Donnerstag, 02. Mai 2024

Gesundheit und Klimawandel
Viren, Angst und Hitzestress

Der Klimawandel greift die Gesundheit der Menschen an. Neben den Belastungen durch große Hitze sind es vor allem Infektionskrankheiten, gegen die wir uns wappnen müssen. Doch der Klimawandel hat für viele Menschen auch erhebliche psychische Folgen.

08.12.2023
    Eine Frau fährt mit ihrem Fahrrad durch einen Park, dessen Gras braun geworden ist. In Köln hat der trockene Hitze-Sommer 2022 besonders viele Grünanlagen verdorren lassen. Bäume verlieren bereits ihre Blätter im Sommer, Wiesenflächen sind ausgedorrt.
    Große Hitze lässt die Natur verdorren und kann krank machen. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
    2023 ist das wärmste Jahr seit Beginn der Industrialisierung. Der EU-Klimawandeldienst Copernicus hält es jedenfalls für ausgeschlossen, dass die verbleibenden Dezembertage am Hitzerekord noch etwas ändern. Einschließlich November lag die global gemittelte Temperatur demnach 1,46 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900. Bislang war 2016 das heißeste Jahr mit plus 1,3 Grad gewesen.
    Die Erderwärmung hat weitreichende Folgen. Neben den extremen Wetterphänomenen und ihrer zerstörerischen Kraft rücken zunehmend auch die gesundheitlichen Auswirkungen in den Vordergrund. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft den Klimawandel sogar als größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit ein.
    Auf der COP28 in Dubai fand vor diesem Hintergrund zum ersten Mal bei einer UN-Klimakonferenz ein Thementag "Gesundheit" statt. Eine daraus resultierende Erklärung wurde von 123 Staaten unterzeichnet, ist aber rechtlich nicht bindend.
    Manche Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und den Gefahren für die Gesundheit liegen auf der Hand, Hitze zum Beispiel kann der menschliche Körper nur bedingt aushalten. Andere Gefahren sind weniger offensichtlich. Ein Überblick.

    Inhalt

    Hitze

    Besonders bedrohlich für die Gesundheit ist der Klimawandel, weil Hitzewellen häufiger und heftiger werden - und das schon jetzt. Im Sommer 2022 starben unterschiedlichen Studien zufolge allein in Europa zwischen 60.000 und 70.000 Menschen hitzebedingt. Die WHO schätzt, dass zwischen 2000 und 2019 weltweit jedes Jahr knapp 500.000 Menschen zu große Hitze nicht überlebten.
    In Deutschland registrierte das Robert Koch-Institut im Sommer 2023 rund 3200 Hitzetote. Betroffen waren demnach insbesondere Menschen ab 75 Jahren. Laut Statistischem Bundesamt steigt durch hohe Temperaturen die Sterblichkeit insgesamt, weil die Kombination aus Hitze und Vorerkrankungen das Sterberisiko erhöht.
    Ein Mann läuft während eines vernebelten Sonnenaufgangs auf einem Deich entlang. Das Bild symbolisiert die große Hitze, die der Klimawandel mit sich bringt.
    Hitze ist gefährlich - besonders für ältere Menschen, Kinder und Patienten mit Vorerkrankungen. (IMAGO / NurPhoto / Romy Arroyo Fernandez)
    Hitze wirkt auf Menschen unterschiedlich. Sie ist schwer auszuhalten, wenn der Körper die Wärme noch nicht oder nicht mehr ausreichend regulieren kann – das ist vor allem bei Neugeborenen und Älteren der Fall. Auch Schwangere und Menschen mit Erkrankungen der Niere, der Lunge und des Herzkreislauf-Systems halten Hitze schlechter aus als die übrige Bevölkerung.
    Der menschliche Körper hält die Temperatur im Innern in einem engen Korridor um 37 Grad. Bis zu einer gewissen, individuell unterschiedlichen Höhe beeinflusst Wärme viele körperliche Funktionen positiv. Droht die Kerntemperatur über einen kritischen Wert zu steigen, beginnt der Körper als Ausgleich zu schwitzen, und die Blutgefäße weiten sich. Bei Vorerkrankten ist dieses Kühlsystems weniger leistungsfähig. Wenn nicht ausreichend getrunken wird, verdickt das Blut. Damit steigt das Risiko für Blutgerinnsel.

