Freitag, 19. April 2024

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Nächste Schritte in der Corona-Pandemie
Ullmann (FDP): "Eine Impfpflicht ist nicht zielführend"

Andrew Ullmann, FPD-Obmann im Bundesgesundheitsausschuss, hält eine Impfpflicht nicht für zielführend. Man solle sich darüber Gedanken machen, wie man Impfzweifler besser überzeugen könne, sagte er im Dlf. Kostenlose Corona-Tests könne der Staat zudem nicht unbegrenzt gewährleisten.

Andrew Ullmann im Gespräch mit Philipp May | 07.08.2021
Prof. Dr. Andrew Ullmann im Portrait bei seiner Rede zum Thema Impfmanagement bei der 216. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin
Andrew Ullmann (FDP) ist gegen eine Impfpflicht (picture alliance / Flashpic / Jens Krick)
Die Bürgerinnen und Bürger seien mündig genug, zu entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete und Professor für Infektiologie, Andrew Ullmann. Man solle die Impfkampagne mit mehr Fantasie voranbringen. Das sei wichtig, denn die Pandemie sei nur in den Griff zu bekommen, "indem wir uns alle impfen lassen".

Freiheitsrechte nicht weiter beschränken

Im Interview mit dem Dlf forderte Ullmann unter anderem auch, dass die Freiheitsrechte nicht weiter beschränkt würden. Es handele sich auch nicht mehr um eine epidemische Lage von nationaler Tragweite, weshalb die Debatte über Corona-Maßnahmen wieder in die Parlamente zurückgebracht werden müsse. Außerdem könne der Staat nicht unbegrenzt kostenlose Corona-Tests gewährleisten.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Philipp May: Eine Testpflicht auch für geimpfte Reiserückkehrer, wie Frank-Ulrich Montgomery das fordert. Würde das helfen?
Andew Ullmann: Wissen Sie, ich bin ein bisschen enttäuscht, dass immer wieder das gleiche Narrativ stattfindet, auch von Herrn Montgomery, dass wir uns in die alten Zeiten hineinbegeben, als es noch keine Impfstoffe gab, und hier immer nur von Testpflichten gesprochen wird. Ich wünschte mir eine ganz andere Diskussion, und zwar eine Diskussion, wie können wir die Impfzweifler, die bisher noch nicht geimpft worden sind, überzeugen, dass sie sich impfen lassen. Denn eines steht fest: Wir können diese Pandemie nur in den Griff bekommen, indem wir uns alle impfen lassen würden. Und eine Impfpflicht – mit Verlaub –, ich kann mir das auch logistisch nicht vorstellen, wie das eigentlich vonstattengehen soll.

"Impflicht ist nicht zielführend"

May: Also, testen ist nicht die Lösung, aber impfen. Aber eine Impfpflicht ist auch verkehrt. Habe ich Sie so richtig verstanden?
Ullmann: Absolut! Eine Impfpflicht ist nicht zielführend, denn am Ende des Tages werden sich die Leute eher von den Impfungen abkehren, wenn sie sich verpflichtet fühlen. Der Mensch und die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind mündig genug, zu entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Und hier bedarf es weiterer Aufklärung, ich wünschte mir, dass man hier Fantasie aufbringen würde – erstens, wie man Informationskampagnen in die Städte hineinbringt und auch auf das Land, zum Beispiel durch Infostände auf Marktplätzen oder in Fußgängerzonen. Und dann auch gleichzeitig ein niedrigschwelliges Impfangebot zu unterbreiten, das wäre der richtige Weg, anstatt immer wieder mit Restriktionen und alten Maßnahmen nach vorne zu führen. Das ist sicherlich der falsche Weg.
Injektionsnadeln und Ampullen mit Impfstoff liegen auf einem Tisch.
Wie man die Impfquote erhöhen kann
Eine Impfpflicht soll es in Deutschland nicht geben, diskutiert wird aber, ob geimpfte Menschen schneller und mehr Freiheiten bekommen sollten als andere. Mit welchen weiteren Mitteln ließe sich die Impfquote erhöhen? Und wäre eine Impfpflicht überhaupt verfassungsrechtlich durchsetzbar? Ein Überblick.
May: Okay, verstehe ich. Allerdings zur Wahrheit gehört eben auch, wenn wir jetzt auf die derzeit erfolgreichsten Staaten schauen, Großbritannien beispielsweise, Frankreich oder Italien, die haben alle beschlossen, einen Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften zu machen, in England beispielsweise darf man ab Herbst nur als Geimpfter in Nachtclubs. Also, muss man schon den Druck auf Ungeimpfte offensichtlich erhöhen, um die Impfquote zu erhöhen. Ist das der Weg?
Ullmann: Nein, absolut nicht, das ist nicht der Weg. Das ist auch für Seiten unserer Verfassung, ich bin ja kein Jurist, aber so interpretiere ich unsere Verfassung nicht, dass wir Druck auf Ungeimpfte auslösen, damit sie sich impfen lassen. Das ist nicht der richtige Weg, denn der Staat...
May: Aber der Erfolg gibt diesen Ländern recht?
Ullmann: Welcher Erfolg? Wir haben jetzt gesehen, dass nachdem England geöffnet hat, die Inzidenzzahlen dramatisch angestiegen sind, da muss man natürlich auch diskutieren, inwieweit die Inzidenzzahl die richtige ist. Aber zur Wahrheit gehört auch, nachdem die stationären Aufnahmen in England angestiegen sind, dass sie jetzt langsam wieder fallen. Da ist auch England gut unterwegs, ohne strengere Maßnahmen zu haben.

