberg-Rilinger hat eine Professur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und ist Rektorin des Wissenschaftskollegs in Berlin