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Kandidatur zum Parteivorsitz
Nouripour: Grüne sollen führende Kraft der linken Mitte sein

Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour möchte Parteivorsitzender der Grünen werden. Er werde nicht versuchen, seinen Vorgänger Robert Habeck zu kopieren, sagte Nouripour im Dlf. Da die Grünen nun in Regierungsverantworung gingen, müssten die neuen Vorsitzenden ihre Rollen anders ausfüllen.

Omid Nouripour im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 03.12.2021
Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Bundestag.
Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Die Parteivorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, werden in der kommenden Ampel-Koalition Minister-Posten übernehmen und den Parteivorsitz daher abgegeben. Die Grünen zu führen und gleichzeitig Minister zu sein, sei undenkbar, sagte Habeck dazu.
Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour hat am 2.12.2021 angekündigt, als Nachfolger von Robert Habeck zu kandidieren. Im Deutschlandfunk würdigte er die Arbeit der scheidenden Vorsitzenden, gemeinsam hätten sie die Partei "empathisch und klug geführt". Da nun Regierungsverantwortung anstehe, müsse die Arbeit der Parteivorsitzenden allerdings anders werden, unabhängig davon, wer sie ausführe.
Eine der zentralen Aufgaben für den Vorstand in den kommenden Wochen und Monaten werde sein, die Mischung aus Euphorie, Aufbruchsstimmung und Enttäuschung abzufangen. Die Grünen sind bei der Wahl drittstärkste Kraft geworden und haben das beste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Umfragen hatten die Partei allerdings vor der Wahl zeitweise als stärkste Partei gesehen. Man müsse darüber sprechen, wie man das nächstes Mal besser machen kann, sagte Nouripour. Dabei brauche es auch Hilfe von außen.

Nouripour: Partei-Flügel haben "gewisse Berechtigung"

Der Anspruch der Partei müsse sein, führende Kraft der linken Mitte in Deutschland zu werden. Die Grünen müssten Lösungen für alle im Angebot haben, dürften dabei aber ihre Lösungsansätze nicht verwässern.
Innerparteilich müsse es darum gehen, sich gegenseitig zu stärken. Es habe bei den Grünen Phasen gegeben, in denen Partei, Fraktion und teilweise auch Regierungsmitglieder halb offen darüber gekämpft hätten, wer denn eigentlich das Sagen hat. Gute Arbeit werde nur gemeinsam gelingen, sagte Nouripour. Dass es in der Partei verschiedene Flügel gebe, habe dabei allerdings "eine gewisse Berechtigung". Flügel-Logiken dürften aber guten Lösungen nicht im Weg stehen. Im Fokus müsse stehen, wie man die Probleme dieses Landes lösen könne. Denn die seien gewaltig.

Das Interview im Wortlaut:

Jörg Münchenberg: Herr Nouripour, wie groß sind die Fußstapfen, die Ihnen, sofern gewählt, der bisherige Parteivorsitzende Robert Habeck hinterlässt?
Omid Nouripour: Robert Habeck hat zusammen mit Annalena einen unglaublich tollen Job gemacht. Die haben uns das beste Ergebnis der Geschichte unserer Partei gebracht. Die haben den Laden zusammengeführt vier Jahre lang und auch wirklich sehr, sehr, sehr empathisch und klug geführt. Jetzt sind aber andere Zeiten. Jetzt sind wir in einer Regierung. Jetzt haben wir ganz andere Konstellationen, so dass die Arbeit, die Robert Habeck gemacht hat, sich jetzt auch ändern würde. Ich werde was ganz anderes tun müssen, als er es gemacht hat bisher.
Und ganz ehrlich, rein persönlich: Als ich in den Bundestag kam, fragten mich alle, Du bist jetzt für Joschka Fischer nachgerückt, wie groß sind die Fußstapfen. Entscheidend ist, dass man sich nicht verliert in anderen Fußstapfen, sondern dass man versucht, eigene Akzente zu setzen in großer Dankbarkeit für das, was unsere beiden bisherigen Parteivorsitzenden geleistet haben, mit denen ich im Übrigen die große Freude haben werde, wenn ich gewählt werde, die nächsten Jahre auch sehr eng zusammenzuarbeiten, weil sie ja bekanntermaßen sehr große und wichtige Rollen in diesem Land spielen.

Nouripour: Aufarbeitung der Wahl wird die erste zentrale Aufgabe

Münchenberg: Darauf kommen wir gleich noch mal zu sprechen. Noch mal der Blick auf die Partei. Die Bilanz, muss man sagen, ist ein bisschen durchwachsen. Auf der einen Seite hat sich die Zahl der Mitglieder seit 2017 verdoppelt. Aber auf der anderen Seite waren die Prognosen vor den Bundestagswahlen wunderbar; am Ende gab es dann doch einen ziemlichen Dämpfer, 14,8 Prozent nur statt der erwarteten deutlich über 20. Wie wichtig wird es sein, dieses Ergebnis aufzuarbeiten?