"Impfungen noch weiter vorantreiben"

May: Weil die eben auch eine viel höhere Impfquote haben. Und zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass wahrscheinlich die Durchseuchung höher ist, ich habe irgendwie gelesen, über 90 Prozent der Erwachsenen haben Antikörper. Aber das Ergebnis ist ja erst mal für den Moment dasselbe.
Ullmann: Ja, also die 90 Prozent Durchseuchung ist eine Modellierung, das ist keine reale Zahl, das ist eine Modellierung, die Mut macht, dass in England die Durchseuchung so hoch ist. Aber auch hier wissen wir auch genau, dass auch Antikörper nicht per se vor Infektionen schützen, aber die Impfung vor Krankheiten schützt. Da müssen wir schauen, denn die vulnerablen Menschen, die älteren Menschen sind diejenigen, die in die Krankenhäuser kommen. Und am Ende des Tages geht es hier um eine Sache, das vergessen wir immer wieder in den Diskussionen: Wir wollen nicht steril sein von diesem Virus, das schaffen wir nicht, werden wir auch nicht schaffen. Wir müssen lernen, mit diesem Virus umzugehen. Wir müssen verhindern, dass das Gesundheitssystem überlastet wird, das ist erstens bei uns bei Weitem nicht der Fall. Und zweitens müssen wir sehen, dass wir für die vierte Welle bestens gewappnet sind, dass wir hier noch die Impfungen noch weiter vorantreiben, damit wir auch besser geschützt sind. Aber auch hier die Vorbereitung für eine potentielle notwendige dritte Impfung bei Älteren starten, damit die auch schneller durchgeimpft werden können.

Kostenlose Tests: "Das sollte nicht der Fall sein auf Dauer"

May: Das ist ein gutes Stichwort. Da möchte ich gleich drauf zu sprechen kommen. Aber wir wollen ja nicht nur das Gesundheitssystem nicht belasten, sondern auch das Finanzsystem und die Staatskasse nicht belasten, das müsste ja ganz in Ihrem Sinne sein als FDP. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, sollte der Steuerzahler, wenn der Staat eine kostenlose Impfung bereitstellt für alle, die jeder in Anspruch nehmen kann, weiterhin für die Schnelltests und die Tests im Allgemeinen der Ungeimpften zahlen?
Ullmann: Das sollte nicht der Fall sein auf Dauer, das geht auch nicht, das können wir uns auch nicht auf Dauer leisten. Wichtig ist, dass der Staat ein Impfangebot machen kann. Und dann müssen wir natürlich auch sehen, dass auch soziale Härten existieren. Menschen, die sich nicht impfen lassen können aus medizinischer Indikation heraus. Da müssen Möglichkeiten noch weiter eröffnet sein, dass die sich kostenlos testen lassen können. Aber hier bin ich dabei, dass wir so einen Zeitpunkt finden, ob jetzt tatsächlich schon Ende Oktober oder vielleicht erst im Dezember, an dem die Testungen kostenpflichtig werden. Da sind wir sehr offen, in dem Bereich zu diskutieren.
Impfaktion im Freizeitpark "Nürnbärland"
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Trotz vollständiger Impfung können sich Menschen mit dem Coronavirus infizieren und sogar erkranken. Man spricht dann von einem Impfdurchbruch. Je mehr Menschen geimpft sind, umso mehr wächst auch ihr Anteil an den Neuinfektionen. Wie gut schützt eine Impfung noch vor einer Ansteckung?
May: Das wird irgendwann, wahrscheinlich spätestens Oktober, so sein. Dann wird wahrscheinlich jeder die Chance gehabt haben, sich niedrigschwellig, beispielsweise in einer Einkaufsstraße, impfen zu lassen. Wenn das so weit ist, dass jeder wirklich die Chance gehabt hat, zwei Impfungen zu bekommen, hat dann der Staat seine Schuldigkeit auch getan, was den Gesundheitsschutz der Bevölkerung angeht?
Ullmann: Eigentlich ja und nein. Im Sinne des aktiven Schutzes hat der Staat seine Schuldigkeit dann bereits getan, aber der Staat muss weiterhin überwachen, dass wir uns vor Ausbrüchen schützen. Da müssen natürlich genaue Surveillance-Untersuchungen weiterhin stattfinden. Das sind Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes, um rechtzeitig zu erkennen, ob irgendwo neue Cluster-Ausbrüche existieren.
May: Vollkommen klar, also Monitoring weiter, klar, aber müssen dann alle Freiheitsrechte zurück? Weil jeder hat ja die Chance, sich impfen zu lassen.
Ullmann: Das müsste natürlich zurückgegeben werden… Zurückgegeben ist eine gute Sache, ich meine, wenn der Staat unsere Grundrechte einschränkt.
May: Müssten die Einschränkungen wegfallen, wollen wir mal nicht wortklauberisch sein.
Ullmann: Ja, natürlich. Aber mich würde interessieren, wie es in England dann weitergeht. Weil das Experiment, Maßnahmen aufheben und dann auf Freiwilligkeit setzen, das wird ja momentan experimentell in ganz Großbritannien durchgeführt. Da bin ich wirklich gespannt, wie die Zahlen sich die nächsten zwei, drei Wochen weiter entwickeln. Das könnte dann tatsächlich ein Modell sein auch für Europa.