    Ausbreitung von Infektionskrankheiten

    Wegen der Klimaveränderungen breiten sich einige Mücken, Vogel- und Säugetierarten in Gegenden aus, in denen sie bisher nicht heimisch waren. Damit vergrößert sich auch das Verbreitungsgebiet von Infektionskrankheiten wie Dengue, Chikungunya, Zika, West-Nil-Fieber und Malaria.
    Durch den Klimawandel zunehmende Stürme und Überflutungen schaffen zudem vermehrt stehende Gewässer, in denen Krankheiten übertragende Mücken ihre Eier ablegen. Außerdem dienen solche Gewässer als Brutstätte für Erreger bakterieller Krankheiten wie Cholera und Typhus und diverser Durchfallerkrankungen.
    In Deutschland sind Tropenkrankheiten wie Gelbfieber, Dengue, Chikungunya und Zika bisher nur bei Personen diagnostiziert worden, die zuvor in südlicheren Regionen der Welt unterwegs waren und die Krankheit mitgebracht haben. Doch anderswo in Europa beginnen solche Krankheiten bereits zu zirkulieren, warnt Klaus Stark vom Robert Koch-Institut. So habe es in Italien zwei größere Chikungunya-Ausbrüche in den letzten Jahren gegeben. In Südfrankreich und Spanien gebe es immer wieder Fällen von Dengue-Fieber.
    Anders ist die Situation beim West-Nil-Fieber. Diese Krankheit können auch in Deutschland heimische Stechmücken übertragen, so geschehen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen.

    Großes Dunkelfeld bei Infektionen

    Noch sind die jährlichen Erkrankungszahlen gering, sie liegen im niedrigen zweistelligen Bereich. Das liegt allerdings auch daran, dass die Erkrankungen meist mild verlaufen. Wenn es keine Krankheitssymptome gibt, kommt es auch nicht zu ärztlichen Diagnosen. Das Robert Koch-Institut schätzt, dass es 40 bis 50 Mal mehr Infektionsfälle gibt, als bekannt werden.
    Das Feld der klimasensitiven Krankheitserreger ist unübersichtlich: Neben Tropenkrankheiten könnte durch den Klimawandel auch die Zahl neuartiger gesundheitsschädliche Pilze zunehmen. Das gilt auch für Vibrionen in der Ostsee, die schwer behandelbare Wundinfektionen auslösen können, Salmonellen- und Campylobacter-Bakterien in Lebensmitteln und die Frühsommer-Meningitis FSME, die von Zecken übertragen wird.
    Viele Experten glauben, dass das Chikungunya-Virus sich als erstes bemerkbar machen wird. Doch Prognosen sind schwierig – und mit Ausnahme der FSME, gegen die es eine wirksame Impfung gibt, fehlen gezielte Behandlungen und Gegenmaßnahmen.

    Psychische Beschwerden

    Psychologen zufolge verursacht oder verstärkt die Sorge um die Zukunft unseres fiebernden Planeten bei manchen Menschen Angstzustände, Depressionen und sogar posttraumatische Belastungsstörungen. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 suchten Internetnutzer 27 Mal häufiger nach dem Begriff "climate anxiety" (Klimaangst) als im selben Zeitraum 2017, wie die BBC berichtete.
    Einer von der Allianz in Auftrag gegebenen aktuellen Umfrage ist die Angst vor dem Klimawandel groß: Über Dreiviertel der Befragten in acht verschiedenen Ländern - darunter Deutschland, die USA, China und Indien - äußerten sich besorgt oder alarmiert. Eine andere Umfrage zeigt: In Deutschland haben 37 Prozent der Jugendlichen große Angst vor dem Klimawandel, weitere 27 Prozent mittelgroße Angst. Nur 15 Prozent haben gar keine Angst.