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Nouripour: Das ist eine der zentralen Aufgaben in den ersten Wochen und Monaten für den neuen Vorstand. Es gibt innerhalb der Partei sehr viel Euphorie, sehr viel Aufbruchsstimmung, aber auch natürlich die Enttäuschung darüber, dass wir zwar ein unglaublich gutes Ergebnis geholt haben, aber dass weit mehr drin gewesen wäre. Deshalb wird es relevant sein, darüber nachzudenken, auch teilweise mit Hilfe von außen darüber zu sprechen, wie man es das nächste Mal besser machen kann und welche Fehler man abstellen kann.
Münchenberg: Wenn ich da kurz einhaken darf? Haben Sie schon eine erste Erklärung, warum das bei den Bundestagswahlen nicht geklappt hat?
Nouripour: Es gibt in dieser Partei – Sie haben es ja gesagt, wir haben über 100.000 Mitglieder – 100.000 Erklärungen, und wenn man Bundesvorsitzender werden will, dann ist, glaube ich, der Job nicht, dass man seine eigene oben draufsetzt, sondern dass man dialogisch und zuhörend die Meinungen zusammenführt, so dass es geschnürt wird zu einem Lösungspaket. Es gab Management-Fehler, es gab politische Fehler, diese müssen wir zusammen aufarbeiten.

"Die Quote hat uns stets groß und stark gemacht"

Münchenberg: Schwächen die Statuten vielleicht auch die Partei und damit den Erfolg?
Nouripour: Ich glaube, nicht die Statuten. Ich glaube, Sie zielen auf die Quote ab. Nein, die Quote hat uns stets groß und stark gemacht. Die Quote hat so einen großen Erfolg gehabt, dass sie mittlerweile kopiert wird von anderen Parteien. Wenn Friedrich Merz davon spricht, dass die CDU darüber reden muss, ob die Quote eine sinnvolle Lösung ist, dann zeigt das, welch ein großer Erfolg diese Quote war. Dass wir über unsere grundsätzlichen Statuten mal reden müssen, kann sein, aber dass die Frauenquote jetzt irgendwie in Abrede gestellt gehört, ist meines Erachtens wirklich abstrus.
Münchenberg: Herr Nouripour, wieviel Befriedungsarbeit werden Sie leisten müssen? Anton Hofreiter vom linken Flügel war ja eigentlich mehr oder weniger als Minister gesetzt und jetzt wird er in Zukunft nicht mal mehr der Fraktionsspitze angehören.
Nouripour: Wir haben – Sie haben ja das Wahlergebnis angesprochen – nicht so viele Jobs im Kabinett zu vergeben gehabt wie wir wollten und es ist sehr bedauerlich, dass Anton Hofreiter nicht ins Kabinett einziehen konnte. Das gilt im Übrigen genauso für Katrin Göring-Eckardt. Es ist in einer solchen Situation ja immer so, dass es Verletzungen gibt. Die gibt und gab es auch in anderen Parteien.
Unser Problem war aus meiner Sicht auch, dass in den entscheidenden Sekunden plötzlich die Vertraulichkeit von Sitzungen und Besprechungen auf eine Art und Weise aufgebrochen wurde, dass ich mir die Augen rieb und dachte, sind wir jetzt beim CDU-Präsidium, dass jetzt live getickert wird oder was. Das muss man dringend abstellen, damit wir wieder miteinander gescheit arbeiten können. Aber sowohl Toni Hofreiter als auch Katrin Göring-Eckardt haben ihren Platz in dieser Partei und werden weiterhin eine große Rolle spielen. Wir werden diese Leute ganz dringend brauchen.

"Flügel waren nie weg. Die haben auch eine gewisse Berechtigung"

Münchenberg: Gibt es von Ihrer Seite auch schon die Sorge, dass doch wieder alte Flügelkämpfe aufbrechen könnten?
Nouripour: Die Flügel waren nie weg. Die haben auch eine gewisse Berechtigung. Aber entscheidend ist, dass Flügel-Logiken guten Lösungen nicht im Wege stehen, und das ist etwas, was uns die letzten Jahre stark gemacht hat. Es gibt auf beiden Seiten ein riesen Verständnis dafür, in der Fraktion wie in der Partei, dass es nicht sein kann, dass wir ausschließlich nach Flügel-Fragen uns aufstellen und entscheiden, sondern dass wir ernsthaft nach vorne stellen als Priorität eins, wie lösen wir die Probleme dieses Landes. Die sind gewaltig und sich darauf zu konzentrieren, ist die Aufgabe für die nächsten vier Jahre für alle Ebenen der Grünen.
Münchenberg: Die Grünen, muss man sagen, Herr Nouripour, sind inzwischen ziemlich breit aufgestellt. Selbst der hippe SUV-Fahrer in der Großstadt wählt inzwischen grün. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass die Partei sich noch weiter öffnet?

