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1672 gestorben
Franciscus Sylvius, Pionier der wissenschaftlichen Medizin

Vor Franciscus Sylvius beruhte Medizin noch viel auf den Theorien der Altvorderen. Er selbst verließ sich dagegen lieber auf eigene Erfahrung und Anschauung am Krankenbett. Vor 350 Jahren starb der einflussreiche Verfechter einer empirischen Medizin.

Von Monika Dittrich | 14.11.2022
Ein Druck, der Franciscus Sylvius im Porträt zeigt. Der Mediziner wurde 1614 als Franz de la Boe in Hanau geboren.
Der Mediziner Franciscus Sylvius wurde 1614 als Franz de la Boe geboren (picture-alliance / Mary Evans Picture Library)
Gegen Sodbrennen und Magendrücken habe er seinen Patienten einen eigens hergestellten Wacholderschnaps verordnet: Das erzählt man sich bis heute über Franciscus Sylvius. Weshalb er auch als Erfinder von Genever und Gin gehandelt wird.
„Das ist einfach eine Geschichte, die zu schön ist, als dass man sie ausrotten könnte! Aber sie ist völlig falsch", sagt der Medizinhistoriker Michael Stolberg. Denn der Wacholderschnaps war zu jener Zeit längst erfunden und Franciscus Sylvius dürfte nicht der erste gewesen sein, der ihn als Arzneimittel einsetzte.
Sein Ruf als herausragender Mediziner des 17. Jahrhunderts basiert also nicht auf der Erfindung eines alkoholischen Getränks, sondern auf seinem Engagement für eine naturwissenschaftliche Heilkunde: „Ich habe gezeigt, dass ich mich dreierlei Arten von Erfahrungswissen bediene, nämlich anatomischem, chemischem und praktischem."
„Er war sicher einer der dezidiertesten Verfechter einer stark empirisch, auf Beobachtung beruhenden Medizin. Die hat er weiterentwickelt und auch sicherlich vielen Studenten dann mit Nachdruck beigebracht, dass man sich vor allem auf Beobachtungen am Krankenbett verlassen muss und nicht so sehr auf die Theorien der alten Ärzte.“

Mehr Wissenschaftsgeschichte

Klinischer Unterricht am Patientenbett

Franciscus Sylvius kommt 1614 als Franz de le Boe in Hanau zur Welt. Seine Eltern sind Hugenotten, sie hatten ihre Heimat in Südflandern wegen religiöser Verfolgung verlassen. Er studiert Medizin, wird in Basel promoviert, praktiziert und lehrt eine Weile in Amsterdam. Seinen Namen hat er da bereits - wie es in Gelehrtenkreisen verbreitet war - latinisiert: Aus „Boe“, das vermutlich vom französischen „Bois“ für Holz kam, macht er Sylvius - abgeleitet vom lateinischen Wort „Silva“ für Wald.
1658 wird Franciscus Sylvius Professor im niederländischen Leiden, an der zu dieser Zeit besten Universität für Medizin in ganz Europa. Und dort macht Sylvius von sich reden – als innovativer Lehrer. Michael Stolberg:
„Er war der Erste, der dann wirklich auch die Studenten täglich an die Betten geführt hat, zu den Patienten, und damit konnten die Studenten nicht nur verschiedene Krankheitsbilder kennenlernen, sondern sie konnten auch den Verlauf der Krankheiten beobachten und besser sehen, wie auch die Medikamente gewirkt haben, die Sylvius verschrieben hat. Und das hatte zur Folge, dass zahllose, hunderte Studenten nach Leiden kamen, weil sie diesen klinischen Unterricht genießen wollten.“

Neugier endet nicht mit dem Tod des Patienten

Sylvius interessiert sich aber nicht nur für die Kranken, sondern auch für die Toten, sagt Michael Stolberg: „Wenn Patienten gestorben waren, hat er sie häufig seziert oder auch sezieren lassen, um zu schauen, welche Veränderungen hat diese spezifische Krankheit im Körper hinterlassen.“
Er beschreibt anatomische Strukturen; eine Furche des Gehirns ist nach ihm benannt. Er vermutet auch bereits richtig, dass die Bauchspeicheldrüse Verdauungssäfte produziert. Und er versteht den menschlichen Körper als chemisches Labor. Michael Stolberg:
„Wenn man es kurz zusammenfassen will, war seine Grundidee, dass alle physiologischen Prozesse im menschlichen Körper auf Fermentierungen beruhen. Und er hat dann konkreter fast alle Krankheiten darauf zurückgeführt, dass wenn alkalische Substanzen, basische Substanzen oder säurische Substanzen im Körper im Übergewicht sind, eines oder das andere, dann entstehen Krankheiten.“

Sylvius prägte viele herausragende Mediziner nach ihm

Viele dieser Vorstellungen seien originell gewesen, sagt Medizinhistoriker Stolberg – aber nicht immer ganz richtig:
„Zum Beispiel die Idee, dass die Herzaktion dadurch entsteht, dass gallige Stoffe über die Venen ins Herz gelangen und sich dort mit saurer Lymphe vermischen und dadurch eine Aufwallung entsteht, und durch die Aufwallung dehnt sich das Herz aus und wenn es sich dann wieder zusammenzieht, wird Blut wieder in die Adern geworfen. Das ist eine faszinierende Idee – aber entspricht nicht dem, was wir heute über die Herzaktion wissen.“
Als Franciscus Sylvius stirbt, vermutlich am Abend des 14. November 1672, ist er 58 Jahre alt und zwei Mal verwitwet. Er hinterlässt eine ihn verehrende Studentenschaft. Viele seiner Schüler werden später ihrerseits zu herausragenden Medizinern und Naturwissenschaftlern.