    Weitere (mögliche) Gesundheitsrisiken

    Manche Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Belastungen der Gesundheit leuchten unmittelbar ein, etwa die Gefahr durch Hitzestress und Dehydration. Andere sind weniger offensichtlich: Laborversuche haben zum Beispiel gezeigt, dass bei höheren Temperaturen Kolibakterien resistenter gegen Antibiotika werden. Diabetiker können Insulin schlechter verstoffwechseln. „Allergien nehmen stark zu, Allergene kommen früher, sie bleiben länger, sie sind aggressiver“, warnt Martin Herrmann, Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Eine zusammenfassende Studie der Universität Hawaii aus dem Jahr 2023 hat insgesamt 277 verschiedene Krankheiten ermittelt, die der Klimawandel begünstigt.

    Was zu tun ist

    Bereits vor 15 Jahren beschloss die damalige Bundesregierung eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel, die auch Empfehlungen für Hitzewellen enthält. Langfristig angelegt – und sehr wirksam – ist ein Umbau der Städte: Verschattungen öffentlicher Plätze, die Entsiegelung von Flächen, das Anlegen von Brunnen, die Trinkwasser bereitstellen und die Luft befeuchten.
    Kurzfristig ist es notwendig, gefährdeten Bevölkerungsgruppen beizustehen. Doch die wachsenden Gesundheitsgefahren durch den Klimawandel treffen auf ein Versorgungssystem, in dem Personal, Zeit und Ressourcen chronisch knapp sind.
    Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit stuft die Klimaveränderungen in einem neuen Positionspapier als "die größte Gesundheitsgefahr" für Kinder und Jugendliche ein. Außer diesen müssten auch Schwangere besonders in den Blick genommen werden, da mit jeder Hitzewelle die Zahl der Früh- und Totgeburten steige.

    Hitzeaktionspläne sind noch nicht Standard

    Doch nur die Hälfte der Bundesländer hat oder plant bisher einen Hitzeaktionsplan – dort, wo er fehlt, wird auf die Kommunen verwiesen. Das Argument: Hitzeschutz sei nur regional sinnvoll und sehe in jeder Kommune anders aus. Immerhin: Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder hat beschlossen, dass es bis 2025 kommunale Aktionspläne flächendeckend geben soll.
    Im Sommer 2023 kündigte Bundesgesundheitsminister Lauterbach zudem an, die Anzahl der jährlichen Hitzetoten halbieren zu wollen. Sein nationaler Hitzeschutzplan sieht unter anderem eine stärkere Sensibilisierung für die Gefahren durch Hitze, Hinweise auf Schutzmaßnahmen und Warnmeldungen bei extremer Hitze vor.

    Frankreich ist Deutschland voraus

    In Frankreich ist man da schon seit Längerem weiter. Nachdem im Hitzesommer 2003 schockierende Todeszahlen zu beklagen waren, beschloss die Regierung ein nationales Programm. Die französischen Gemeinden kontaktieren bei übergroßer Hitze alle alleinstehenden Menschen über 60, bei Bedarf kommen Sozialarbeiter vorbei. Rathäuser und Büchereien richten gekühlte Aufenthaltsräume ein.
    Gegenwärtig steuert die Welt auf mindestens zwei Grad höhere Temperaturen zu als im vorindustriellen Durchschnitt. Je wärmer es wird, desto größer werden die Gefahren für die Gesundheit der Menschen. Welche Krankheitserreger werden sich durchsetzen? Wie werden sich chronische Krankheiten verändern?
    Diese Rechnung hat viele Unbekannte, die Menschheit betritt unbekanntes Gebiet. Deswegen betonen viele Mediziner: Die wichtigste Maßnahme wäre, die Erderwärmung zu verlangsamen.

    ahe, mb