Freitag, 17. Mai 2024

Medien-Kolumne
Rezepte gegen den Populismus

Es liegt an uns Journalisten selbst, findet Peter Frey: Wie viel redaktionelle Aufmerksamkeit die Weidels, Wagenknechts, Aiwangers oder Trumps dieser Welt bekommen. Und ob wir auf der Empörungswelle mitschwimmen - oder auf kühle Aufklärung setzen.

Eine Kolumne von Peter Frey | 02.05.2024
Alice Weidel (AfD), Bundesparteivorsitzende, im Interview mit Moderator Matthias Deiß (ARD)
Alice Weidel, Bundesparteivorsitzende der AfD, hier 2023 im ARD-Sommerinterview mit Moderator Matthias Deiß (IMAGO / Metodi Popow / IMAGO / M. Popow)
Die Wahlkämpfe des Jahres 2024 - in Europa, in den neuen Bundesländern, aber im November auch in den USA - stellen uns Journalisten wieder vor die Frage: wie mit dem Populismus umgehen? Wie präsent müssen seine politischen Vertreter in Interviews sein? Und wie viel Aufmerksamkeit verdient ein Ex-Präsident, der dauernd vor Gericht steht?
Beginnen wir mal mit der harmlosen Variante des Populismus, mit den sogenannten Influencern. Die empfehlen Produkte, ohne offenzulegen, von wem sie eigentlich bezahlt werden. Längst müssten Verbraucherschützer diese Art von Täuschung systematisch beobachten und vor Irreführung warnen.

Aufgesetztes Lächeln bei Miosga, hetzen bei Facebook

Das ist ein Rezept auch für Journalismus in Zeiten des Populismus: Systematische Beobachtung, Aufklärung, Enthüllung – das ist oft wirkungsvoller als der Versuch, Populisten in Interviews zu entzaubern. Konnte man sie anfangs mit gut durchdachten Fragen überraschen, kommen sie längst gut trainiert auch über längere Fernsehstrecken. Aufgesetztes Lächeln bei Miosga, hetzen bei Facebook. In öffentlich-rechtlichen Talks reden die Meister der Doppelzüngigkeit ganz anders als in ihren Blasen.
Als langjähriger Fernsehinterviewer weiß ich, unter welchem Druck man als Moderator steht, um Distanz zu zeigen, sich abzugrenzen, den Gast zu entlarven. Ich habe gelernt: Gelassenheit ist das bessere Rezept als demonstrative Härte. Die drängt im Wahrnehmungsdreieck zwischen Interviewer, seinem Gast und dem Publikum die Zuschauerinnen und Zuschauer allzu leicht auf die falsche Seite.
Gelassenheit heißt aber nicht: Menschelndes Geplänkel über Hackfleisch oder Gehacktes zulassen. Interviews müssen mit harten Fakten, klarer Gesprächsstrategie, aber ohne moralisierenden Unterton geführt werden. Demokratieverächtern ihre Systemverachtung vorzuwerfen, führt meistens ins Nichts. Als ehemaligem Fernsehmoderator tut es mir weh - aber meist eigenen sich dokumentarische Formate besser als Fernsehgespräche, um Populisten zu stellen.

Es ist ein Spiel mit dem Feuer

Ich muss jetzt oft an das Jahr 2016 zurückdenken, als die meisten Journalisten – mich eingeschlossen – einen Sieg Trumps für ausgeschlossen hielten. Heute scheint mir, dass der Irrtum von damals durch zu viel Aufmerksamkeit für Trump heute kompensiert wird.
Natürlich muss man über Trumps Schweigegeld- Prozess berichten. Hat der Präsidentschaftskandidat damals einem Pornostar Schweigegeld gezahlt, um seine Wahlchancen nicht zu beeinträchtigen? Das ist hochpolitisch und nicht Boulevard.
Aber Populisten profitieren von der Erfolgsorientierung auch seriöser Plattformen. Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Der News-Ticker hält Trumps Kandidatur am Leben, dauernde Eilmeldungen erzeugen Präsenz, Sensationalismus befördert Mitleid.

Regeln gegen die Regelbrecher

Es liegt also an uns Journalisten selbst. Wie viel redaktionelle Aufmerksamkeit, Sendeplätze und Zeitungstitel die Weidels, Wagenknechts, Aiwangers oder Trumps dieser Welt bekommen, ob wir auf der Empörungswelle mitschwimmen oder auf kühle Aufklärung setzen.
Mit Gegenangriffen ist zu rechnen. Wappnen können wir uns, indem wir eisern an den professionellen Regeln festhalten: Bericht und Meinung trennen, Sachverhalte aus unterschiedlichen Perspektiven darstellen, Einladungen an Politiker an nachvollziehbaren Regeln ausrichten.
Es geht nicht um hohe Einschaltquoten oder erwartete Klicks. Es geht um Regeln gegen die Regelbrecher.
Peter Frey war 12 Jahre lang Chefredakteur des ZDF.
Peter Frey war 12 Jahre lang Chefredakteur des ZDF.
Peter Frey begann seine Karriere beim ZDF 1985, er berichtete aus Washington, gründete das ZDF-Morgenmagazin und übernahm später die Leitung des ZDF-Hauptstadtstudios. Von 2010 bis 2022 verantwortete er die Informationsangebote des Senders als ZDF-Chefredakteur.