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Mediziner laden zur Pressekonferenz

Ist der Fall Claudia Pechstein doch kein Dopingfall? Ist er medizinisch zu erklären? Das behaupten Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie. In deren Namen bittet eine PR-Agentur zur Pressekonferenz in Berlin. Drei Mediziner wollen darlegen, dass Deutschlands erfolgreichste Winterolympionikin unter einer Anomalie leidet.

Von Grit Hartmann | 14.03.2010
    Fraglos hat Claudia Pechstein den allgemein gebräuchlichen Wortschatz um einige medizinische Fachtermini erweitert. Inzwischen weiß der halbwegs Sportinteressierte, was Retikulozyten sind - die jungen roten Blutkörperchen, deren Zahl bei der Eisschnellläuferin so häufig über den Grenzwert sprang. Nach der Pressekonferenz wird auch die hereditäre Sphärozytose zum geläufigeren Vokabular gehören. Die seltene Blut-Anomalie, zu Deutsch: Kugelzellenanämie, wollen drei Professoren bei Pechstein entdeckt haben. "Aus medizinischer Sicht", heißt es deshalb in der Einladung, sei der Dopingvorwurf "haltlos".

    Das klingt kühn, spielte doch die Sphärozytose in der Causa Pechstein von Beginn an eine Rolle. Weil einige Blutwerte darauf deuten, erwog der Internationale Sportgerichtshof CAS diese Variante - und verwarf sie als medizinische Mimikry. Auch nach erschöpfenden Tests bei Pechstein konnte ihr Gutachter, der Ulmer Hämatologe Hubert Schrezenmeier, harte Indikatoren dafür nicht finden: beschädigte Zellmembranen etwa oder Veränderungen an der Milz. Sein Resümee: Pechstein sei kerngesund. Auch in ihrer Familie sei keine Anomalie der Blutbildung bekannt. Ein weiterer Gutachter schloss die Sphärozytose nicht ganz aus - freilich in so grenzwertiger Form, dass definitive Diagnose unmöglich sei.

    Ob die Pressekonferenz da wirklich Neues bieten kann? Erste Statements der Beteiligten erlauben Zweifel. So attestierte der Dresdner Gerhard Ehninger, der Präsident der Hämatologen-Gesellschaft, Pechstein "eine große Wahrscheinlichkeit für eine angeborene Störung".

    Bliebe es bei Wahrscheinlichkeiten, wäre ein anderer Akzent der Pressekonferenz eher zu würdigen: die Reputation der deutschen Medizinerzunft. Schon die Einladung bedenkt den CAS mit unverblümtem Grimm. Der nämlich habe Expertisen hoch angesehener Wissenschaftler nicht ausreichend beachtet und tendenziös dargestellt. Vor allem der Lübecker Epo-Experte Wolfgang Jelkmann dürfte sich düpiert gefühlt haben: Über seine Zitate aus älterer Fachliteratur spotteten die Richter. Auch Jelkmann ist morgen dabei. Der dritte, der Siegener Krankenhausarzt Winfried Gassmann, erstellte in seiner Freizeit ein Entlastungs-Gutachten für Pechstein. Eine Fleißarbeit, mit der er wie andere Experten vor ihm Epo-Doping widerlegte. Pechstein indes kassierte ihre Sperre nicht für Epo-Missbrauch, sondern für die verbotene Methode der Blutmanipulation. Dafür kennt die Szene viele, auch nicht detektierbare Stoffe. Deshalb braucht der indirekte Doping-Nachweis keine Substanz, er arbeitet mit jähen Extremen, wie sie typisch sind für Pechsteins Retikulozyten. Gassmann überraschte außerdem mit der Idee, Asthma könne Pechsteins Blutbild verändert haben. Belastungs-Asthma gilt in einigen Sportarten als Massenerscheinung - derartige Reti-Werte jedoch nicht.

    Solcher Sportfremdheit unverdächtig ist der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel. Zur Sphärozytose vertrat er schon im letzten Herbst eine eindeutige Meinung. Seine Äußerung, da werde "plötzlich eine Grenzkrankheit erfunden", brachte ihm eine Unterlassungsklage von Pechstein ein. Sörgel obsiegte in zwei Instanzen.