Keine epidemische Lage von nationaler Tragweite mehr

May: Das heißt, wenn die Zahlen weiter nach unten gehen, dann wäre das ein Indikator dafür, dass wir auch hier, im September endet die epidemische Lage ja, da könnte sie verlängert werden, dass wir sie auch hier nicht verlängern brauchen in Deutschland.
Ullmann: Ja, die epidemische Lage von nationaler Tragweite, die hätte unlängst schon gestoppt werden können, aber die Pandemie ist natürlich noch nicht vorbei. Das sind ja zweierlei Begrifflichkeiten, die häufig verwechselt werden. Die Pandemie ist nach wie vor da, die wird bis Ende des Jahres nicht vorbei sein, aber epidemische Lage von nationaler Tragweite, die auch rechtliche Konsequenzen hat, dass der Staat wiederholt Verordnungsermächtigungen aussprechen kann, ohne parlamentarische Approbation, das muss fallen. Denn die Debatte muss wieder zurück in die Parlamente. Jetzt, am besten schon vor Monaten.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
May: Was hieße das konkret, wenn sich das so entwickelt, auch mit Blick auf England, wie wir uns das erhoffen?
Ullmann: Das wird sich dann so hoffentlich entwickeln, immer mit der Prämisse, dass die Impfrate noch besser geworden ist in Deutschland, da bleibe ich optimistisch. Denn die Bereitschaft zur Impfung ist ja sehr hoch in unserem Land. Dass wir dann viele Maßnahmen zurücknehmen können. Ich bin nicht überzeugt davon, dass die sogenannte Wechsel zwischen 3G und 2G der richtige Weg ist, das ist der falsche Weg für mich ganz klar.

Maßnahmen "auf freiwilliger Basis" fortsetzen

May: Also, dass man einen Unterschied macht zwischen Geimpften und Getesteten.
Ullmann: Das halte ich für… Das will ich anders formulieren, die 3G-Regelungen gelten nach wie vor. Wer getestet, frisch genesen oder geimpft ist, bei dieser Person ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass eine Gefahr ausgeht. Was Herr Spahn ja vorhat mit einer 2G-Regelung, ist dass nur von frisch Genesenen und Geimpften keine Gefahr mehr ausgeht und dass der Getestete gar nicht mehr zählt. Damit sich zur Impfung gezwungen fühlt. Das darf es natürlich nicht geben. Aber hier sehe ich durchaus, dass viele Maßnahmen zurückgenommen werden können und auf freiwilliger Basis fortgesetzt wird, denn wie gesagt, die Pandemie ist noch nicht vorbei. Da müssen wir einiges machen.
May: Okay, aber wenn der Punkt erreicht ist, an dem man doch wieder gegensteuern müsste. Dann müssen ja irgendwann doch wieder vielleicht Maßnahmen in Kraft gesetzt werden. Dann nur für die nicht Geimpften oder Maßnahmen für alle? Also immer für alle oder für keinen – oder macht man dann irgendwann doch vielleicht einen Unterschied zwischen Geimpften und Getesteten?
Ullmann: Wir dürfen von der Verfassung her Maßnahmen nur durchführen, wenn sie verhältnismäßig sind. Und die Verhältnismäßigkeit ist dann nicht gegeben, wenn beispielsweise Ausgehverbote für Geimpfte existieren. Das ist nach unserer Auffassung auch verfassungswidrig, das kann es natürlich nicht geben. Aber wir geben den Menschen, die sich nicht impfen lassen, die Chance zum Beispiel durch einen Negativtest als gefahrenlose oder Menschen mit geringem Risiko sich zu definieren. Und diese Möglichkeiten sollten weiter gegeben sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.