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Neuerdings Schweigen

In dieser Woche verschickte das Schweizerische Bundesgericht einen lange überfälligen Schriftsatz: Schon im Februar war der Antrag von Claudia Pechstein abgewiesen worden, die Bestätigung ihrer Dopingsperre durch den Weltsportgerichtshof Cas aufzuheben. Nun, drei Monate später, ist auf 25 Seiten nachzulesen, warum. Die Urteilsbegründung stellt der Pechstein-Partei ein unerwartet klägliches Zeugnis aus.

Von Grit Hartmann | 15.05.2010
    In der Doping-Causa Claudia Pechstein scheint es mittlerweile angebracht, kultursoziologisches Vokabular auf den Sport auszudehnen: Mit dem Begriff des Verstärker-Phänomens wäre beispielsweise bestens zu erklären, warum die nun vorliegende Urteilsbegründung kaum noch ein Echo fand. Danach entsteht aus "Immer lauter, immer öfter" am Ende Stille, in diesem Fall: Desinteresse. Sieben Eilanträge reichte Pechstein beim Schweizer Bundesgericht ein, jeweils begleitet von einigem Verbalgetöse ihres Managements. Gescheitert ist auch der jüngste, obgleich die Kufenläuferin neue medizinische Erkenntnisse vortrug, die angeblich beweisen, dass nicht Doping, sondern eine milde Blutanomalie derart extreme Blutwerte gezeitigt hat.

    Das mediale Top-Ereignis, zu dem diese Entlastungs-Diagnose hierzulande geriet, könnte der letzte laute Schuss ins Leere gewesen sein. Dafür liefern die 25 Seiten Juristendeutsch aus der Schweiz markante Fingerzeige - und das, obwohl ein weiterer Hauptsache-Antrag, der auf Wiederaufnahme des Cas-Verfahrens, noch in Lausanne anhängig ist.
    Skandalöse 38 Verfahrensfehler hatte die Pechstein-Partei dem Cas öffentlich unterstellt. Was sie aber tatsächlich vortrug zur vermeintlichen Verletzung rechtlichen Gehörs und der sogenannten Ordre public, also fundamentaler Rechtsgrundsätze, quittieren die Bundesrichter mit spöttischem Vergnügen. Etwa den Umstand, dass Pechstein ihre Menschenwürde angetastet sah, weil Gutachter Max Gassmann, wiewohl Universitätsprofessor mit anerkannter hämatologischer Expertise, auch als Tierarzt ausgebildet ist. Kommentar des Bundesgerichts: "Von einer medizinischen Behandlung" durch einen Veterinär könne "keine Rede sein" - und zwar ganz entgegen dem, was die Beschwerdeführerin geltend zu machen scheine.

    Ein weiteres Kuriosum: Das Bundesgericht belehrt Pechsteins Anwälte gleich mehrfach über eine juristische Selbstverständlichkeit. Deren Klageschrift erschöpfe sich "über weite Strecken" in "appellatorischer Kritik". Dies sei unzulässig und deshalb darauf nicht einzutreten. Das gelte jedenfalls, merken die Richter noch dazu befremdet an, soweit die Klägerin überhaupt auf das Cas-Urteil eingehe und nicht, Zitat, "Vorbringen wiederholt, die sich bereits als haltlos erwiesen haben". Das darf wohl als höchstrichterliche Rüge des Pechstein'schen "Immer lauter, immer öfter" gelesen werden.

    Dazu sind die Weichenstellungen für den noch laufenden Antrag unübersehbar. Die neuen Gutachten zur Blutanomalie, umstritten schon innerhalb der deutschen Medizinerzunft, berücksichtigen die Bundesrichter zwar noch nicht. Dafür aber die angeblich unterdrückte Meinungsänderung eines Gutachters, die Pechstein zur "arglistigen Täuschung" stilisierte. Die Richter haken das denkbar kühl ab: Auf diesen Experten habe sich der Cas gar nicht bezogen.

    Claudia Pechstein schweigt neuerdings selbst auf ihrer Homepage. Gut möglich, dass der jüngste Schriftsatz aus Lausanne ihr eine weitere bekannte Folge des Verstärker-Phänomens nahegebracht hat: Für den, der sich seiner bedient, steigt ganz am Ende nur eins: die Fallhöhe.