IOC-Präsident Thomas Bach steht einer Rückkehr russischer Sportlerinnen und Sportler in den Weltsport offen gegenüber. Es entspreche "nicht den Werten und der Mission der olympischen Charta, Athleten aufgrund ihres Passes auszuschließen", sagte Bach am Rande der Rodel-WM in Oberhof.
Die Mission des IOC sei, Athleten aus der ganzen Welt zusammenzubringen, "gerade dann, wenn deren Länder im Konflikt sind", erklärte Bach im ZDF. Mit Blick auf Olympia 2024 in Paris und das dortige Teilnehmerfeld sei man aber erst "am Beginn sehr ausführlicher Konsultationen". Russland und Belarus sind seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vom Weltsport weitestgehend ausgeschlossen.
"Wir stellen immer wieder die Athleten in den Vordergrund"
Im Deutschlandfunk reagierte Andreas Michelmann, Präsident des Deutschen Handballbunds (DHB), auf die angestoßene Diskussion. Zwar biete der Angriffskrieg durch Russland, unterstützt durch Belarus, keinerlei Rechtfertigung, sagte Michelmann im Dlf.
"Wir stellen aber immer wieder die Athleten in den Vordergrund, deswegen halte ich die Entscheidung des IOC für nachvollziehbar", führte der Handballfunktionär aus.
Es gehe um neutrale Sportler, die nicht für die Politik ihres Landes verantwortlich gemacht werden könnten. "Wenn ich es ernst nehme, dass es im Kern um die Athleten geht, muss ich die Athleten trennen von den Staaten", sagte Michelmann im Dlf. Sanktionen gegen Staaten seien richtig, nicht aber gegen Sportler.
Menschenrechte und Nicht-Diskriminierung
Auch IOC-Präsident Bach hatte in die ähnliche Richtung argumentiert. Athleten alleine aufgrund ihres Passes auszuschließen, genüge nicht den Menschenrechtsanforderungen, sagte er. Die Anforderung der Nicht-Diskriminierung sei auch Gegenstand der olympischen Charta.
IOC-Präsident Bach zufolge gibt es international eine große Unterstützung für den Kurs des olympischen Dachverbands. "Diese Überlegungen werden getragen - weltweit, durch eine riesengroße Mehrheit", sagte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees dem ZDF.
Der Dachverband aller nationalen Olympischen Komitees unterstützt den neuen Kurs des IOC. Auch bei den Asienspielen, die als Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 in Paris gelten, dürfen neutrale Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus teilnehmen.
Ukraine erwägt Olympia-Boykott
Es sei dann Sache der Veranstalter und Wettkampforganisatoren, dafür zu sorgen, dass neutrale Athleten nicht als Sportler ihres Heimatslands zu erkennen sind, sagte Sportfunktionär Michelmann. "Das kann ja nicht so schwer sein".
Schon 2022 musste Russland wegen des Dopingskandals "neutrale Athleten" auch zu den Winterspielen nach Peking 2022 schicken. Einige von ihnen zeigten sich nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs im März 2022 weniger neutral mit ihren Medaillen bei einer Propaganda-Veranstaltung Putins im Moskauer Luschnikistadion, einige mit dem Kriegssymbol "Z" auf der Jacke.
Sollte es einen Start russischer Athleten als neutrale Athleten bei den Sommerspielen 2024 geben, erwägt die Ukraine einen Boykott. Eine Entscheidung darüber könnte bereits kommende Woche fallen. Russland müsse den Terror stoppen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Ansprache, erst dann könne man über Teilnahme Russlands sprechen.
Selenskyj: "Ich lade Herrn Bach nach Bachmut ein"
Selenskyj lud Bach zudem in die aktuell besonders umkämpfte ostukrainische Stadt Bachmut ein, um sich ein Bild von der Zerstörung zu machen. "Damit er mit eigenen Augen sieht, dass Neutralität nicht existiert."
Ukrainische Sportler müssten heute vor der russischen Aggression das Leben ihrer Angehörigen retten. Durch die russischen Angriffe seien viele Ukrainerinnen und Ukrainer getötet worden, die den Weltsport mit ihrem Talent hätten bereichern können.
Innenministerium könnte Verbänden keine Reisekosten mehr erstatten
Ein angekündigter Boykott der Ukraine sei angesichts der Lage ein nachvollziehbarer Schritt, sagte Michelmann. Einen möglichen Olympia-Boykott Deutschlands - im Falle einer Olympia-Teilnahme von russischen Sportlern - bezeichnete Michelmann im Deutschlandfunk aber für die falsche Diskussion.
Ein Problem für die deutschen Verbände könnte allerdings die Haltung des Bundes-Innenministerium sein. "Der Sport sollte in seiner in seiner Verurteilung des brutalen Krieges, den Putin gegen die ukrainische Zivilbevölkerung führt, klar sein", hatte Innenministerin Nancy Faeser der FAZ gesagt. Eine Rückkehr Russland sei aktuell der völlig falsche Weg.
Das Innenministerim zahlt für die Verbände Reisekosten zu internationalen Wettbewerben, seit dem Überfall auf die Ukraine aber nur dann, wenn keine russischen oder belarussischen Athletinnen oder Athleten teilnehmen. Deutsche Großmeister im Schach müssen ihre Reisen daher aktuell selbst finanzieren, weil der Schach-Verband Russland und Belarus nicht ausgeschlossen hat.
"Das ist eine Diskussion, die wir führen müssen", sagte Michelmann dazu.