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Kommentar zu McCarthys Abwahl
Angriff auf die US-Demokratie

Der Sturz von Kevin McCarthy, Speaker des US-Repräsentantenhauses, bringt die USA an den Abgrund ihrer politischen Handlungsfähigkeit, kommentiert Thilo Kößler. Für den Fall einer Wiederwahl Trumps sollten sich die Europäer jetzt schon wappnen.

Ein Kommentar von Thilo Kößler |
US-Parlamentssprecher Kevin McCarthy zeigt sich schockiert nach seiner Abwahl, umgeben von Abgeordneten, die aus dem Saal strömen
Kevin McCarthy nach seiner Abwahl am 3. Oktober. Selten gab ein Mehrheitsführer der Republikaner ein derart schwaches Bild ab wie er, meint Dlf-Korrespondent Thilo Kößler. (AFP / MANDEL NGAN)
Der Sturz Kevin McCarthys ist ein weiterer beispielloser Vorgang in der US-amerikanischen Geschichte – doch er trifft nicht nur den glücklosen Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses. Er stürzt die Republikaner ins politische Chaos. Er paralysiert den Kongress. Er löst – mit Blick auf den umstrittenen Haushalt - eine handfeste Regierungskrise aus. Und trifft damit ins Herz des politischen Systems: Der Sturz McCarthys ist ein Angriff auf die amerikanische Demokratie.

McCarthy biederte sich schamlos der Parteirechten an

Dass McCarthy für die ultrarechte Putschistengruppe der Republikaner zum Hebel werden konnte, um einer schockierten Öffentlichkeit die ganze Labilität des Systems vor Augen zu führen, hat natürlich mit McCarthy selbst zu tun. Selten gab ein Mehrheitsführer der Republikaner ein derart schwaches Bild ab wie er. Genaugenommen war er bereits nach jenen demütigenden 15 Wahlgängen entmachtet, die er in seiner Versessenheit auf diesen Posten brauchte, um endlich in das dritthöchste Amt des Staates aufzusteigen – er biederte sich dabei derart schamlos der Parteirechten an, dass er sich ihr de facto auslieferte. Hinzu kamen Wortbruch, Winkelzüge und am Ende der Versuch, ein Impeachment-Verfahren gegen Joe Biden anzustrengen, ohne einen handfesten Beweis für eine Verfehlung des Präsidenten vorlegen zu können. Mit dieser Entgleisung brachte sich McCarthy auch noch um die letzte Unterstützung aus den Reihen der Demokraten.
Als McCarthy dann aber doch politische Peilung zeigte und einem Kompromiss mit Joe Biden zustimmte, um den drohenden Shutdown abzuwenden, bot er seinen parteiinternen Feinden von stramm Rechts den Vorwand für den Sturz.

Parteirechte: Aus Prinzip gegen Kompromisse mit Demokraten

Dabei ging es gar nicht nur um diesen einen konkreten Kompromiss – es geht dem rechten Rand der Republikaner darum, grundsätzlich keinerlei Kompromisse mit den Demokraten einzugehen. Der Sturz McCarthys ist insofern nicht nur Ausdruck einer tiefen parteiinternen Spaltung – er ist Ausdruck der ausweglosen politischen und gesellschaftlichen Polarisierung, die die gesamten Vereinigten Staaten an den Abgrund der politischen Handlungsfähigkeit gebracht hat. Der Hass auf den politischen Gegner hat sich so weit in die Parteien gefressen, dass die politische Auseinandersetzung die Züge eines mittelalterlichen Stammeskrieges trägt. Die New York Times sprach treffend von einem selbstmörderischen Prozess der Autophagie – das Zweiparteiensystem US-amerikanischer Prägung ist nicht nur an sein Ende gekommen. Es frisst sich selbst. Autophagie eben.
Der aggressive Kampf gegen den demokratischen Bestand der Vereinigten Staaten hat einen politischen und einen intellektuellen Vater: Der eine heißt Donald Trump. Der andere Stephen Bannon, der mephistohafte Mastermind einer zerstörerischen Programmatik. Er sprach schon früh vom Ziel der Vernichtung des demokratischen Verwaltungsstaates – nichts ist Bannon verhasster als dieser Rechtsstaat mit seinen Institutionen und Prinzipien der demokratischen Gewaltenteilung.

Mastermind Stephen Bannon steckte hinter dem Coup

Die New York Times brauchte nur zwei Tage, um die enge Verbindung zwischen Stephen Bannon und dem Rädelsführer des Sturzes nachzuweisen. Bannon lud nur wenige Stunden nach dem Coup den Abgeordneten Matt Gaetz in seinen Podcast ein. Und beide berieten der Times zufolge im Bannon-Jargon über die Nachfolge, wörtlich: „Wer hat die Eier, es mit dem (Regierungs-)Apparat aufzunehmen?“.

Nun sind es die bedingungslosen Trump-Anhänger Jim Jordan und Steve Scalise, die sich um das dritthöchste Staatsamt bewerben. Bereits in der nächsten Woche könnte es zur Entscheidung kommen.

EU muss sich für Donald Trumps Wiederwahl wappnen

Der Sturz McCarthys entpuppt sich somit als Fanal für das, was kommen wird, falls Trump oder einer seiner republikanischen Jünger wieder ins Oval Office einziehen sollte: Sie werden das Zerstörungswerk fortsetzen und alles tun, um erneut die Axt an die amerikanische Demokratie zu legen.
Gar nicht auszudenken, was das für die USA, aber auch für Europa bedeuten würde: Die Ukraine würde meistbietend an Russland verscherbelt. Die europäischen Demokratien gerieten dramatisch unter Druck.

Deshalb wäre es ein kapitaler Fehler, davon auszugehen, dass Donald Trump nur ein politischer Betriebsunfall war, der von Joe Biden nachhaltig behoben wurde. Nein, die Gefahr ist ganz und gar nicht gebannt. Scholz, Macron, die gesamte EU müssten alle politischen Energien in einen neuen Prozess europäischer Einigung lenken, um sich gegen die transatlantische Gefahr zu wappnen und zu immunisieren. Es gilt, genau jetzt alle Kräfte für die Post-Biden-Ära zu sammeln.
Thilo Kößler - Dlf Korrespondent in Washington, USA
Thilo Kößler begann nach einem Geschichtsstudium seine Rundfunk-Laufbahn 1978 als Reporter im Studio Nürnberg des Bayerischen Rundfunks. 1987 wechselte er als Zeitfunk-Redakteur zum SDR nach Stuttgart und war von 1990 bis 1996 ARD-Hörfunk-Korrespondent für den Nahen Osten am Standort Kairo. Seit 1998 arbeitete er als Redakteur im Deutschlandfunk, zunächst im Zeitfunk, dann als Leiter der Europaredaktion. Ab 2007 war er Leiter der Abteilung "Hintergrund". Seit Juni 2016 ist er USA-Korrespondent von Deutschlandradio mit Sitz in Washington.