"Lösungen für alle haben"

Nouripour: Es ist notwendig, dass wir Lösungen für alle haben, aber gleichzeitig ist es auch notwendig, dass wir nicht Lösungsansätze verwässern. Es gibt sehr große Probleme. Wir sind gerade in einer sehr, sehr ernsten Situation und in einer sehr ernsten Zeit, wenn man sich die Pandemie anschaut. Das größte aller Probleme, die Klimakrise ist eine Aufgabe der Menschheit, wie es die Frau Bundeskanzlerin ja stets gesagt hat. Diese Probleme anzugehen, ist entscheidend. Lösungen dafür zu liefern, ist entscheidend. Da muss man auch die soziale Frage mitnehmen und viele andere. Und ja, am Ende geht es natürlich auch in die Breite. Aber noch mal: Es geht nicht darum, dass wir sagen, weil wir den einen wollen und auch noch den anderen, werden wir windelweiche schwammige Lösungen bringen, sondern das müssen Lösungen sein, die tragen.
Münchenberg: Die Grünen als Volkspartei, ist das ein Ziel des möglichen neuen Parteivorsitzenden Nouripour?
Nouripour: Ich würde vorschlagen, die Frage, was eine Volkspartei ist, Herrn Braun, Herrn Merz und Herrn Röttgen zu stellen. Ich bin sehr gespannt auf die Antworten. Ich bin nicht mehr sicher, ob ich weiß, was das ist, und ob dieses Konzept im 21. Jahrhundert noch trägt. Aber natürlich wollen wir in eine Situation kommen, dass wir auch in vier Jahren oben wieder mitspielen, und natürlich gilt weiter der Anspruch, die Kraft, die führende Kraft der linken Mitte in Deutschland zu sein.

"Wir werden Vertrauen miteinander aufbauen müssen in dieser Koalition"

Münchenberg: Herr Nouripour, Sie haben vorhin gesagt, an der Basis herrscht große Aufbruchsstimmung. Auf der anderen Seite haben doch gefühlt zumindest viele den Eindruck, dass die FDP bei den Koalitionsgesprächen als Sieger vom Platz gegangen ist. Lindner wird Finanzminister, der Kohleausstieg bleibt trotzdem vage, es gibt kein Tempolimit und so weiter und so weiter. Ist da nicht eher jetzt erst mal angesagt, vielleicht den Frust an der Basis aufzuarbeiten?
Nouripour: Wir werden natürlich auch jetzt mit der Breite der Partei sprechen müssen, Breite und Tiefe. Der Vorstand, der jetzt kommt, hat ja eine Scharnierfunktion. Auf der einen Seite gilt es, dass man erklärt, der Basis, der Partei erklärt, was denn eigentlich die da in Berlin machen. Auf der anderen Seite gilt es aber, genauso auch die Offenheit aufrechtzuhalten, dass Ideen der Partei, dass Anregungen, Kritik auch nach oben reichen. Dieses Dialogische, was uns ausmacht, dieses Diskursive, dass das natürlich erhalten und teilweise auch gestärkt wird, keine Frage.
Wenn ich ein bisschen noch mal paraphrasieren darf, was Sie gerade über die FDP gesagt haben? Sie haben gerade gesagt, die FDP habe gewonnen.
Münchenberg: Ich sagte gefühlt.
Nouripour: Ja, gefühlt. – Na klar, weil Lindner den einen Job bekommen hat, den er wollte. Und zweitens haben sie das, das und das verhindert. – Kann sein, dass gefühlt gerade das so kommuniziert wird. Auf Dauer für die vier Jahre auf der Etappe wird das nicht reichen. Wir werden Vertrauen miteinander alle aufbauen müssen in dieser Koalition. Es geht nicht darum, wer gewonnen hat, sondern es geht darum, ob dieses Land gewinnt, und dort die Kurve zu bekommen ist zentral. Ja, wir hätten uns im Verkehrsbereich mehr gewünscht, aber das Ende des Verbrennungsmotors, 15 Millionen Elektroautos bis zum Ende des Jahrzehntes auf der Straße, eine massive Stärkung der Schiene, das sind alles große Punkte und das bringt das Land voran und wir werden sehr viel mehr in diesem Bereich auch alle zusammen machen müssen.
Münchenberg: Herr Nouripour, noch eine Frage. Erfahrungsgemäß verlagert sich ja mit einer Regierungsbeteiligung doch die Macht eher in Richtung Ministerien, in Richtung Fraktion. Wie wollen, wie können Sie das als möglicher künftiger Parteichef verhindern?
Nouripour: Ich erinnere mich an Zeiten, in denen Partei, Fraktion und teilweise auch Regierungsmitglieder halb offen darüber gekämpft haben, wer denn eigentlich das Sagen hat. Das wird nicht funktionieren. Es wird nur funktionieren, wenn wir zusammenstehen. Es wird nur funktionieren, wenn es nicht die eine Machtzentrale gegen die andere gibt, sondern wenn wir alle gemeinsam stehen. Ich habe gerade beschrieben, wie relevant auch die Anregungen und die Kritik der Partei und in der Breite und in der Tiefe sind für diejenigen, die jetzt Verantwortung fürs ganze Land übernehmen werden, und wir werden sehr, sehr stark dialogisch miteinander koordinieren müssen, dass wir alle zusammen bestehen. Es wird keinen anderen Weg geben können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.