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Katharina Pecher-Havers: Der Salon des Proletariats
Eine Kulturgeschichte der Zither

Die Zither ist eng verbunden mit der Volksmusik aus der Alpenregion. Das Instrument fand aber auch seinen Weg zum österreichischen Adel, rund um Sisi. Dieser Imagewandel scheint eine gezielte Marketingstrategie gewesen zu sein. Wie das lief, davon berichtet ein neues Buch.

Christoph Vratz |
Auf den Saiten einer Zither spielen zwei ältere Hände, die zu einem Mann gehören, der in Tracht spielt.
Katharina Pecher-Havers fragt auch, warum die Zither eine männlich besetzte Domäne ist. (imago / Michael Handelmann)
Katharina Pecher-Havers wirft in ihrem neuen Buch "Der Salon des Proletariats" einen Blick auf die Geschichte der Zither. Besonderer Schwerpunkt ist ihr dabei die Musikmetropole Wien.
Um 1900 hat die Zither gegen das Klavier, das so beliebte bürgerliche Instrument, einen schweren Stand. Doch gerade in der Oberschicht gilt die Zither als Symbol für eine konfliktfreie, unversehrte Welt, weit weg vom städtisch-industrialisierten Alltag. Damit wird das Bild der Zither als naturnahes Instrument gefestigt, wird Symbol für eine idyllische Landpartie.

Geadelt durch Sissi?

Vor diesem Hintergrund geht die Autorin der Frage nach: Inwieweit spiegelt sich in der Bedeutung der Zither ein sozialer Aufstieg: vom Instrument der Bettler und Spielleute hinein in die gehobenen Salons? Als prominente Fürsprecherin, als Vorbild und Gönnerin der Zither gilt gemeinhin Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi. Dabei ist, bis heute unklar, ob und inwieweit sie selbst überhaupt Zither gespielt hat. Denn Pecher-Havers spürt einer Vielzahl von Quellen nach, die zwar ein bestimmtes Bild von Kaiserin Elisabeth überliefert haben, für das es aber, bei genauerem Hinschauen, keine stichhaltigen Belege gibt.
Unabhängig davon verfestigte sich das Narrativ von der zitherspielenden Kaiserin im kollektiven Gedächtnis und wirkte sich förderlich auf die Zitherkultur in Wien aus. Die Zeitspanne von 1854 bis 1898 wird als Hochblüte der Zitherkultur in Wien angenommen.

Falsches Bild

Durch Zitherzeitschriften wird die Meinung weiter gefestigt, Zitherspiel sei eine weit verbreitete adelige Praxis. Glaubt man diesen Darstellungen, so wurde die Zither besonders im Wiener Adel nicht bloß gehört, sondern auch aktiv erlernt.
Katharina Pecher-Havers setzt gegen diese Annahme eine Reihe von Gegenthesen. Gleichzeitig aber steht außer Frage, dass adelige Mäzene wesentlich zur Institutionalisierung des Zitherwesens beigetragen haben, vor allem dank finanzieller Zuwendungen. Der Adel wiederum freut sich über Widmungen.

Gesellschaftlicher Kitt

Und so erwächst eine standesübergreifende Gemeinschaft: die Zither wird zum Berührungspunkt zwischen Hoch und Nieder. Das Instrument, das eigentlich mit geringen handwerklichen Fähigkeiten leicht erbaut werden kann, in Gastwirtschaften und Hinterhöfen gespielt, wird Gegenstand des öffentlichen Konzertwesens.
Katharina Pecher-Havers: Der Salon des Proletariats
Die Narrative der Zitherkultur und ihre Erzählräume
Hollitzer Wissenschaftsverlag, Wien 2021
556 Seiten, 50 Euro
Diese Wahrnehmung schlägt sich auch im Instrumentenbau nieder. So werden in große „Concert-Zithern“ wertvolle Intarsien eingearbeitet.

Zither im Proletariat

Einflussreich sind auch die im frühen 20. Jahrhundert vermehrt gegründeten Arbeitervereine, in denen die Zither eine wichtige Rolle spielt. Umso erstaunlicher jedoch, dass die politischen Lieder jener Zeit kaum in Arrangements für Zither vorliegen. Die Kunst als unpolitischer Rückzugsraum?
Der ältere Anton Karas steht 1966 mit einer Zither im Arm vor einem Haus mit Treppe und blickt liebevoll auf sein Instrument.
Anton Karas ist der Mann, der in dem berühmten Wiener Streifen "Der dritte Mann" die Zither spielt. (imago / United Archives International)
Große Popularität bescherte dem Instrument 1949 der Film „Der dritte Mann“ mit dem Wiener Zither-Spieler Anton Karas. Doch dieser Erfolg führte unglücklicherweise zu einer eher verengten Sichtweise. Musikwissenschaftliche Betrachtungen blieben weiterhin eher die Ausnahme.
Katharina Pecher-Havers entfaltet ein sehr facettenreiches Panorama des Instruments. Ihr Material ist auffallend reich: Tabellen, Namenslisten und Abbildungen. Zudem betont die Autorin, dass zu ihren Quellen nicht nur objektiv-wissenschaftliche Texte zählen, sondern auch Witze, Feuilletons und Gereimtes - Texte, die Träger geschichtlicher Wirklichkeit sind.
Ausgesprochen ausführlich berichtet Pecher-Havers, für den Laien vielleicht zu detailreich, für die Wissenschaft sehr erhellend. Ihr Buch liest sich stellenweise wie ein raffiniertes Indizienspiel. Die Verzahnungen zwischen Musikkultur und gesellschaftlichem Leben sind ebenso spannend wie die Korrekturen an allgemeingängigen Vorstellungen.